Konzertbericht: Jessica Born & Band, feat. Ali Neander

eine Live-Band von internationalem Rang

beim Open Air-Festival „Parkside im Hof“ am 25.07.2020

Jessica Born, live am 25.07.2020 (Foto: Gerd Coordes)

Jessica Born könnte mit ihrer „fabelhaften Stimme“ und „ihren Interpretationen von Blues-, Jazz- und Soultiteln wahrscheinlich überall auf der Welt Erfolg“ haben, schrieb Sebastian Krämer, der Konzertrezensent der Offenbach Post in seinem Artikel über das Konzert von Jessica Born & Band am 25. Juli 2020 beim Freiluftfestival „Parkside im Hof“. Der heimische Erfolg vor dem begeisterten Offenbacher Publikum war Jessica Born und ihrer Band im ausverkauften Konzert erstmal sicher. Tatsächlich verfügt das erstklassige Quartett Jessica Born - Gesang |
Ali Neander - Gitarre | Willy Wagner - Bass | Matthias Ladewig - Schlagzeug über ein musikalisches Potential, das die Band für das Oberhaus in der internationalen Liveszene qualifiziert.
Was gleich zu Beginn des vielversprechenden Konzertes mit einem jazzigen Soulklassiker von Ella Fitzgerald unter Beweis gestellt wurde.

Jessica Born & Band beim Festival "Parkside im Hof" am 25.07.2020 (Foto: Gerd Coordes)

Die berühmte Ballade „Cry Me A River“ erzählt von einer großen Liebes-Enttäuschung, die so sehr verletzt hat, dass die Verlassene den untreuen Ex-Partner, der weinend zurückkehren will, brüsk abweist. („Jetzt kommst du an und meinst, du wärst einsam. Und dass du die ganze Nacht lang weinst. Na dann heul doch. Heul mir ’nen Fluss voll. Denn ich hab' um dich einen Fluss voll geweint.“)
Jessica Born singt die schmerzlichen Gefühle von Verzweiflung, Enttäuschung und schroffer Ablehnung mit intensivem Ausdruck. Und Ali Neander spielt ein hinreißendes Gitarrensolo, ebenso virtuos wie gefühlvoll.

„Cry Me A River“, geschrieben 1953 vom US-amerikanischen Songschreiber Arthur Hamilton, veröffentlicht 1955 in der Fassung der Sängerin und Schauspielerin Julie London. Die jazzige Bluesballade war ursprünglich für Ella Fitzgerald gedacht – als Bestandteil des Soundtracks zum Kinofilm „Pete Kelly’s Blues“ (1955), wurde aber im Film nicht verwendet. Ella Fitzgeralds Originalaufnahme erschien dann 1961 im Album „Clap Hands, Here Comes Charlie!“. „Cry me A River“ wurde oft gecovert, so z.B. von Joe Cocker (1970) und Michael Bublé (2009). Bob Dylan zitiert den Song in seinem Großwerk „Murder Most Foul“ (2020). Die Neufassung von Jessica Born & Band kann sich neben den anderen hochkarätigen Coverversionen sehen und hören lassen.

Jessica Born & Band beim Festival "Parkside im Hof" am 25.07.2020 (Foto Gerd Coordes)

Zum stilistisch breit gefächerten Konzertprogramm zwischen Blues, Jazz, Soul, R&B, Musical und Chanson gehörte neben Neubearbeitungen berühmter Standards auch die eine oder andere Eigenkomposition, so etwa „Go Ahead“, geschrieben von Jessica Born, ein klassischer Blues, in dem eine seelisch Malträtierte ihrem Peiniger mit verzweifelter Bitterkeit zuruft, er könne mit seinen Grausamkeiten immer noch so weitermachen, schließlich sei sie noch nicht völlig am Ende.

Jessica Born am 25.07.2020 (Foto: Gerd Coordes)

Jessica Born verkörpert hier exemplarisch die Ambivalenz des Blues, den Ausdruck von tief empfundenem Schmerz, resultierend aus Demütigung und Respektlosigkeit und gleichzeitig den kämpferischen Widerstand und Überlebenswillen. In ihrer unmittelbar sich ausdrückenden Darstellungskraft knüpft Jessica Born an die Performance-Qualität der großen Sängerinnen des Blues und schwarzen Soul an. Und Solist Ali Neander beweist, dass er auch im Blues-Idiom als variationsreicher Gitarrist zu Hause ist.

Zum Abschluss des ersten Konzertteils wussten Jessica Born & Band mit einer eigenen und gelungenen Interpretation des John Lennon-Songklassikers „Imagine“ vor der Pause zu überzeugen.
Jessica Born, seelentief in der Tradition der großen Soul-Diven verankert, gewinnt der weltbekannten Melodie neue Nuancen ab und interpretiert den Songtext als intensive Beschwörung der großen Menschheitsideale vom friedlichen, solidarischen Zusammenleben aller Menschen in einer Welt ohne Hass, Hunger und Kriege. Wie sie gegen Ende die Zeile „and the world will be as one“ moduliert, phrasiert und plötzlich mit aller Inbrunst herausschreit und dann wieder wie mit kindlicher Unschuld vorsichtig und leise in den Raum stellt, das ist große Vokalkunst und gleichzeitig Garant für selige Schauer bei den Zuhöreren.

Jessica Born, Willy Wagner, am 25.07.2020 (Foto: Gerd Coordes)

Und Ali Neanders lyrisches Gitarrensolo, Willy Wagners kontrapunktische Basslinien und Matthias Ladewigs variables Schlagzeugspiel mit mal dramatischem Beckenrauschen, mal insistierend treibenden Snaredrum-Schlägen geben dem Gesamtbild dieses großen Songs eine weitere individuelle Note und einen würdigen musikalischen Rahmen. Der warme, fast schon erhabene Klangraum, den Tonmeister Niels Reckziegel schon im Livesound und erst recht in seiner Postproduktion geschaffen hat, tut noch ein Übriges, damit die „dreamer“ ihre konkrete, musikgewordene Utopie im transparenten Soundambiente deutlich wahrnehmen können.

Jessica Born & Band am 25.07.2020 (Foto: Gerd Coordes)

Kaum ein anderer Song hat seine Strahlkraft, Bedeutung und aktuelle Präsenz über 50 Jahre so gut und überdauernd bewahren können wie John Lennons Hymnus „Imagine“. Die Botschaft des Titelstücks seines berühmten Soloalbums von 1971 wird noch immer und immer wieder dringlichst gebraucht. Lennons song-gewordene Utopie von einer friedlichen Welt ohne Kriege, Hass und Gewalt wird ständig irgendwo auf diesem Globus angestimmt, wenn wieder ein Attentat, ein Amoklauf, rassistische Gewalt oder menschenverachtender Hass unschuldige Opfer gefordert hat. Lennons Songtext ist revolutionär, weil er nicht bei den wohlfeilen Klagen der Sonntagsreden stehen bleibt. Er stellt ebenso überzeugende wie radikale Kausalitäten her. Gäbe es nicht die Konstruktion einer Hölle, gäbe es auch keine Religion. Gäbe es keine Nationalstaaten, gäbe es kein kriegsbedingtes Töten. Gäbe es keinen materiellen Besitz und damit die Anbetung des Mammon, gäbe es keine Gier des immer mehr Anhäufens auf der einen Seite und des Mangels, des Hungers und der Armut auf der anderen Seite. Mit einfachen, aber klaren, teils poetischen Worten brandmarkt John Lennon das erzkapitalistische globale Wirtschaftssystem, das Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten produziert und mit seinem zügellosen Gewinnstreben und seiner grenzenlosen Wachstumsideologie die Menschen versklavt und die Natur zerstört.

Teil 2 des Konzerts begann mit einem Titel von Ali Neanders Blues Bang, die beim letztjährigen Lahnsteiner Bluesfestival mit Sängerin Jessica Born als Frontfrau zu den Höhepunkten des Festival zählte. Nach Gershwins unsterblichem Wiegenlied „Summertime“ folgte als weitere Überraschung eine Interpretation des Santana-Songs „Brightest Star“, enthalten im Santana-Album „Zebob“ von 1981, geschrieben von Carlos Santana und Alex Ligertwood, der auch den Song im Album gesungen hat.
Jessica Born singt den Text über Trennung und Liebesverlust noch leidenschaftlicher und mit noch mehr verzweifelter Sehnsucht als Alex Ligertwood.

Ali Neander am 25.07.2020 (Foto: Gerd Coordes)

Und der überaus wandlungsfähige Gitarrist Ali Neander beweist seine Vielseitigkeit mit einem Solo, das die melodiöse Stimmung von Carlos Santana aufgreift, aber sehr bald wieder in Alis eigene Gitarristen-Welt voller virtuoser Tongirlanden zurückkehrt.

„Dynamische Schlagzeugbeats und mitreißende Bassläufe tragen zu einem äußerst kurzweiligen zweieinhalbstündigen Konzert bei. Nicht minder gekonnt fallen die Gitarrensoli des Hessischen Kultgitarristen Ali Neander aus“, schrieb der Rezensent der Offenbach Post in seinem Konzertbericht. Er notierte weiterhin. dass das begeisterte Publikum dem „glänzend aufgelegten Ensemble gleich drei Zugaben entlockte“. Dazu gehörte auch „Rock Steady“, ein R&B-Songklassiker von Aretha Franklin, von ihr geschrieben und veröffentlicht 1971 in ihrem Album „Young, Gifted and Black“.
Jessica Born ist eine erklärte Anhängerin der Gesangskunst von Aretha Franklin, was sich auch darin zeigte, dass noch vier weitere Titel von Aretha Franklin zum Liveprogramm des Konzertabends gehörten.

Ali Neander und Jessica Born am 25.07.2020 (Foto: Gerd Coordes)

Nachdem Gitarrist Ali Neander sein hörenswertes Solo zelebriert hat, trumpft gegen Ende des Titels Bassist Willy Wagner mit einem furiosen Bass-Solo auf, das belegen kann, warum Willy Wagner zu den führenden Bassisten der hiesigen Szene gehört.

Willy Wagner am 25.07.2020 (Foto: Gerd Coordes)

Schlagzeuger Matthias Ladewig legt mit seinem druckvollen Groove die Basis für die kraftvoll rockende Live-Fassung der Band.
Jessica Born glänzt hier mit ihren expressiven Soul-Shouter-Qualitäten und lässt auch mal kurz ihre Fähigkeiten als improvisierende Scat-Sängerin aufblitzen.

Matthias Ladewig und Willy Wagner am 25.07.2020 (Foto: Gerd Coordes)

Dass Bassist Willy Wagner in diesem Song eine führende Rolle übernimmt, kommt nicht von ungefähr. In der Originalaufnahme von Aretha Franklin dominiert der Bass des New Yorker Funk-Bassisten Chuck Rainey, dessen funky Bassläufe für die damaligen Soundverhältnisse erstaunlich stark nach vorn gemischt wurden. Allerdings hatte Chuck Rainey in der Originalaufnahme der Begleitband von Aretha Franklin keine Möglichkeit, seine solistischen Fähigkeiten unter Beweis zu stellen – so wie es Willy Wagner brillant in seinem spektakulären Bass-Solo zu nutzen weiß.

Jessica Born und Willy Wagner am 25.07.2020 (Foto: Gerd Coordes)

Dass Jessica Born auch eine hervorragende Blues-Sängerin ist, bestätigte sich nicht zuletzt in ihrer Interpretation des Blues-Klassikers „The Thrill Is Gone“, den übrigens auch schon Aretha Franklin für ihr Album „Spirit In The Dark“ von 1970 aufgenommen hatte. Am bekanntesten ist allerdings die Fassung von B.B. King, gewissermaßen sein Referenz-Stück, 1970 mit einem Grammy dekoriert und von der Rockbibel Rolling Stone unter den 500 besten Songs aller Zeiten auf Rang 183 gekürt. Ob „Live in Montreux 1993“ oder 2010 beim „Crossroads Guitar Festival“, das Eric Clapton ins Leben gerufen hatte, „The Thrill Is Gone“ gehörte zum festen Live-Repertoire in den Konzerten von B.B. King.
Der Song stammte allerdings nicht von B.B. King, sondern war 1951 von den Westcoast-Bluesmusikern Roy Hawkins und Rick Darnell geschrieben worden – basierend übrigens auf dem Thema eines Broadway-Musical-Song mit gleichem Titel aus dem Jahre 1931.
Die Live-Version von Jessica Born & Band reiht sich ein in die besten Bearbeitungen des Blues-Klassikers und überzeugt durch die ebenso kompakte wie interaktive Gruppenleistung des Quartetts, vor allem aber durch Jessica Borns leidenschaftliche Interpretation der Enttäuschung über den Verlust des Nervenkitzels, wovon der Songtext handelt – womit sie gleichzeitig einen Nervenkitzel nach dem anderen mit ihrer expressiven Stimme beim Zuhörer hervorruft.

Die Sensation dieser Live-Aufnahme ist freilich das überirdisch gute und facettenreiche Gitarrensolo von Ali Neander (1:33 bis 3:49), gefolgt von einem kurzen aber eindrucksvollen Ruf/Antwort-Dialog zwischen Jessica und Ali. Das grandiose Gitarrensolo entwickelt sich aus einem entspannten Intro mit Raum für Pausen und nachklingenden Töne zu einem spannungsreichen Parforceritt durch die Geschichte der Maestros an der E-Gitarre, mit jaulenden Splitterklängen, schreienden, jubelnden Liegetönen in den höchsten Lagen, melodisch raffinierten Passagen, rhythmisch trickreich phrasierten Figuren und immer wieder atemberaubenden, virtuos übers Griffbrett jagenden Speed-Läufen wie von einem andern Stern, oder, als könne der verlorene „Thrill“ nur im Überschall wieder gefunden werden.

Ali Neander am 25.07.2020 (Foto: Gerd Coordes)

Wenn der Graffiti-Sprayer, der 1965 den Spruch „Clapton is god“ auf eine Londoner Hauswand schrieb, dieses Solo heute hören könnte – und nicht nur dieses eine Solo an diesem schönen Sommerabend, würde er ins Grübeln kommen?
Die unzureichende Ausleuchtung der Bühne beim Konzert am 25. Juli lässt Ali Neanders prachtvolles Solo kaum sichtbar werden, dafür ist es um so besser zu hören.

Jessica Born - Gesang
Ali Neander - Gitarre
Willy Wagner - Bass
Matthias Ladewig - Schlagzeug

Livesound: Tonmeister Niels Reckziegel
www.livemitschnitt.de

Finale (Foto: Gerd Coordes)