Walk On By – zum Tode von Burt Bacharach

Einer der wichtigsten Songkomponisten der Popgeschichte starb am 08.02.2023 im Alter von 94 Jahren

„Burt war einer meiner Helden und hat meine Arbeit sehr beeinflusst. Er war ein Gigant des Musikgeschäfts" (Brian Wilson)

Burt Bacharach, 2000 (John-Mathew-Smith-www.celebrity-photos.com-from-Laurel-Maryland-USA-CC-BY-SA-2.0-httpscreativecommons.orglicensesby-sa2.0-via-Wikimedia-Commons)

 

Was für eine bezaubernde Filmszene, untermalt von einem wunderbaren Song.
Paul Newman strampelt auf einem Fahrrad. Vor ihm auf dem Fahrradlenker sitzt seine Liebste. Sie lachen, beißen in einen Apfel und fahren wackelnd zwischen Kühen hindurch, begleitet von dem ebenso entspannt fröhlichen wie leicht melancholisch angehauchten Song „Raindrops Keep Falling On My Head“ – ein Glücksfall von einem Song. Auch wenn tatsächlich kein einziger Regentropfen fällt, egal, der Song passt bestens zu dieser romantischen Szene aus dem Kinofilm „Zwei Banditen“. Im Original hieß diese Westernkomödie „Butch Cassidy and Sundance Kid“ und handelt von den meist illegalen Abenteuern der beiden sympathisch dargestellten Zug- und Bankräuber Butch und Sundance, gespielt von Paul Newman und Robert Redford. 1969 zählte der Film zu den größten Erfolgen an den Kinokassen. Die Filmmusik von Burt Bacharach hatte daran sicher einen Anteil.
Für seinen Song „Raindrops Keep Falling On My Head“ erhielt Burt Bacharach einen Oscar in der Kategorie „Beste Filmmusik“. Zu recht. Schon alleine die clevere Akkordfolge gleich zu Beginn von F über Fmaj7 zu F7 und dazu die elegante Melodie, die teils über kühne Oktavsprünge hüpft, ist jede Ehrung wert.
Bei diesem Oscar, den er auch für die gesamte Filmmusik verliehen bekam, sollte es nicht bleiben. So wurde er z.B. 2001 mit dem inoffiziellen Nobelpreis für Musik, dem Polar Music Price ausgezeichnet – neben all den weiteren Ehrungen, die er im Laufe seiner Karriere erhielt, von Grammys und Golden Globes bis zum Lifetime Achievment Award 2008 für sein Lebenswerk als Songschreiber. Die höchste Ehrung für populäre Musik in den USA, der Gershwin Price der Library Of Congress wurde Burt Bacharach 2012 im Weißen Haus verliehen.

 

 

Für die ambitionierte Rockfraktion, erst recht für die unangepasste Undergroundszene und Jazzrock-Avantgarde der spätern sechziger und frühen siebziger Jahre war Burt Bacharach ein rotes Tuch. Seine Kompositionen wurden als Fahrstuhlmusik geschmäht und als „easy listening“ der billigen Sorte abgetan. Im kritischen Überschwang wurde damals überhört (oder wollte nicht zur Kenntnis genommen werden), was sich hinter den konventionellen, oftmals betulichen bis schwülstigen Arrangements verbarg: ein großes kompositorisches Können, das weit über solides Handwerk hinausging. Man vergegenwärtige sich nur die kompositorische Glanztat des Songs „This Guy’s In Love With You“.

Die Melodie wirkt easy, fast simpel und wie selbstverständlich, ist tatsächlich aber mit professioneller Könnerschaft und melodischer Inspiration ausgearbeitet und dazu harmonisch differenziert ausgedeutet, mit verminderten Akkorden und übermäßigen Septimen. Vergegenwärtigt man sich nur gleich zu Beginn die Akkordverbindung Cmaj7, Fmaj7, Bmaj7 – um dann nach der Wiederholung von Cmaj7, Fmaj7 überraschend einen Halbtonschritt nach E7sus4 zu wechseln, um dann fortzufahren über Am7, Gm7, C9 usw., das ist große Kunst.
In der Fassung von Herb Alpert, veröffentlicht im April 1968, erreichte „This Guy’s In Love With You“ Platz 1 in den Billboard Hot Hundred und war damit auch die erste Nummer 1 in den USA für Burt Bacharach und seinen Partner, den Texter Hal David.

 

 

Dass 1968, während der Vietnamkrieg tobte und die Studenten weltweit auf die Barrikaden gingen, Bacharach-Songs wie die scheinbar banalen Liebeslieder „This Guy’s In Love With You“ und „The Look Of Love“ bei der politisch engagierten Jugend kein gutes Image hatten, ist erklärlich.
Nachdem Burt Bacharach in Interviews häufig betonte, er würde sich für Politik nicht interessieren, überraschte er 2005 mit seinem hoch politischen Album „At This Time“, in dem er textlich selbst verfasste Protestsongs zum Irak-Krieg und „gegen Lügen und schmutzige Geschäfte amerikanischer Politiker“ (Der Spiegel) veröffentlichte. Auslöser dafür war seine Sorge, dass sein 19-jähriger Sohn „in Uniform irgendwo durch die Wüste robben müsse“ (Bacharach, 2005).
Als Sänger für seine Protestlieder wie „Danger“, „Who Are These People“ oder „Please Explain“ hatte er Elvis Costello, Rufus Wainwright, Josie James u.a. gewonnen. Im Songtext von „Who Are These People“ heißt es anklagend:
„Who are these people that keep telling those lies? / And how did these people get control of our lives / And who started the violence 'cause it's out of control / Make them stop / Who are these people that destroy everything?“ („Wer sind diese Leute, die immer wieder diese Lügen erzählen? / Und wie haben diese Leute die Kontrolle über unser Leben bekommen? / Und wer hat mit der Gewalt angefangen, die außer Kontrolle geraten ist? / Mach, dass sie aufhören. / Wer sind diese Leute, die alles zerstören?“

 

 

Im Song „Please Explain“ aus seinem Protestalbum „At This Time“ von 2005 zitiert er sich selbst, bzw. einen seiner berühmten Songs von 1965: „There was a song I remember / Said 'What The World Needs now' / Where is the love? / Where did it go? / Who broke our hearts? / 'Cause we need to know / Where are the dreams / That we once knew? / Please explain“.
In ihrem hier zitierten Song „What The World Needs Now Is Love“ von 1965 hatten Burt Bacharack und sein Texter Hal David versucht, kein herkömmliches Liebeslied zu schreiben, sondern eine allgemein gültige Hymne auf die universelle Kraft der Liebe, so äußerte sich Burt Bacharach 2013 in seiner Autobiografie „Anyone Who Had A Heart“. Die Schlüsselzeile „Lord, we don't need another mountain“, mit der die gesellschaftlichen Probleme in den USA angedeutet wurden, sei Hal David erst spät eingefallen, habe aber die Wendung hin zu einem sozial relevanten Song ermöglicht. Im Songtext heißt es: „Herr, wir brauchen keinen weiteren Berg / Es gibt genug Berge und Hänge zum Erklimmen / Es gibt genug Ozeane und Flüsse zum Überqueren / Was die Welt jetzt braucht, ist Liebe, süße Liebe / Sie ist das Einzige, wovon es einfach zu wenig gibt / Nein, nicht nur für einige, sondern für alle“.
Der Erfolg dieses Songs, der im pop-untypischen 3/4-Takt steht, gesungen von der damals noch wenig bekannten Jackie DeShannon, kam für Burt Bacharach und Hal David überraschend, wohl auch deshalb, weil Dionne Warwick, für die der Song ursprünglich gedacht war, den Song als zu country-ähnlich abgelehnt hatte. Auch Gene Pitney zeigte kein Interesse, den offerierten Song aufzunehmen.
Die Fassung mit Jackie DeShannon landete dann immerhin auf Platz 7 der US-Charts und hielt sich dort 13 Wochen lang in den Top 100. In Kanada konnte sich die Aufnahme sogar an der Spitze der Charts etablieren.

 

 

Burt Bacharach sollte den Song „What The World Needs Now Is Love“ bis in die 2000er Jahre hinein immer wieder auf seinen eigenen Livekonzerten als Intro oder Finale spielen.
Burt Bacharach wurde am 12. Mai 1928 als Sohn eines Kolumnisten und einer Sängerin und Musiklehrerin in Kansas City geboren. Seine Mutter drängte ihn dazu, täglich Klavier zu üben, obwohl er „lieber mit Freunden Rollschuh gelaufen oder Ball gespielt hätte“ (Bacharach). Doch sein Interesse an Musik war geweckt, zumal er sich schon in jungen Jahren für Debussy und Ravel begeisterte und zunehmend auch vom Jazz fasziniert war. Später studierte er Musik in New York und Montreal und begann 1947 eigene Songs zu schreiben.

 

Burt Bacharach, 1972 (ABC-Television-Public-domain-via-Wikimedia-Commons)

 

Ab 1957 arbeitete er als Pianist und Arrangeur für die Begleitband von Marlene Dietrich und begann 1961 seine eigene Karriere als Songkomponist, entdeckte die Sängerin Dionne Warwick, für die er gemeinsam mit seinem Stammtexter Hal David viele Hits schrieb und entwickelte sich allmählich zu einem der erfolgreichsten Songschreiber in den USA. Im Laufe der Jahre konnten sich rund 130 seiner Songkompositionen in den US-Charts platzieren.
Im April 1964 erschien der vielleicht berühmteste Song des Trios Burt Bacharach, Hal David und Dionne Warwick „Walk On By“, ein mit Trompeteneinwürfen, Chorstimmen und Streichern geschmackvoll arrangierter Song, der kompositorisch Bacharachs Vorlieben für offene Akkorde speziell mit der großen Septime exemplarisch vorführt, was man bei den rhythmisch dramatisierten Zeilen „I break down and cry / when you said goodbye / walk on by“ deutlich hören kann. Die punktiert rhythmisierten, schmerzlich klingenden Akkorde Fmaj7 und Bmaj7 drücken die Trennungsgefühle musikalisch intensiv aus.

 

 

Dionne Warwick gehört zu den Sängerinnen, mit denen Burt Bacharach am meisten zusammengearbeitet hat. Und doch ist sie nur eine von vielen. Die Liste der Interpreten, die Songs von Burt Bacharach aufgenommen haben, ist schier endlos und liest sich wie ein Who’s Who der Popmusik – um hier nur ein paar der bekanntesten aufzuzählen: Tom Jones, Dusty Springfield, Aretha Franklin, Frank Sinatra, Walker Brothers, Neil Diamond, The Carpenters, Christopher Cross und Gladys Knight, Elton John & Stevie Wonder.

Das letzt genannte Trio sang gemeinsam mit Dionne Warwick 1986 die Bacharach-Komposition „That’s What Friends Are For“, geschrieben zusammen mit Bacharachs damaliger Frau Carole Bayer Sager, eine der erfolgreichsten Charity-Singles, die über 3 Millionen US-Dollar für die Aids-Hilfe einspielte, die US-Jahrescharts auf Platz 1 anführte und mit zwei Grammys ausgezeichnet wurde. Es sollte Burt Bacharachs letzter weltweiter Megaerfolg bleiben.

 

 

Burt Bacharach sollte noch einige bemerkenswerte Alben veröffentlichen: „Painted From Memory“ mit Elvis Costello (1998), „Isley Meets Bacharach: Here I Am“ mit Ronald Isley (2003), „When Ronan Meet Burt“ mit Ronan Keating (2011) und nicht zuletzt sein ausgezeichnetes Soloalbum „At This Time“ (2005). Doch die großen Erfolge früherer Zeiten wollten sich nicht mehr einstellen. Was aber nichts über eine eventuell mangelnde Qualität seiner späten Songs aussagt. Der Multiinstrumentalist und Avantgardemusiker John Zorn hat 2005 eine denkwürdige Analyse des musikalischen Werks von Burt Bacharach im Buch „The American Songbook“ geschrieben:
„Bacharachs Songs sprengen die Erwartungen von dem, was ein Popsong sein sollte. Komplexe Harmonien und Akkordwechsel mit unerwarteten Wendungen und Modulationen, unübliche Tempi- und Rhythmus-Verschiebungen, in einer Vielzahl von Takten … aber bei ihm hört sich das Ganze so natürlich an, dass du es nicht mehr aus deinem Kopf herauskriegst und nicht aufhörst, es zu pfeifen. (…) Das ist mehr als einfache Popsongs; da gibt es tiefschürfende Erforschungen des Musikmaterials, welches mit der gleichen Sorgfalt und Geduld studiert und bewahrt werden sollte wie manch andere großen Kunstwerke.“ (zitiert nach Wikipedia)

Der populärste Name in der Popgeschichte, der mit einem Song von Burt Bacharach in Verbindung gebracht werden kann, ist hier noch nicht gefallen.
1961 schrieb Bacharach für das schwarze, US-amerikanische Vokalquartett The Shirelles den Song „Baby It’s You“, den die Beatles toll fanden und ab 1961 in ihr Bühnenprogramm übernahmen. 1963 fand der Song Einzug in ihr Debüt-Album „Please Please Me“, das vor 60 Jahren, genau am 22 März 1963 veröffentlicht wurde.