John Lennon – zum 40. Todestag eines unsterblichen Idols

Das Datum 8. Dezember 1980 steht auch noch 40 Jahre später für eine offene Wunde, die bis heute nicht verheilt ist.

Imagine/Stell dir vor: was wäre die Welt ohne die Songs von John Lennon

John Lennon 1966 (Photo-Graphic-Art: Gerd Coordes)

„Eines macht mir allerdings große Sorgen. Eines Tages wird irgend so ein Verrückter auftauchen, und dann weiß nur Gott allein, was dann passieren mag. Alle möglichen Leute rennen hier mit Waffen herum und spielen Cowboy. Sie scheinen zu glauben, dass ein Revolver ein verlängerter Arm ist ...“, sagte John Lennon 1965 in den USA.
Am 8. Dezember 1980 um 22 Uhr 50 Ortszeit kamen John und Yoko von Aufnahmen im Record Plant Studio zurück. Vor dem Dakota Building, dem Domizil der Lennons, standen wie so oft einige Fans und warteten auf den Ex-Beatle, um vielleicht ein Autogramm zu ergattern. Der 25-jährige Mark David Chapman harrte schon seit Stunden aus. Schon am Nachmittag, als John das Haus verließ, stand er hier.. Wortlos hatte er dem Star die Plattenhülle von „Double Fantasy“ hingehalten. Mit routinierter Gelassenheit hatte John seinen Namenszug auf die Hülle geschrieben und war weitergegangen. Jetzt, fünf Stunden später, rief der Fan: „Mister Lennon!“ und ging auf John zu, der gerade aus dem Wagen ausgestiegen und auf dem Weg zum Hauseingang war. John blickte über die Schulter zurück und sah in die Mündung eines 38er Revolvers. Chapman feuerte fünfmal. Die Kugeln trafen John in den Rücken. John Lennon soll noch bei Bewusstsein gewesen sein, als er ins Roosevelt General Hospital eingeliefert wurde. Doch um 23.07 Uhr erlag er den Folgen des Attentats.

"Free As A Bird"

„Sich frei zu fühlen wie ein Vogel, ist das Beste, was einem passieren kann.“ – So könnte man das Thema von „Free As A Bird“ frei übersetzen.
Es sei für ihn unerträglich gewesen, wenn er das Gefühl hatte, nicht er selbst sein zu können. Wenn er lächeln musste, obwohl es ihm gar nicht danach zumute war. Und er sei sich vorgekommen, als wäre er wie ein Politiker. Aber er wolle nicht mehr seine Seele verkaufen, um einen Hit zu haben. Er könne gut ohne Hits leben. Es mache ihn nicht weniger glücklich. Und er wolle nicht mehr eine konstruierte Person sein und ein Image verkörpern, das nichts mit ihm zu tun habe. Nur mit zwei Künstlern habe er intensiv zusammengearbeitet, das sei Paul Mc Cartney und Yoko Ono – und das sei doch wahrlich keine schlechte Wahl. – Dies sagte John Lennon in einem Radio-Interview, das er am Vormittag des 8. Dezember 1980 gab, wenige Stunden bevor er von 5 Kugeln getroffen wurde und starb.

John Lennon 1977 (Photo-Graphic-Art: Gerd Coordes)

Er wollte nur noch sich selbst sein, nicht mehr der Beatle mit all den Erwartungen und Zuschreibungen der Fans und der Medien. Die Beatles-Hysterie und all die damit verbundenen Zwänge musste er endlich loswerden, um zu guter Letzt nur noch John sein zu können. Davon hatte er ständig gesprochen, damals 1980, in all den Interviews, bei seinem Comeback nach 5-jähriger Plattenpause und seinem Rückzug aus dem Popbusiness. Manch ein übersteigerter Beatles-Fan hat ihm diesen Eigensinn übel genommen. In dem wirren, kruden, verstörten Hirn seines Mörders Chapman war Lennon ein Verräter an den Beatles. Auch dies sei eines seiner Motive gewesen, sein einstiges Idol zu erschießen. Auch 40 Jahre nach den tödlichen Schüssen vom 8. Dezember 1980 ist die kaltblütige Ermordung von John Lennon noch immer eine offene Wunde im Bewusstsein seiner Bewunderer.
„Wenn ich auch weiß, dass die Gefühle bleiben werden für Menschen und Dinge aus der Vergangenheit, ich weiß, ich werde oft innehalten und an sie denken“, das sang John Lennon in seinem großartigen Song „In My Life“ aus dem Beatles-Album „Rubber Soul“, das am 3. Dezember 1965 veröffentlicht wurde.
Dieser Blog in radio-rebell wird innehalten und zurückdenken an ihn und an ein paar wichtige Songs, die er geschrieben hat, sowohl für die Beatles als auch für seine Soloalben. „In My Life I loved them all”

In My Life

„Da gibt es Orte, an die ich mich immer erinnern werde. Doch manche haben sich verändert. Manche sind verschwunden, manche sind noch hier. Alle diese Orte hatten ihre Augenblicke, hatten Geliebte und Freunde, derer ich mich entsinne, Manche sind tot und manche sind es nicht. Doch von all den Freunden und Geliebten lässt niemand sich mit Dir vergleichen. Dich liebe ich mehr in meinem Leben“, sang John Lennon in seinem Song „In My Life“, der 35 Jahre später von einer Experten-Jury zum besten Popsong aller Zeiten gekürt wurde –was vielleicht des Guten ein wenig zu viel ist. Doch wer mag diese angesungene unvergleichliche Person gewesen sein, die er mehr als alles andere in seinem Leben geliebt habe? Yoko Ono, seine spätere große Liebe kann es nicht gewesen sein, schließlich hatte er den Song „In My Life“ schon 1965 geschrieben und erst im November 1966 war er Yoko zum ersten Mal begegnet.
War es seine erste Frau Cynthia? Wird sie im Songtext zu seiner großen Liebe stilisiert, obwohl er sie doch tatsächlich häufig betrog und nur geheiratet hatte, weil ein Kind unterwegs war, Sohn Julian? Oder besang er seine Mutter Julia, die mit dem kleinen John nicht viel anfangen konnte und ihn als 4-jährigen an Tante Mimi abgegeben hatte. Später aber entwickelte sich eine gute und intensive Beziehung zwischen Mutter Julia und Sohn John. Ein Lennon-Biograf spekulierte sogar, ob der pubertierende John in seine lebenslustige und attraktive Mutter nicht sogar verknallt gewesen sei. Um so härter traf es den 17-jährigen John, als seine Mutter im Juli 1958 von einem angetrunkenen Polizisten überfahren wurde und starb. Lennon rastete damals aus. Dieses Trauma scheint sein weiteres Leben überschattet zu haben. Es war nicht der einzige Verlust, der ihm schmerzlich zusetzte. Von den geliebten Menschen sind manche tot, hatte er im autobiografischen Song „In My Life“ gesungen. Überraschend gestorben war auch sein Onkel George, Ehemann der gestrengen Tante Mimi, die John vieles verbot, was Onkel George augenzwinkernd hinter Mimis Rücken dann teilweise wieder möglich machte. Auf den plötzlichen Tod von Onkel George hatte der kleine John schon mit einer Mischung aus Schmerz und Ärger reagiert, dass ihm dann auch noch seine Mutter durch einen Unfalltod entrissen wurde, stürzte ihn in tiefe Verzweiflung und löste gleichzeitig eine unbändige Wut aus. Als dann sein engster Freund aus den späten fünfziger Jahren, Stu Sutcliffe, der erste Bassist der Beatles, im April 1962 an einem Gehirn-Tumor starb, fühlte sich John Lennon wie von einem Fluch verfolgt, zu viele seiner emotional wichtigsten Bezugspersonen waren gestorben, bzw. hatten ihn – wie er es empfand – verlassen. Kein Wunder, dass er selbst auf dem Höhepunkt der Beatlemania 1964, als er die Popwelt erobert und Millionen Mädchenherzen für sich gewonnen hatte, sang, er sei ein Verlierer und sei nicht der, für den man ihn hält. Er habe jemanden verloren, der ihm nahe stand

I’m A Loser

Das Thema Verlust zieht sich durch fast alle Schaffensperioden von John Lennon als Songschreiber hindurch, von „I’m a loser“ aus dem Album „Beatles For Sale“ (1964) bis zu „I’m Losing You“ aus seinem letzten Album vor seinem Tod „Double Fantasy“ von 1980. Verlustangst, Unsicherheit, Selbstzweifel, depressive Verstimmungen begleiteten John Lennon sein ganzes Leben lang, aber natürlich kannte er auch Phasen der Euphorie, der unbändigen Lebensfreude und der großen Liebesgefühle. Und der manchmal zu Tode betrübte Ober-Beatle, der 1968 im „Yer Blues“ sang „Yes I’m lonely, wanna die“, er konnte auch himmelhoch jauchzen und in Größenfantasien schwelgen. „I’m the greatest and you better believe it“.

John Lennon "I’m The Greatest" Demoaufnahme aus “Anthology CD 2 New York City”

Und auch das will geübt sein, der Größte von allen zu sein. „Als ich noch ein kleiner Junge war, vor langer Zeit zuhause in Liverpool, da sagte mir meine Mama, ich sei großartig. Ich bin der Größte und du solltest es besser glauben.“ Diesen natürlich ironisch gemeinten Song nahm John Lennon zunächst selbst auf, überließ dann aber diesen Song mit der Muhammed Ali-Pose seinem Kumpel Ringo, aus dessen Mund der ironische Angeberspruch „Ich bin der Größte“ natürlich amüsant klang. Und die Textstory von der glücklichen Kindheit zuhause in Liverpool, mit einer Mutter, die den Sohn in den Himmel lobte, hatte im Falle von John nicht viel mit der Wirklichkeit zu tun. Obwohl Johns Mutter Julia nach ihrer erneuten Annäherung an ihren Sohn die musikalischen Aktivitäten von John nach Kräften unterstützte. Und bei den Auftritten von The Quarrymen, Johns erster Skiffle-Band, sei Julia immer aufgefallen, weil sie am lautesten von allen klatschte und die Band anfeuerte.
Johns bewegtes Leben zwischen Abstürzen und Höhenflügen, äußerem Mega-Erfolg und innerer Seelenqual, findet sich sozusagen im Schnelldurchlauf dokumentiert in der folgenden collagierten Version seines berühmten Songs „Working Class Hero“, die als beeindruckendes, brillant inszeniertes Video veröffentlicht wurde. Vor den Ohren des Zuhörers läuft John Lennons Leben ab, von seiner Kindheit bis zu den Totenwachen nach seiner Ermordung vor 40 Jahren. In eingeblendeten Original-Interviewausschnitten erzählt John Lennon sein eigenes Leben. Im ersten Statement äußert er sich zu seiner Kindheit. Er sagt, weil sich seine Eltern trennten als er 4 war, wurde er von seiner Tante aufgezogen. Mit 16 habe er wieder Kontakt zu seiner Mutter bekommen. Sie sei seine erste Musiklehrerin gewesen und habe ihm das Banjo-Spiel beigebracht. Danach habe er das Gitarrespielen gelernt. Später hört man ihn sagen, in seiner Familie – und damit meinte er seine Tante Mimi – habe es geheißen: Gitarrespielen sei gut als Hobby, aber Geld könne man damit nicht verdienen.
Im nächsten Interviewausschnitt sagt er: In Liverpool habe er als Jugendlicher auch in der Schlange vorm Kino gestanden, um einen Film mit Elvis zu sehen. Und alle Kids hätten geschrieen, als Elvis dann auf der Leinwand zu sehen war.. Und damals habe er gedacht, das was Elvis da mache, das sei doch wirklich ein guter Job. – Im nächsten Interviewausschnitt versucht er zu erklären, was er mit seinem berühmt-berüchtigten Beatles/Jesus-Vergleich tatsächlich gemeint habe und dass man ihn falsch verstanden hätte. – Über das Nacktfoto auf dem Cover seines ersten Albums mit Yoko „Two Virgins“ sagt er, sie hätten sich damals tatsächlich „jungfräulich“ gefühlt. – Über das Ende der Beatles meint er cool: „Was ist schon dabei, das ist nicht weiter wichtig. Es gibt die alten Platten, wenn sich jemand an die Beatles erinnern will.“ – Über seine Zeit als Hausmann sagt John, er habe damals die Gitarre buchstäblich an die Wand gehängt und 5 Jahre lang nicht mehr angerührt.
Ganz zu Beginn des Songs hört man, wie er seine Gitarre stimmt und seinem Aufnahmetechniker zu verstehen gibt, dass er die Songaufnahme jetzt mal versuchen wolle.

"Working Class Hero" aus Lennon Legend DVD

„Ich glaube noch immer, dass Liebe das ist, was wir alle brauchen“, so lautet das letzte Lennon-Statement in dieser Video/Musik-Montage. Und dann hört man noch ganz am Schluss, wie das vielleicht größte Liebespaar der Popgeschichte sich gegenseitig mit Namen anspricht, anflüstert. Mit dieser großen Liebe und ihrer Ausschließlichkeit hatte Paul McCartney die Trennung der Beatles und seinen Ausstieg aus der Band unter anderem begründet. John würde nicht mehr die Beatles, sondern nur noch Yoko lieben, was viele Fans, die das Auseinanderbrechen der Beatles nicht wahrhaben wollten, wütend machte, nicht auf Paul und auch nicht auf John, sondern nur auf Yoko. Sie wurde beschuldigt und beschimpft, die Beatles auseinander gebracht zu haben.
Aber viele Beobachter konstatierten, dass Johns Liebe zu Yoko eine Art Rettung für ihn war und ihn von vielen seiner emotionalen Defizite erlöst hatte. Das vorstehende Video basiert auf einer Probeaufnahme von „Working Class Hero“ und eingeblendeten Interviewausschnitten, enthalten in der DVD „Lennon Legend“.
Wie weit hat sich der Mythos „Lennon Legend“ von der realen Person John Lennon inzwischen entfernt? Gibt es da überhaupt noch eine mögliche Trennlinie zwischen Legende und Wirklichkeit? Wer kann es wissen, wer John Lennon wirklich war? „Who am I? Nobody knows but me”, hatte er gesungen im Song „Look At Me”.
Wenn man sich seine Kunst anschaut, erfährt man vieles über ihn, denn oft hat er sein Innerstes nach Außen gekehrt. Über sich, seine Psyche, seine Sehnsüchte, seine Selbstzweifel, seine Wut und Trauer, über seine Gefühle hat er immer wieder, im Grunde in fast jedem seiner Songs Auskunft gegeben. Also hält man sich am besten an diese authentische Quelle, an seine Songs. OK, auch in Songs kann man lügen oder sich was vormachen, aber eines geht nicht:
„Du kannst deine Schuhe polieren und einen Anzug tragen. Du kannst dir die Haare kämmen und durchaus nett aussehen. Du kannst dein Gesicht hinter einem Lächeln verbergen. Du kannst eine Maske tragen und dein Gesicht schminken. Doch eines kannst Du nicht verbergen, wenn du innerlich verkrüppelt bist.“

"Crippled Inside"

"Du kannst zur Kirche gehen und eine Hymne singen, du kannst mich wegen meiner Hautfarbe verurteilen, du kannst eine Lüge leben, bis du stirbst. Eines kannst du jedoch nicht verbergen, wenn du innerlich verkrüppelt bist“, sang John Lennon in seinem relativ wenig bekannt gewordenen, country-orientierten Song „Crippled Inside“ aus seinem Album „Imagine“ von 1971. Auch sein Mörder Mark David Chapman konnte es nicht verbergen, dass er seelisch verkrüppelt war. Dessen innere Verstörung entlud sich vor 40 Jahren in jenen furchtbaren Revolverschüssen.
Über die inneren Wunden, die John Lennon solange mit sich rumschleppte, hat er immer wieder in Interviews oder künstlerisch in seinen Songs, Texten und Zeichnungen Hinweise gegeben. Seine größten Songs waren im Grunde immer so etwas wie Psychogramme, mehr oder minder verschlüsselte Botschaften aus seiner Gefühlswelt, aus seiner Seele. Das gilt für seine großen Beatles-Songs wie Help, Nowhere man, I’m A Loser, Strawberry Fields Forever, I Am The Walrus, Happiness Is A Warm Gun und etliche andere mehr – und erst recht gilt es für all die selbstreflektierenden Songs seiner Solo-Jahre. John Lennon trug sein Herz oft auf der Zunge. Seine Seele mit ihren Qualen, Sehnsüchten und Freuden spricht nahezu aus jedem seiner Songs. „Erinnere dich daran wie du klein warst, als die Leute so groß erschienen, und immer ihren Willen durchgesetzt haben. Erinnerst du dich an deine Mama, deinen Papa? Nur Möchtegern-Filmstars, immer eine Rolle spielend. Wenn du jemals so traurig sein solltest und die ganze Welt dich verrückt macht, dann erinnere dich an heute, bereue nicht, wie es gekommen ist. Mach dir keine Sorgen darüber, was du getan hast,“ so heißt es im Text des Lennon-Songs „Remember“, von dem es eine Probeaufnahme gibt mit Klaus Voormann am Bass, Ringo am Schlagzeug und John am Klavier. Lennon ist bei dieser Aufnahme sturzbetrunken, er kickelt rum, lallt und lacht – und dennoch hat diese Suff-Aufnahme auch beeindruckende Momente, weshalb Yoko Ono sich zu dem Spruch hinreißen ließ, ihr Mann sei selbst im betrunkenen Zustand noch besser gewesen als die meisten anderen Musiker.

"Remember" Anthology CD 1 Ascot

Hier bricht er ab, weil er die Aufnahme dann doch zu silly fand, der sturzbetrunkene John Lennon, der aber dennoch seinen Spaß hatte und trotz hohem Alkoholpegel nicht aus dem Takt kam. Diese schräge Probeaufnahme des Songs „Remember“ entstammt der 4-CD-Box „John Lennon Anthology“ von 1998.
Das Interesse an John Lennon ist nach wie vor ungebrochen. Und ein Ende ist nicht absehbar.
Er wird weiterhin verehrt werden. Man wird ihm weiterhin huldigen, in den Medien, im Internet sowieso – auch wenn schon so viele Jahre vergangen sind.

George Harrison „All Those Years Ago“

Die Single „All Those Years Ago“ war George Harrisons Song-Widmung für John Lennon, veröffentlicht im Mai 1981. An der Aufnahme des Songs waren alle drei noch lebenden Beatles beteiligt: George, Paul und Ringo. Im Songtext bezieht sich George Harrison auf die Lennon-Songs „All You Need Is Love“ und „Imagine“. - Ausgerechnet John Lennon, der wie kaum ein anderer Popstar die Botschaft von Liebe, Frieden und Gewaltlosigkeit mit seinen Songs verbreitet hat, ausgerechnet er wurde heute vor 40 Jahren erschossen.
Im Herbst 1974 erschien der Song „Whatever Gets You Thru The Night“. Die Single kletterte bis auf Platz 1 der US-Charts – und das war übrigens der einzige Nummer 1-Hit, den John Lennon als Solokünstler zu seinen Lebzeiten verbuchen konnte.
Der Song entstand in der Zeit des so genannten „Lost Weekend“ als John und Yoko getrennt waren – nicht nur ein verlorenes Wochenende lang, sondern ganze 15 Monate. Yoko hatte ihren John aus der gemeinsamen Wohnung buchstäblich rausgeschmissen, weil es in der Ehe kriselte und John mit der ehelichen Treue seine Probleme hatte. Also wurde er von Yoko in eine Freiheit auf Zeit entlassen. Sie behielt allerdings die Kontrolle über ihn und gab ihm ihre Privatsekretärin May Pang an die Seite. May wurde in dieser Zeit Johns Geliebte, aber sie war nicht die Einzige in diesen Monaten, die John in LA verbrachte, um mit Phil Spector an zwei neuen Alben zu arbeiten. Aber neben der Studioarbeit erlaubte sich John Alkoholexzesse, Rüpeleien und ein Benehmen, das alles andere als die feine englische Art war. John lernte in LA auch Elton John kennen, der ihn gesanglich unterstützte mit der zweiten Stimme im Song „Whatever Gets You Thru The Night“. John fand diesen Song nicht schlecht, aber glaubte nicht, dass der Song ein besonderes kommerzielles Potenzial habe. Elton John war da ganz anderer Ansicht. Er wettete mit John, dass „Whatever Gets You ...“ ein Nummer-1-Hit würde. Falls Elton die Wette wider Erwarten gewinnen sollte, verpflichtete sich John, bei einem Konzert von Elton John aufzutreten und mit ihm gemeinsam nicht nur den Song „Whatever Gets You ...“ live zu performen, sondern auch seinen alten Sgt-Pepper-Song „Lucy In The Sky With Diamonds“. Wie man weiß, hat Elton John die Wette gewonnen, deshalb kam es dann auch zum gemeinsamen Konzertauftritt. Textlich erteilte sich John Lennon im Song „Whatever Gets You Thru The Night“ eine Art von Absolution für all die Saufgelage, die Unflätigkeiten und Eskapaden, die er sich leistete während des „Lost Weekend“: „Was immer dich durch die Nacht bringt, es ist in Ordnung, mach es falsch oder richtig, it’s alright.“.

„Whatever Gets You Thru The Night“

Am 28. November 1974 gab Elton John ein Konzert im Madison Square Garden in New York und sagte einen ganz besonderen Gast auf der Bühne an. Gemeint war John Lennon, der so nervös war, dass er nach Elton Johns Ansage, erst mal auf die Toilette rennen musste, um sich zu übergeben. Aber dann springt John auf die Bühne, das Publikum tobt. Und gemeinsam mit Elton John singt er unter anderem seinen berühmten Sgt. Pepper-Song „Lucy In The Sky With Diamonds”.

Die Initialen der Worte Lucy, Sky und Diamonds ergeben – wie man weiß: LSD. Aber John Lennon hat immer geleugnet, dass der Song etwas mit LSD zu tun habe. War das nun ein Drogensong oder nicht?
Natürlich nicht. Das war selbstverständlich reiner Zufall und hatte absolut nichts mit LSD zu tun – wer kommt denn auf so etwas, bei Songzeilen wie diesen: „Mal dir aus, du in einem Boot auf einem Fluss mit Mandarinen-Bäumen und einem Himmel aus Marmelade.
Jemand ruft nach dir. Du antwortest langsam einem Mädchen mit Kaleidoskop-Augen. Folge ihr runter zur Brücke beim Brunnen, wo Schaukelpferdmenschen türkischen Honigkuchen essen.
Alle lächeln wenn du an den Blumen vorbeitreibst, die so unglaublich hochschießen. Zeitungstaxis erscheinen am Strand und warten darauf, dich auf eine Reise mitzunehmen, klettere nach hinten mit deinem Kopf in den Wolken und du bist auf und davon“. – Also ’tschulligung: dieser Text hat doch nix mit Drogen zu tun! Nein, hat er wirklich nicht. Der Text hat mit einem Bild zu tun, das Julian, der Sohn von John Lennon aus dem Kindergarten mit nach Hause gebracht hat. Julians beste Freundin im Kindergarten hieß damals Lucy O’Donell. Auf dem Bild ist viel buntes, schönes Kindergekrakel zu sehen. John habe seinen Sohn gefragt: „Was’n das?“ Und Julian habe geantwortet: „Das ist Lucy am Himmel mit Diamanten.“ OK, wollen wir das mal glauben – wie man weiß, sagen Kinder und Narren die Wahrheit. Und das war ja damals eine närrische Zeit. Die Flower Power- und Hippie-Ära war ja so eine Mischung aus permanentem Karneval, progressivem Kindergeburtstag, kollektivem Swingerclub, alternativer Heilsarmee und dem ständigen Wechsel der umwölkten Zustände von high und stoned.

John Lennon (Photo-Graphic-Art: Gerd Coordes)

Und auch der berühmte Lennon-Song „Tomorrow Never Knows“ konnte als die Beschreibung eines Trips verstanden werden. Jedenfalls waren die Beatles mit diesem experimentellen Sound damals 1966 ihrer Zeit weit voraus. Lennons Meisterwerk „Tomorrow Never Knows“ war das erste kühne Soundexperiment der Popgeschichte und war gleichzeitig, trotz aller für die damaligen Verhältnisse avantgardistischer Klangcollagen, ein großartiger, geradezu überwältigender Pop-Song. Und Lennon versuchte, die damals positiv gesehene, bewusstseinsverändernde Wirkung von LSD in ungewöhnlichen Worten und Klängen auszudrücken. Und sein großes Thema Liebe kommt hier natürlich auch zu Wort: „That Love is all and love is everyone.“ Ob von Drogen beeinflusst oder nicht, John Lennons „Tommorrow Never Knows“ gehört zu den bahnbrechenden Songs der Popgeschichte

“Tomorrow Never Knows“ - The Beatles

„Mit unserer Liebe könnten wir die Welt retten“, sang John Lennon im Song „Tomorrow Never Knows“ aus dem Beatles-Album Revolver, veröffentlicht im August 1966.
John Lennon war es ja auch, der im „Summer of Love“ 1967 die definitive Hippie-Hymne geschrieben hat: „All You Need Is Love“. Doch so ein richtiger Hippie war Lennon nicht. Als Blumenkind konnte man sich den Skeptiker Lennon nicht so recht vorstellen. Doch immerhin hatte er seinen Rolls Royce mit Blumenornamenten umlackieren lassen. Aber er war kein Trittbrettfahrer, hatte sich nicht an die Hippie-Mode drangehängt. Er hatte intuitiv den Zeitgeist der Jugendkultur aufgegriffen und auf seine Weise ausgedrückt. Die Haupt-Slogans der Love and Peace-Ära lauteten: „High sein und dabei sein“ – auch dazu hat John Lennon mit seinen Drogenandeutungen zweifellos beigetragen – und vor allem: „All You Need Is Love“. Auf eine prägnantere Formel konnte man die Botschaft von einer universellen Liebe nicht bringen. Das war John Lennons großer Wurf, der die Hippie-Ära überdauert hat.

Mit diesem genialen Lennon-Song beteiligten sich die Beatles am 25. Juni 1967 an der ersten weltweit ausgestrahlten Fernsehsendung „Our World“. 400 Millionen Menschen haben weltweit zugeschaut, was natürlich eine besondere Werbung für den Song war, der dann entsprechend wochenlang in den Charts Platz Nummer 1 inne hatte. Böse Zungen dichteten daraufhin die Refrainzeile um in „All You Need Is Cash“, was nicht so nett war und auch nicht zutraf, denn Geld war für die Beatles damals kein Thema, schließlich hatten sie mehr als genug davon. Und John Lennon war in seiner Proklamation einer universellen Liebe absolut ehrlich und glaubwürdig. Dass Liebe und Freiheit zusammengehören, das sollte symbolisch dargestellt werden durch das vorangestellte Zitat der Marseillaise.

„All You Need Is Love“ / The Beatles

„All You Need Is Love“ wurde als die Hymne der Gegenkultur der sechziger Jahre verstanden, auch wenn Musikjournalisten den Song als „schlicht und einfallslos“ kritisierten. Sogar der Song-Autor selbst äußerte sich später in einem Interview distanziert.
Lennon schien offenbar mit manchen seiner Songs unzufrieden zu sein.
Aber natürlich war er ein genialer Songschreiber und wurde von der Fachkritik zu recht als einer der besten Songautoren aller Zeiten hochgelobt, Doch er war auch sehr impulsiv und konnte in seinem Urteil ziemlich ätzend sein, sowohl gegen sich selbst aber natürlich auch gegenüber anderen. Und doch gibt es keinerlei Zweifel an seiner Klasse als Texter und Komponist. Man denke nur an seine Beatles-Songs wie z.B. „In My Life“ von 1965, der wie schon erwähnt von einer Jury von Fachleuten zum besten Song aller Zeiten gekürt wurde. Man denke an den psychedelischen Wahnsinns-Song „I Am The Walrus“, oder den verschachtelten Artpop-Titel „Happiness Is A Warm Gun“, oder den textlich assoziativen Rocker „Come Together“, oder an seinen Anteil am epochalen Beatles-Song „A Day In The Life“l, usw. Und nicht zu vergessen: sein Meisterwerk „Strawberry Fields Forever“, melodisch, harmonisch, klanglich und textlich eigensinnig und unverwechselbar, ein Meilenstein in der Popgeschichte.
„Strawberry Fields“ war der Name eines Waisenhauses in Liverpool.
In der Nähe dieses Waisenhauses der Heilarmee ist John Lennon aufgewachsen. In dem parkähnlichen, leicht verwilderten Garten des Grundstücks hatte sich John in seiner Kindheit oft aufgehalten, um zu spielen oder einfach nur, um für sich zu sein. Das Waisenhaus „Strawberry Fields” ist längst abgerissen. Doch der Song ist unsterblich und bleibt faszinierend „Forever“.

„Lennon ist ein Genius” sang Freddy Mercury 1982 im Lennon-Tribute Song „Life Is Real”, enthalten im Queen-Album „Hot Space”. Und Neil Young schrieb Lennon eine Songwidmung mit seinem Song „Peace and Love“ aus dem Album „Mirrorball“ von 1995. Im Text hieß es: „Ich sah den Traum, wir alle teilten ihn. ‚Peace and Love’ John Lennons Vermächtnis.“
Frieden und Liebe, das waren John Lennons große Themen auch auf seinen ersten Soloplatten. „Give Peace A Chance“ bleibt unvergessen, aber wichtiger war doch wohl sein Song „Imagine“.

„Lennon, der Prophet und Utopist“, wie man ihn Anfang der 70er Jahre nannte, wird durch keinen anderen Song besser symbolisiert. Der Titelsong des Albums „Imagine“ von 1971 ist und bleibt Lennons berühmtestes Lied. Mit einfachen Worten entwarf er die Utopie einer alternativen Gesellschaft, in der es keinen Nationalismus und falschen Patriotismus mehr gibt, keine sozialen Ungerechtigkeiten, keinen Hunger, keine Armut und keine Kriege. Auch wenn man ihn einen Träumer nennt, er glaubt daran, dass die Menschen eine Chance haben, in Frieden miteinander zu leben.
Am Tag nach seinem gewaltsamen Tod vor 40 Jahren war „Imagine“ weltweit der meistgespielte Song im Radio.

Die Grundidee zu friedensbewegten Songs war John Lennon bereits 1967 gekommen, als er von der Transzendentalen Meditation des Gurus Maharishi Mahesh Yogi sehr beeindruckt war. Das hatte sich dann 1968 im indischen Ashram des Gurus schlagartig geändert, weil der Maharishi dem nach Erlösung suchenden Lennon kein einfaches Rezept an die Hand geben konnte und, weil Johns Versuch zu meditieren, erst mal all seine inneren Dämonen zum Vorschein brachte und nicht den erhofften Seelenfrieden. Deshalb wandte er sich von der Nabelschau ab und suchte nach einem anderen Weg, sich und die Welt zu verbessern. Er wollte aktiv etwas tun und begann sich für politische Dinge zu interessieren.

John Lennon mit Megaphon (Photo-Graphic-Art: gerd Coordes)

Wie kam es zu John Lennons Politisierung? Wie ist die Entwicklung zu erklären, vom unpolitischen Beatle der frühen Jahre bis zu einer Art von Politaktivisten?
Die Politik war tatsächlich für ihn ein neues Feld, in dem er sich auch innerhalb der Beatles profilieren konnte, denn die anderen drei waren allenfalls am Rande interessiert, doch im Grunde eher unpolitisch. Yoko Ono, die sich ja mit ihrer eigenen Avantgardekunst im weitesten Sinne als politische Künstlerin verstand, sie soll keinen geringen Anteil daran gehabt haben, dass sich John allmählich politisch entwickelte: zum Verfechter gesellschaftlicher Veränderungen, zu einem Politaktivisten, der vom US-amerikanischen Geheimdienst fast wie ein Staatsfeind behandelt und bespitzelt wurde und den die Nixon-Administration unbedingt ausweisen wollte. In einem Interview von 1972 sagte er dies:

„Das war auch eine persönliche Entwicklung. Ich meine, ich war 25, so um den Dreh rum, und wir hatten mit unserem eigenen Leben genug zu tun. Da war so viel Druck und wir hatten kaum Zeit zum Nachdenken, ganz zu schweigen, darüber politisch zu werden. Aber uns war klar, dass wir einen Draht zur Jugend hatten, und dass wir Kleidung und Frisuren der Leute bestimmten, dass wir die Revolution verkörperten, an der wir zur damaligen Zeit beteiligt waren. Nur machten wir uns das nicht bewusst. Heute bin ich 31 und in vielerlei Hinsicht erwachsen. In Zeiten wie diesen musst du ein viel stärkeres politisches Bewusstsein haben. Es ist fast unmöglich, die Augen, davor zu verschließen.“, sagte John Lennon 1972.
1968 hatte er sich erstmalig in einem Song politisch geäußert. Doch sein Song „Revolution“ kam bei den anderen Beatles nicht sonderlich an. Warum?
Weil er darauf bestand, dass sein Song „Revolution“ als A-Seite der neuen Beatles-Single veröffentlicht werden sollte und nicht Pauls Song „Hey Jude“. John war davon überzeugt, dass seine politische Botschaft zu Zeiten der Studentenunruhen des Jahres 1968 weit wichtiger sei als ein Song mit einem nicht enden wollenden „Nanana“-Chor. Aber die anderen drei ahnten, dass „Hey Jude“ das Zeug zu einem Riesenhit hat und Johns „Revolution“ wahrscheinlich nur Ärger machen würde. Also verweigerten sie ihre Zustimmung, verbannten „Revolution“ auf die undankbare B-Seite der Single und John war stinksauer – auch wenn er durchgesetzt hatte, dass die Single angekündigt wurde als Platte mit zwei A-Seiten.
In seinem Songtext von „Revolution“ äußerte er sich auch über die Gewaltfrage. Hielt er es da mit den Radikalen, die den Umsturz forderten, im Sinne von: „Macht kaputt, was euch kaputt macht“ oder plädierte er für eine friedliche Veränderung?
In seinem Text heißt es:
„Du sagst, du willst eine Revolution, nun, wir alle wollen die Welt verändern. Du sagst, du hast die Lösung gefunden, wir alle würden gerne den Plan sehen. Aber wenn du von Zerstörung redest, solltest du wissen, auf mich kannst du nicht zählen.“
Für diesen Text wurde Lennon von den linken Aktivisten gescholten, wenn nicht gar angefeindet – obwohl Lennons Einstellung zur Gewaltfrage ambivalent war. In den verschiedenen Fassungen von „Revolution“ sang er unentschlossen mal nein, mal ja, bzw. nein/ja, auf die Frage, ob er Gewalt gutheiße. Im musikalischen Ausdruck war sein Song allerdings eindeutig und unmissverständlich. Wie eine Kettensäge, die wütend ihre Zähne ins Betonfundament des Establishments zu treiben versucht, so klingt die kreischende Verzerrergitarre, die den Song zornig vorantreibt. Dieser Sound klang tatsächlich nach Revolution.

„Revolution“ / The Beatles

Seine Politisierung setzte sich auf seinen ersten Soloplatten nach dem Ende der Beatles fort.
Seine Analyse im Songtext von „Working Class Hero“ aus seinem Album vom Dezember 1970 „John Lennon/Plastic Ono Band“ lautete: Im autoritären kapitalistischen System wirst du klein gehalten, unterdrückt, manipuliert und für dumm verkauft. Und böse urteilte er nicht nur über „die da oben“, sondern auch über die braven, blinden Kleinbürger: „Und du denkst, du wärst so clever, klassenlos und frei, aber tatsächlich seid ihr noch immer dumme Hinterwäldler, so wie ich es sehe.“ Gnadenlos watschte er sie ab, die kleinen Gernegroß-Leutchen. Aber er verteilte auch Lob, wenn auch mit ironischem Unterton: „Es bedeutet schon was, ein Held der Arbeiterklasse zu sein“.
Zum damaligen Zeitpunkt radikalisierte sich sein Denken. Mit den 60er Jahren und ihrer Flower-Power-Ideologie hatte er abgeschlossen. Jetzt konnte er nur noch mit Ironie und Spott zurückblicken:
„Vielleicht waren wir in den Sixties ja auch naiv, und wie Kinder ging jeder wieder auf sein Zimmer und sagte: ‚Die wunderbare Welt voller Blumen und Friede, Freude, Eierkuchen haben wir nicht bekommen. Und es war nicht immer nur hübsch und nett.’ So haben fast alle reagiert. ‚Wir haben nicht alles bekommen, was wir wollten.’ Wie Babys ... Und alle sind sie auf ihr Zimmer zurückgegangen und haben geschmollt. ‚Wir spielen nur Rock’n’Roll und sonst nichts. Wir bleiben auf unsern Zimmern. Und die Welt ist ein widerlicher, schrecklicher Ort, weil sie uns nicht alles gegeben hat, worum wir gewinselt haben.’ Oder? Darum zu winseln, war nicht genug. Was die Sixties wirklich geschafft haben, war, uns die Möglichkeiten und die Verantwortung zu zeigen, die wir alle hatten. Es war nicht die Antwort auf alle Fragen, aber wir haben einen Ausschnitt dessen zu sehen bekommen, was möglich ist.“, sagte John Lennon 1972 in einem Interview.

(Photo-Graphic-Art: Gerd Coordes)

Lennon konnte zynisch und grob sein, aber auch sehr empfindsam und sensibel. Er war auch gut im Austeilen und konnte ziemlich gemein und hämisch sein. Wie passt das zusammen?
Bei ihm waren das fast zwei Seiten einer Medaille. Wenn man John Lennon in seiner Gänze erfassen will, dann muss man auch das Thema „John Arschloch“ ansprechen.
Lennon war sich allerdings seiner Bosheit und latenten Gewalttätigkeit bewusst. In einem seiner letzten Zeitungs-Interviews von 1980 gestand er dies freimütig ein und sagte: „In meiner Jugend war ich ein Schläger. Ich konnte mit meinen Gefühlen nicht richtig umgehen, deshalb schlug ich zu, und auch verbal verletzte ich andere. Aus diesem Grunde befasse ich mich wahrscheinlich so oft mit dem Frieden.“ – Aber neben dem Frieden und der Liebe befasste er sich auch mit Missgunst, Hassgefühlen, kleinlichem Gezänk, Nachtreterei und dem Rumgezicke einer beleidigten Leberwurst. Sein Verhältnis zu seinem früheren Intimus Paul McCartney war ziemlich spannungsreich, um es vorsichtig auszudrücken.
Das war vielleicht sogar eine Art Hassliebe, was ihn mit Paul verband. Da gab es doch jenen Lennon-Song über Paul, der allgemein in die Kategorie „unter die Gürtellinie“ eingeordnet wird. Was war da los?
Das Verhältnis zwischen John und Paul war immer schon vielschichtig. Sie waren kreative Partner aber auch künstlerische Rivalen. Wer schreibt den besseren Song, hat die zündendere Idee, wessen Song bekommt die A-Seite der nächsten Single. Wer hat mehr Nr1-Hits geschrieben usw. Nur in ihrer Anfangszeit haben die beiden tatsächlich gemeinsam Songs geschrieben. Später halfen sie sich gegenseitig nur noch aus, wenn es mal hakte.
John war von Anfang an der Boss, er war es, der Paul in die Band geholt hatte. Aber Paul wurde immer stärker im Bandgefüge. John wurde zunehmend faul, hatte Probleme mit sich und den Drogen, während Paul der eigentliche Antrieb in der Band war. Entsprechend kam es unterschwellig zu Gerangel. Als John dann nur noch seine Yoko liebte, entzog er sich immer mehr der Verbindung zu seinem einstigen Freund und Konkurrent Paul. Was den schmerzte. Und von da an ging’s bergab mit der unproblematischen Freundschaft der beiden Partner und Rivalen.
Manches von diesem Frust steckt in dem Song „How Do You Sleep“, eine textlich fast peinliche Attacke auf seinen alten Kumpel Paul. Im Text blafft John: „Die Ausgeflippten lagen richtig, als sie sagten, du wärest tot. Das Einzige, was du jemals gemacht hast, war gestern (Yesterday). Deine Musik ist nur Fahrstuhlmusik in meinen Ohren, du müsstest doch etwas gelernt haben in all den Jahren. Wie schläfst du so?“

„How Do You Sleep“ / John Lennon

1974 sang John Lennon: „Niemand liebt dich, wenn du total fertig bist. Jeder liebt dich, wenn du sechs Fuß unter der Erde liegst
Alles was ich dir sagen kann, es ist alles nur Show-Geschäft. Jeder hetzt sich ab, für ’ne paar lumpige Kröten. Ich kratz dir den Rücken und du jagst mir ein Messer in den Rücken. Niemand liebt dich, wenn du total fertig bist. Dann liege ich in der Dunkelheit und kann nicht schlafen. Niemand liebt dich, wenn du alt und grau bist. Niemand braucht dich, wenn du komplett durcheinander bist. Jeder bejubelt nur seinen eigenen Geburtstag. Jeder liebt dich, wenn du sechs Fuß unter der Erde liegst“, so lauten einige Zeilen aus diesem Song „Nobody loves you when you’re down and out“, 1974 veröffentlicht im Album „Walls and Bridges“.

„Everybody loves you when you're six foot in the ground“.
Am 8. Dezember 2020 ist Lennons inzwischen schon vierzigster Todestag zu begehen. Dieses historische Datum ist derzeit wieder ein Medienereignis von ganz besonderer Priorität. Keine Zeitung, Zeitschrift, kein Musikblog im Netz, keine Rundfunk- oder Fernsehanstalt, die sich nicht mit diesem Thema beschäftigen würde. Und jeder Artikel, jeder Beitrag, jede Sendung nährt den Mythos Lennon und strickt weiter an der Legende. Nach seinem Tode setzte eine Verklärung von John Lennon ein, man könnte fast von einer kultischen Verehrung und religiösen Überhöhung sprechen, wie bei keinem anderen Popstar. Der Kult um John Lennon hat selbst die postume Heldenverehrung eines Elvis Presley noch übertroffen. Was wohl daran lag, dass Lennon nicht an einer Überdosis Rauschgift, oder an den Folgen eines exzessiven Rockstar-Lebens starb, sondern auf offener Straße abgeknallt wurde – und das nicht bei einem Raubüberfall oder als Folge eines Eifersuchtsdramas, was man irgendwie noch hätte einordnen und sich plausibel machen können. – Nein, ein Fan hatte ihn erschossen, nicht mal ein völlig geistesgestörter, aus der Klappsmühle entlaufener Psychopath, sondern ein psychisch labiler, typischer Loser, der mit Lennon überidentifiziert war und halt eine Knarre besaß, wie jeder andere US-Bürger mit mehr oder minder psychischen Problemen auch. Dieser absurde Mord schockierte vor allem, weil doch gerade Lennon es war, der für Frieden und Gewaltlosigkeit eintrat und nach der Beatles-Ära weltweit bekannt geworden war vor allem wegen seiner Friedenshymnen „Give Peace A Chance“ und „Imagine“. Warum also gerade er? Diese nicht plausibel beantwortbare Frage löste im Bewusstsein der Öffentlichkeit die „offene Wunde“ aus, die seit seinem Tod nicht mehr verheilt ist. Und das wird wohl auch der Grund sein, warum John Lennon auch heute noch geschätzt, oder gar verehrt wird – selbst von Menschen, die wenig von ihm wissen oder sicherlich nicht alles gut finden, was er als Künstler veröffentlicht hat. Wie weit hat sich der Mythos „Lennon Legend“ von der realen Person John Lennon inzwischen entfernt? Gibt es da überhaupt noch eine mögliche Trennlinie zwischen Legende und Wirklichkeit? Wer kann es wissen, wer John Lennon wirklich war? Diese Fragen waren der rote Faden in dieser Hommage für John Lennon von radio-rebell. Was bleibt, sind seine überwiegend großartigen, unsterblichen Songs und Zeilen wie diese: „Don't need to be alone. It's real love, it's real.“

Real Love

John Lennon hatte genialische Züge, vor allem als Songschreiber und Performer, aber auch als Autor dreier Bücher mit zum Teil wunderbar absurden und schräg-witzigen sprachspielerischen Kurzgeschichten. Er war ein politischer Aufklärer und ein Kämpfer für Humanität, Gerechtigkeit und Frieden. Seine Songs sind unverwechselbar, einzigartig, weil sich in ihnen sein Engagement, seine Zerrissenheit, sein Humor, seine Verletzlichkeit und Angriffslust, seine ganze schillernde, widersprüchliche, doch zutiefst menschenfreundliche Persönlichkeit spiegelt. Er war ein fantasiebegabter Schwärmer aber auch ein scharf beobachtender, kluger Zeitchronist.
Zu gerne hätte man gewusst, wie sich John Lennon heute zu Donald Trump und dem wachsenden Populismus, Nationalismus und Rassismus geäußert hätte. Er würde sich mit Sicherheit einmischen und wäre wahrscheinlich einer der Vordenker und Leitfiguren der Gegenbewegung.
John Lennon fehlt mehr denn je – als Mensch, als Musiker und Visionär für eine bessere Welt.
Und als heute 80-jähriger würde er in Zeiten der Corona-Pandemie mit Sicherheit auch einen Mund-Nasenschutz tragen. (Volker Rebell 08.12.2020)

John Lennon, Dakota Building (Photo-Graphic-Art: Gerd Coordes)