Sympathy For The Drummer – Zum Tode von Charlie Watts

Charlie Watts (Photo-Graphic-Art: Gerd Coordes)

Er war der rhythmische Motor der Rolling Stones, viellleicht auch deren schlagendes Herz. Auf jeden Fall hielt er die Band über all die Jahrzehnte zusammen. Was wird jetzt aus den Rolling Stones, nachdem Charlie Watts gestorben ist?

Am 24. August ist der Stones-Drummer und Jazz-Liebhaber im Alter von 80 Jahren in einem Krankenhaus in London gestorben. Über die Todesursache wurde zunächst nichts bekannt. Anfang August gab das Stones-Management bekannt, dass Charlie Watts an der USA-Tournee der Rolling Stones, die am 26. September beginnen werde, nicht dabei sein könne, weil er sich von einer Operation, die er gut überstanden habe, aktuell noch erholen müsse. Als Vertretung für ihn würde der Schlagzeuger Steve Jordan spielen, ein langjähriger Freund der Stones. Ob die “No Filter”-Tournee tatsächlich stattfinden wird, ist mehr als fraglich.

Charlie Watts (Photo-Graphic-Art: Gerd Coordes)

Wegen seines stilvollen Äußeren, stets gekleidet in noblen Maßanzügen, wurde er von der Modezeitschrift Vanity Fair zur Gruppe der bestangezogenen Männer der Welt gekürt. Als Pferdezüchter edler Vollblutaraber sammelte er internationale Preise für sein Gestüt, das er gemeinsam mit seiner Frau führte. Seiner Ehefrau Shirley, die er 1964 heiratete, soll er über all die Jahrzehnte treu geblieben sein. Groupies habe er immer verschmäht, ganz im Gegensatz zu seinen Bandkollegen. Und dennoch war er der Schlagzeuger der Rolling Stones, die in den 60er Jahren mal die bad boys der Rockszene waren, die snobistische, feine Pinkel verspotteten und die als Inbegriff der Rocker-Dreifaltigkeit Sex and Drugs and Rock’n`Roll galten.
Seit 1960 machte er Musik, zuerst Jazz, dann Blues und schließlich Bluesrock mit den Rolling Stones. Wenn die Stones längere Konzert- und Plattenpausen einlegten, besann er sich auf seine Liebe zum Jazz, spielte mit Bigbands und kleineren Combos, spielte Swing, Barjazz und auch Boogie Woogie. Er veröffentlichte 12 Soloplatten in unterschiedlichen Besetzungen und mit verschiedensten Musikern. Seit im April 1964 das erste Album der Stones veröffentlicht wurde, war Charlie Watts die Rhythmusmaschine der Band. Die Ausbeute: 26 Studioalben, 28 Live-Platten, 33 Kompilationen, 98 Singles, 42 Videoalben – und die ganzen Wiederveröffentlichungen nicht mitgerechnet. Finanziell gerechnet hatte sich die fast 60-jährige Mitgliedschaft bei den Stones ganz sicher. Das Vermögen von Charlie Watts wurde auf etwa 250 Millionen US-Dollar geschätzt. Der Spaß, den er selbst hatte und den er so vielen Stones-Fans über die Jahrzehnte bescherte, lässt sich nicht beziffern. Der Spaß war jedenfalls groß, etwa vor rund 50 Jahren, als die Stones ihre Single „Brown Sugar“ veröffentlichten, hier in einer Alternativ-Fassung featuring Eric Clapton an der Slide-Gitarre

Aufgenommen im Dezember 1970 während einer Geburtstagsparty für Keith Richards lag diese Fassung mit Eric Clapton an der Slidegitarre jahrzehntelang unbeachtet in der Schublade und wurde erst 2015 veröffentlicht innerhalb der Deluxe-Ausgabe der Wiederveröffentlichung von „Sticky Fingers“. Am Schlagzeug, natürlich wie immer bzw. fast immer bei den Stones, Charles Robert Watts, wie sein Geburtsname lautet. Charlie Watts wurde am 2. Juni 1941 als Sohn eines Lastkraftwagenfahrers in Kingsbury, im Umland von London geboren, entdeckte früh seine Liebe zum Jazz, studierte an einer Kunstschule, die er auch abschloss – anders als z.B. John Lennon oder Ray Davies – und arbeitete in einer Londoner Werbeagentur als Graphikdesigner. In seiner Freizeit spielte er ab 1960 als Schlagzeuger in verschiedenen Londoner Jazzclubs, bis er von Alexis Korner das Angebot bekam, in dessen renommierter Rhythm’n’Blues-Band Blues Incorporated mitzuspielen.

Blues Incorporated (Photo-Graphic-Art: Gerd Coordes)

Dort lernte er den Gitarristen Brian Jones und den Sänger Mick Jagger kennen. Als sich Brian Jones und Mick Jagger von Blues Incorporated trennten, um mit Keith Richards eine eigene Band zu gründen, nämlich The Rolling Stones, wurde sehr bald ein neuer Schlagzeuger gesucht, weil sich der erste Schlagzeuger, Mick Avory, von den Kinks hatte abwerben lassen. Also wurde Charlie Watts gefragt, ob er denn bei den Rolling Stones mitspielen wolle, aber nur, wenn er aufhören würde, Jazz zu spielen. Denn was der Stil der Stones bräuchte, sei ein harter Beat. Charlie Watts sagte zu, spielte aber weiterhin seinen Jazzstil nun aber mit härterer Betonung der Snaredrum und mit mehr Wumms auf der Fußmaschine, aber letztlich änderte er seine jazzige Spielweise kaum, was ein Glücksfall war für den groovig swingend rollenden, den typischen Grundrhythmus der Stones.
Im Song „19th Nervous Breakdown“ von 1966 spielte Charlie Watts ein swingendes jazziges Schlagzeug ganz im Stil seines großen Vorbilds Elvin Jones

Damals haben die Ober-Stones Mick Jagger und Keith Richards den Jazz eines Elvin Jones, der als Schlagzeuger des John Coltrane-Quartetts bekannt wurde, wahrlich nicht gemocht, um es vorsichtig auszudrücken. Ganz anders als ihr eigener Schlagzeuger Charlie Watts. Als der Jazz-Fan 1962 zu den Stones kam, wollte ihm Keith Richards verbieten, weiterhin Jazzmusik zu hören, weil das sein Schlagzeugspiel, so wie es die Stones sich wünschten, verderben würde. Aber dass Charlie bei ihrem harten Rocktitel „19th Nervous Breakdown“ einen Schlagzeugstil spielte, der sehr an Elvin Jones erinnerte, schien sie nicht zu stören, im Gegenteil: denn der harte Beat des Songs begann durch Charlies jazzigen Stil regelrecht zu swingen.

Charlie Watts Jazzband (Photo-Graphic-Art: Gerd Coordes)

Zu seiner alten Liebe, dem Jazz, ist Charlie Watts über all die Jahre immer wieder zurückgekehrt, zuletzt gemeinsam mit der renommierten Danish Radio Big Band, die auch zuvor schon ein exzellentes Live-Album mit Curtis Stigers aufgenommen hatte.
Der Kontakt zu den Jazzern des dänischen Radio-Orchesters hatte eine besondere Vorgeschichte. Anfang der 60er Jahre, kurz bevor Charlie Watts bei den Stones einstieg, lebte er für ein paar Monate in Dänemark. Sein Brötchengeber, die Londoner Werbeagentur, für die Charlie Watts als Werbegrafiker arbeitete, schickte ihn für ein Werbeprojekt nach Kopenhagen, wo er tagsüber arbeitete und abends mit dänischen Jazz- und Bluesmusikern jammte. 55 Jahre später ergab sich ein erneuter Kontakt mit Jazzmusikern des dänischen Rundfunks.
2017 erschien das live in Kopenhagen aufgenommene Album „Charlie Watts Meets The Danish Radio Bigband“. Darauf enthalten neben einer Komposition, die Charlie Watts gemeinsam mit seinem Schlagzeug-Kollegen Jim Keltner geschrieben hatte, auch ein paar Songs, die Charlie Watts sehr vertraut waren, nämlich die Stones-Klassiker „Satisfaction“, „You Can’t Always Get What You Want“ und „Paint It Black“. Aber Charlie Watts spielte diese Stones-Hits, die er mit seiner Stammband schon hunderte mal live gespielt hatte, hier mit den dänischen Jazzern auf neue, natürlich jazzige Weise. Es dauert eine kleine Weile bis man erkennt, welcher der drei genannten Stones-Klassiker hier von der Big Band verjazzt wurde

Der Stones-Drummer hier in seinem Element als Jazz-Schlagzeuger, der er schon vor seiner Stones-Beteiligung war und als der er sich auch immer wieder parallel zu den Tourneen und Plattenaufnahmen seiner Hausband zeigte. Von gewissen Experten wurde die handwerkliche Spieltechnik von Charlie Watts bei den Stones als unzulänglich bezeichnet. Sein Schlagzeugspiel sei für die Bluesrocktitel und Balladen der Stones zu simpel und zu wenig variabel, war immer wieder mal zu lesen. Tatsächlich war der Schlagzeugstil von Charlie Watts aufs wesentliche reduziert, so wie auch sein Schlagzeug geradezu minimalistisch war – im Vergleich zu Super-Rockdrummern wie Carl Palmer, Terry Bozzio, Bill Bruford, Stewart Copeland, Jon Hiseman, Alex van Halen, Neil Peart von Rush und andere, von denen manche mit gigantischen Schlagzeug-Batterien, geradezu Trommelburgen auftraten.
Daneben wirkte das relativ kleine drum set von Charlie Watts wenig spektakulär, eher fast bescheiden. Ihm reichte in der Regel eine Basstrommel, eine Fußmaschine, Hänge-Tom, Stand-Tom, Snaredrum, Hi-Hat und noch 3-4 Becken, das war’s. Mehr brauchte er nicht für seine schnörkellose, trockene und direkte Spielweise.

Charlie Watts 2018 (Photo-Graphic-Art: Andreas / Gerd Coordes)

Nachfolgend ist seine Schlagzeugspur aus dem „Stray Cat Blues“ zu hören. Er spielte stramm und präzise wie ein Uhrwerk und verstand es trotzdem, nicht nur zu rocken, sondern auch zu rollen. Immer wieder ließ er unkonventionell einzelne Hi-Hat-Schläge weg und schlug stattdessen harte Beats auf der Snaredrum. Keith Richards schrieb in seinen Memoiren: „Ohne Charlie wären wir verloren. Er ist das Bett auf dem ich liege.“ – Und von Ronnie Wood stammt der Satz: „Charlie ist unsere Maschine, Wir würden nirgendwo hinkommen ohne diesen Antrieb.“
Auf dem Cover des berühmten Live-Albums „Get Yer Ya-Ya’s Out“ ist er alleine zu sehen, neben ihm nur ein Esel, der bepackt ist mit Instrumenten und seinem Schlagzeug. Er, als Coverboy der Stones auf diesem Album, das kam nicht von ungefähr. Was er z.B beim Stray Cat Blues im Livealbum „Get Yer Ya-Ya’s Out“ trommelte, das ist schlicht großartig, hat Drive und Seele, hat unbändige Kraft und unglaubliche Perfektion. Charlie Watts war der Star dieser Aufnahme, wenn er auch für die meisten im Hintergrund blieb

Von wegen, Charlie Watts, sei als Schlagzeuger nicht gut genug für die größte Rockband der Welt gewesen, wie oft verbreitet wurde. Sein reduziertes ökonomisches, aber ungemein effektives Schlagzeugspiel hatte er sich von den groovenden Handwerkern des Jazz abgeschaut – nicht von den virtuosen Drum-Genies des Jazz.
Trotz und gerade wegen seines unspektakulären, aber stabilen Schlagzeugspiels galt er als der ideale Drummer für die Stones. Er hiet sie zusammen. Er gab den Puls vor, die Dynamik und die Spannung. Die Rockbibel Rolling Stone kürte ihn unter den 100 besten Rockschlagzeugern aller Zeiten zur Nummer 12. Aber er behielt trotzdem die Bodenhaftung. Mit erheblichem Understatement beantwortete er die Interviewer-Frage, wie hoch er sein Talent als Drummer selbst einschätze. „Nicht sonderlich“ kam seine trockene Antwort. Und er war nicht sonderlich eitel. Wenn er live im Konzert vom Publikum mit Standing Ovations gefeiert wurde, dann spürte man, dass ihm das etwas peinlich war. Und wenn die Ober-Stones aus Zeitgründen entschieden, dass in Ermangelung des nicht anwesenden Charlie Watts mal schnell ein anderer Schlagzeuger eingespannt wurde, dann sah er das locker. Es gibt einige Songaufnahmen, bei denen er nicht anwesend war und durch einen andern Schlagzeuger ersetzt wurde. Stones-Plattenaufnahmen ohne Charlies Beteiligung sind; „Happy”, „Tumbling Dice“, „You Can’t Always Get What You Want” und „Shine A Light“.
Als Mick Jagger unbedingt sofort seinen neuen Song „It’s Only Rock’n’Roll“ aufnehmen wollte und Charlie Watts nicht erreichbar war, rief Ron Wood seinen alten Kumpel von den Faces an, den Drummer Kenney Jones, der Zeit hatte und ins Studio kam. Wobei Kenney Jones davon ausging, dass er nur für eine Demoaufnahme des Songs einspringen sollte. Als Charlie Watts aber später von Mick Jagger gefragt wurde, ob er was dagegen hätte, dass die Schlagzeugspur von Kenney Jones erhalten bliebe, sagte Charlie nur: „That’s okay. It sounds like me anyway“. Im offiziellen Promo-Video, das im Playback-Verfahren aufgenommen wurde, saß der etatmäßige Stones-Drummer Charlie Watts aber am Schlagzeug

„It’s Only Rock’n’Roll but I like it“, auch wenn – und das könnte man jetzt unfairerweise Herrn Jagger in den Mund legen, auch wenn ich hier der Eile wegen nicht meinen, sondern einen anderen Schlagzeuger habe spielen lassen. Apropos „mein Drummer“. Es gibt ja diese schöne Anekdote, die immer etwas unterschiedlich erzählt wird, deren grundsätzlicher Wahrheitsgehalt aber von Keith Richards, der ja auch selbst dabei war, in seinen Memoiren bestätigt wurde. Die Mär geht so. Nach einem Konzert in Amsterdam wurde im Hotel in der Nacht noch ziemlich feucht fröhlich gefeiert, nur einer war nicht dabei: Charlie Watts. Darauf beschloss der etwas angeschickerte Mick Jagger – es dürfte so 4-5 Uhr in der Frühe gewesen sein, im Zimmer von Charlie Watts anzurufen. Und als der endlich ranging, sprach Herr Jagger leicht lallend die Worte: „Wo ist mein Drummer. Ich will meinen Drummer sehen“. Der Drummer legte auf, ohne ein Wort zu sagen. Nach einer Weile klopfte es an die Zimmertür, hinter der die Party stattfand. Man öffnete die Tür und herein kam ein wie aus dem Ei gepellter Charlie Watts, im feinen Zwirn, mit Krawatte, frisch rasiert. Keith Richards registrierte noch den Duft des Rasierwasser, während Charlie an ihm vorbeistürmte, direkt auf Mick Jagger zu, den er am Schlafittchen packte, ihm eine scheuerte mit der klaren Ansage: „Nenn mich nie wieder ‚Deinen’ Drummer. Du bist mein verdammter Sänger.“ Was ne gute Pointe ist, aber letztlich als Retourkutsche auch nicht besser als Mick Jaggers ebenso besitzergreifender wie herablassender Spruch.
Charlie Watts war natürlich auch nicht Ben Waters’ Drummer, auch wenn er auf dessen Album „Boogie For Stu“ am Schlagzeug saß. Der Pianist Ben Waters, der gemeinsam mit Charlie Watts auch zur Boogie-Band The A, B C & D of Boogie Woogie gehörte, Ben Watts wollte mit seinem Album „Boogie For Stu“, seinem verstorbenen Pianisten-Kollegen Ian Stewart die Ehre erweisen. Ian Stewart gehörte tatsächlich zur Urbesetzung der Rolling Stones wurde aber nach kurzer Zeit vom damaligen Stones-Manager Andrew Loog Oldham vor die Tür gesetzt, weil der brave Ian Stewart nicht zum Imagekonzept passte, das der Manager den Stones als bad boys verpassen wollte. Ian Stewart blieb den Stones aber Jahre lang treu, meist als Pianist bei Konzerten und Platteneinspielungen. Am Tribute-Album für Ian Stewart beteiligten sich jede Menge früherer musikalischer Weggefährten, darunter auch die komplette Stones-Besetzung der Jahre 1975 bis 1992, also auch mit Bassist Bill Wyman, der bei dieser Aufnahme zum ersten Mal nach 18 Jahren wieder mit seinen ehemaligen Stones-Kollegen zusammenarbeitete und glänzend zusammenspielte. Die alte Rhythmusgruppe Charlie Watts, Schlagzeug und Bill Wyman, Bass harmonierte prächtig wie einst. Gemeinsam gab man den Dylan-Song „Watching The River Flow – ganz vorzüglich.

„Watching The River Flow“ spielte die komplette Stones-Besetzung gemeinsam mit dem Pianisten Ben Waters, dem Initiator des Tribute-Albums zu Ehren von Ian Stewart „Boogie For Stu“. „Watching The River Flow“, während die Zeit verfloss, erlebte Charlie Watts auch einige Tiefen. Er, der mit Groupies, Orgien und Exzessen nichts am Hut hatte, auch mit Drogen lange nichts zu tun hatte, verfiel in den frühen 80er Jahren für zwei Jahre erst dem Suff und dann sogar dem Heroin, und war drauf und dran erst seine Ehe zu ruinieren und dann gleich auch noch sich selbst. Später sprach er von einer Midlifecrisis, in die er da hineingeschlittert sei. Aber mit Willen und Disziplin befreite er sich selbst aus diesem Drogensumpf. 2004 erkrankte er, der lange Jahre ein starker Raucher war, an Kehlkopfkrebs. Trotz des bereits fortgeschrittenen Stadiums konnte er mithilfe einer Strahlentherapie geheilt werden und ging schon 2005 wieder mit den Stones auf große Welttournee. Das Rauchen war damit auch aus seinem Leben verbannt.
Im Jahre 2000 überraschte Charlie Watts mit einer ambitionierten Duo-Produktion, genannt The Charlie Watts / Jim Keltner-Project. Gemeinsam mit seinem renommierten Schlagzeuger-Kollegen Jim Keltner spielte er 8 Titel ein, als Huldigung berühmter Jazz-Schlagzeuger, von denen beide gelernt hatten, oder die sie beide besonders schätzen, darunter: Elvin Jones, Max Roach, Art Blakey, Airto Moreira und Tony Williams. Im folgenden Drummer-und Percussion-Duett zu Ehren von Max Roach tauchen nach etwa 2.1/2 Minuten überraschend ein Jazz-Pianist und Bassist mit einer erfrischenden Einlage auf, was dem Titel insgesamt sicher gut tut.

Am Ende begleitet von einem Jazz-Pianisten und Bassisten erlaubten sich die beiden Schlagzeuger Charlie Watts und Jim Keltner ein experimentelles drummer-battle-Projekt, bei dem Charlie Watts vornehmlich und führend Schlagzeug spielte, während Jim Keltner vorwiegend Perkussionsinstrumente und elektronische Gerätschaften bediente. Wobei sich Charlie Watts hier auch mal als jazzender Rockdrummer, der er war, solistisch austoben konnte. Ein richtiges Schlagzeugsolo, wie das so viele seiner Drummer-Kollegen in Konzerten gerne taten, hat er mit den Stones nie gespielt. Er war auch nicht scharf drauf, sagte in Interviews darauf angesprochen immer wieder. Ein Schlagzeug solo ohne ein anderes Instrument im Zusammenspiel und Austausch würde ihn nicht sonderlich interessieren. Aber manch Kritiker hatte schon festgestellt, dass Charlie Watts im Konzert der führende Mann auf der Bühne war, auch wenn er im Hintergrund blieb. Und auch wenn sein Sänger das ganz anders sehen mochte. In dem sich hier anschließenden Video des Live-Titels „All Down The Line“, der erstmals im Stones-Album „Exile On Main Street“ erschien, hört und sieht man wie Charlie Watts nach ca. 3.1/2 Minuten immer deutlicher das Zepter ergriff und sozusagen ein Solo spielt, wenn auch integriert im Gruppenverband. Er war halt ein Teamplayer, zeigte sich hier aber als primus inter pares, als Erster unter Gleichen.

Es gibt den schönen Spruch: Mick Jagger sei das Gesicht der Stones, Ronnie Wood der Muskel, Keith Richards die Seele und Charlie Watts das schlagende Herz.
Charlie Watts war der einzige Stone, der neben Mick Jagger und Keith Richards seit den Anfängen durchgehalten hatte. Und er war es, der existentielle Krisen in der Stones-Geschichte überwinden half, weil er zwischen den Streithähnen Mick und Keith, die ihn beide als die Autorität im Hintergrund akzeptierten, vermitteln konnte.
„Ohne Charlie, keine Stones“, sagte Keith Richards, der es wissen muss. Was heißt das nun für die Zukunft der Rolling Stones? Schon vor gut 30 Jahren hatte Keith Richards verkündet; „Wenn Charlie aufhört, dann kündige ich“. Und schon 1979 gab Richards zu Protokoll: „Alle denken, Mick und ich wären die Rolling Stones. Die Wahrheit lautet: Charlie ist die Stones.“

Photo-Graphic-Art: gerd Coordes

Sein liebstes musikalisches Steckenpferd war für Charlie Watts seit ein paar Jahren – neben den Stones natürlich – seine Boogie-Band „The A B C & D Of Boogie Woogie“, die nun nach dem Tod von Charlie Watts vielleicht im Andenken an ihn weitermachen wird. Aber werden die Stones ohne Charlie weitermachen können?

Dieser Nachruf-Text entspricht weitgehend dem Manuskript meiner Radiosendung zum 80. Geburtstag von Charlie Watts. (Volker Rebell)