James Taylor – zum 75. Geburtstag

Mit seinen persönlichen, sensiblen Songs stieg er zu einem der erfolgreichsten Singer-Songwriter auf

Der Titel seines jüngsten Albums charakterisiert auch ihn selbst: „American Standard“

James Taylor ar Tanglewood (Foto: Paul-Keleher CC-BY-2.0 httpscreativecommons.orglicenses by2.0-via-Wikimedia-Commons

 

Seine exzellente Spieltechnik auf der Akustik- und E-Gitarre, seine klare, makellose Gesangsstimme, seine empfindsamen und entspannt vorgetragenen, in melancholisch warmen Tönen grundierten Songkompositionen und seine oft scharfsinnigen Texte, meist aus einer persönlichen Perspektive erzählerisch vermittelt, machen ihn nach wie vor zum Inbegriff des Singer-Songwriters.
Mit Feuer und Regen und darauf folgendem Dukatensegen begann seine Karriere. „Fire And Rain“ war seine Befreiung aus der Drogenhölle und sein erster Songerfolg 1970.
Heute ist James Taylor ein entspannter, abgeklärter Zeitgenosse und singt und schreibt nach wie vor sensible und hörenswerte Songs. Auf neue Eigenkompositionen wartet man allerdings jetzt schon seit 8 Jahren. In seinem jüngsten Album „American Standard“ (2020) veröffentlichte er eigene Bearbeitungen historischer Songs aus dem „Great American Songbook“. Mit der Interpretation dieser alten, traditionsschweren Songs scheint James Taylor auch seinen Frieden geschlossen zu haben mit jener Zeit, als er bedingt durch gesellschaftliche Verhältnisse und familiäre Belastungen durch seine tiefe persönliche Krise gehen musste.
So wählte er bewusst einen Songs aus dem Jahre 1949 aus, „You’ve Got To Be Carefully Taught“, in dem es um das Indoktrinieren von Kindern geht und um Rassismus. Der Song stammt aus dem Broadway-Musical „South Pacific“, dem ein gesprochener Text vorangestellt ist mit der Aussage, dass Rassismus „nicht in dir geboren wird! Es passiert, nachdem du geboren bist...".
James Taylor singt und arrangiert den Song auf seine ureigene Weise, so als hätte er den Song selbst geschrieben.

 

 

James Taylor, geboren am 12.03.1948,  stammt zwar aus einem begüterten und wohlsituierten Elternhaus, litt aber unter für ihn schwierigen familiären Bedingungen und war vor allem während seiner Adoleszenz ein Problemfall. Er hasste den militärischen Drill der Eliteschule, die er besuchen musste. Er riss aus, fand aber keine eigene Perspektive. Mit 17 unternahm er einen Selbstmordversuch, kämpfte mit schweren Depressionen, verbrachte 9 Monate hinter vergitterten Fenstern in einer psychiatrischen Klinik. Diesen Gittern kaum entronnen, stürzte er bald wieder ab, spritzte Heroin, stand dem Tod erneut sehr nahe und konnte sich nur mühsam aus seiner Suchtabhängigkeit befreien, woran seine wachsende Liebe zu einer gewissen Carly Simon offenbar nicht geringen Anteil hatte. Doch die Ehe mit Carly Simon hielt nicht auf Dauer. Auch eine zweite Ehe scheiterte später, jeweils begleitet von Sucht-Rückfällen. Doch mit jeder Katastrophe wuchs er ein Stück – wie er es später darstellte. Auf jeden Fall lernte er es, mit Abstürzen umzugehen und sie sogar mit einer Form von Humor und Selbstironie zu ertragen.
„Pass auf deinen Kopf auf, da ist ne Wurzel. Du musst deine Augen erst dran gewöhnen. Tut mir leid um deinen Mantel, aber gegen den Schmutz hier kann ich leider nichts machen.. Willkommen hier unten. Ich fühl mich hier wie zuhause, obwohl ich weiß, dass es aussieht wie in der Hölle, hier unten in meinem Loch. Mein Gott ist es tief, das Loch, und die Wände sind steil und glitschig und die Nächte sind lang und kalt hier unten im Loch. Licht und Liebe und die Welt da draußen sind dem Maulwurf vorenthalten“, so heißt es im Text des Songs „Down in the hole“ aus seinem 13. Studioalbum „New Moon Shine“ von 1991. – Mit Galgenhumor singt James Taylor über das depressive Gefühl, in einem tiefen Loch zu sitzen.

 

 

Gelassenheit und Melancholie, herzergreifende Sentimentalität und ein ebenso freundliches wie mild ironisches Lächeln, all das klingt aus der unspektakulären aber seelenvollen und irgendwie altmodisch zeitlosen Musik von James Taylor. Er ist der Inbegriff des US-amerikanischen Singer-Songwriters. Seit 55 Jahren singt er zu seiner eigenen Begleitung auf der Akustikgitarre mit einer klaren, schönen Stimme Lieder über seine eigenen Befindlichkeiten, seine Ansichten über Gott und die Welt. Seine Songs sind in der Regel nicht auf große pathetische Gesten, auf Dramatik oder Überrumpelung aus, sie verzichten auch auf heftige dynamische Spannungsbögen, da gibt’s nichts Aufgeplustertes, Überkandideltes, nichts Grobes oder gar Aggressives, nein, seine Songs fließen eher ruhig und entspannt in einem stetigen und doch lebendigen Flow und verfügen über eine Menge an Emotionalität und sensibler Energie. Kompositorisch entwickeln sich seine Songs aus Folk, Blues, Americana und Softrock und stehen nicht selten in der Tradition des Great American Songbook. Große musikalische Experimente darf man von seinen Alben nicht erwarten. Auch das bislang letzte Album mit eigenen Songkompositionen „Before This World“ von 2015 reiht sich in die Kontinuität der vorangegangenen 16 Studioalben nahtlos ein. Und doch ist es nicht so, dass es keine Überraschungen bei James Taylor gäbe. Im Song „Watchin Over Me“, der von Taylors Suchtabhängigkeit und seinen Depressionen in den späten 60er Jahren handelt – und vor allem von der Überwindung der Sucht und von seiner Genesung handelt – in diesem Song, der locker groovt und rockt und mit schön gesetzten Chorstimmen arbeitet, da kommt plötzlich nach etwa eineinhalb Minuten bei der Songzeile „I Learned My Lesson Again“ ein überraschender harmonischer Wechsel zwischen Chor und Sänger, der so nicht zu erwarten war. Darauf folgt eine Passage mit Country-Fiddle, die dennoch nicht in Richtung eines puristischen Countryrock abdriftet. Die Schlusserkenntnis lautet: „Ich denke, ich sollte sagen, es ist heute ein schöner Tag. Nett anzunehmen, es könne immer so sein“.

 

 

In diesem Song „Watchin’ Over Me“ erinnert sich James Taylor an dunkle Zeiten vor 50 Jahren, als er high war, als er log und betrog und Unheil anrichtete, weil er Heroin-abhängig war. Und er erinnert sich ebenso, wie er seine Sucht überwand durch Hilfe von Freunden und Geschwister, die über ihn wachten. Der Text ist ehrlich, nicht beschönigend, aber auch nicht vorwurfsvoll, sondern unaufgeregt, verständnisvoll und zum Schluss sogar leicht ironisch, wenn er auf Methoden der Selbstsuggestion in der Verhaltenstherapie verweist: sag dir doch einfach, es ist heute ein schöner Tag und schon geht’s dir besser.
Als sich selbst therapierender, an der Welt leidender und die Natur verehrender Romantiker erweist sich James Taylor im Song „Montana“ – ebenfalls enthalten im letzten Album mit eigenen Songs „Before This World“. Da schwärmt er vom friedlichen Leben weit weg von Trubel und Hektik hoch oben in den Bergen, im tiefen Schnee, in einer kleinen Hütte über dem Tal, eingekuschelt unter der Decke mit seiner Liebsten. Doch der Text enthält nicht nur Natur-Romantizismen sondern auch grundsätzliche Gedanken, wenn er singt, er sei eigentlich nicht smart genug für das Leben, das er lebe, er sei im Grunde zu langsam für die hohe Schlagzahl des Spiels um ihn herum. Staunend betrachtet er die majestätischen Berge, versucht sich die gigantischen Kräfte vorzustellen, die das Gebirge aufgetürmt haben. Er singt: „Tektonische Schöpfung, Erosion, Mutation, etwas, das dem Auge Gottes gefällt. Die Welt ist ein Wunder aus Blitz und Donner. Die Erde war grün als wir Menschen vom Himmel fielen. Alte und neue Gesichter, Stämme und Rassen. Tausende von Orten, die entstehen konnten. Von hier über die Ozeane, über die Gebirge. Der eine lässt sich nieder und wartet, der andere wandert weiter, der nächste verschwendet seine Zeit mit einem Leben auf der Straße, über die Berge und das weite Meer. Die Welt ist in Bewegung und kann nicht gebremst werden. Wir haben ein paar Freunde aber nicht viele Nachbarn. Die Fahrt in die Stadt kostet uns fast den ganzen Tag. Außer ‚Hallo’ und ‚Es ist schön, dich zu sehen’ muss nicht viel mehr gesagt werden“, so heißt es im Text.
Die Musik zu diesem Text ist ein langsamer Walzer mit einem harmonischen Ablauf, der alles bestätigt, was man von James Taylor schon kennt. Und doch laufen einem schöne Schauer über den Rücken und man ist berührt, wenn die Chorstimmen auf die Refrainzeile „Over the ocean“ mit der lang ausgekosteten Silbe „Oh“ antworten. Das ist ein staunendes „Oh“, ein bejahend, bestärkendes „Oh“ - vielstimmig gesungen. Oh, ist das schön.

 

 

„Montana“ ist ein friedvoller, romantischer Song mit einem hoch fliegenden Chor aus dem Album „Before This World“. Irgendwer hat einmal geschrieben, James Taylor sei ein Sänger, dem die Friedenstauben nur so aus den Ärmeln flögen. Aber der romantische Singer-Songwriter James Taylor kann auch ganz anders. Im ebenfalls aus dem letzten Album mit eigenen Kompositionen stammenden Song „Far Afghanistan“ kreiert er eine originelle Klanglandschaft, mit fast hörspielartigen Elementen. Klangprägend ist das nach exotischer Oboe klingende Blasinstrument Shenai, ein fernöstliches Doppelrohrblattinstrument, das im Refrain melodisch Akzente setzt. Auch ein kurzer Chor tiefer Männerstimmen in afghanischer Sprache vermittelt Authentizität. Den Rhythmus liefert eine militärisch klingende Marsch-Trommel. Der Text aus der Perspektive eines US-amerikanischen Soldaten, der an den Hindukusch geschickt wird und nicht weiß, wofür er kämpft, spricht die seit Jahrzehnten, sogar seit Jahrhunderten andauernden Kämpfe in Afghanistan an. Sie kämpften gegen die Russen, sie kämpften gegen die Briten, sie kämpften schon gegen Alexander den Großen und sprechen noch heute davon. Und nach Nine-eleven kam Uncle Sam, eine weitere schmerzliche Lektion für Afghanistan. James Taylors Resümee ist, man kann den afghanischen Stämmen keine ihnen fremde Ordnung aufzwingen und er stellt fest: alle Kämpfer und Soldaten beten zu ihrem Gott.

 

 

„Far Afghanistan“ ist vielleicht der beeindruckendste, auf jeden Fall der außergewöhnlichste Song des James Taylor-Albums „Before This World“.
Er fühle sich wie ein Bote aus einer anderen Zeit, sagte James Taylor zur Veröffentlichung dieses seines Albums „Before This World“, das im Juni 2015 erschien. Den Albumtitel wolle er so verstanden wissen, dass er in einer Welt vor der jetzigen zu dem wurde, der er heute sei. Die Welt der sechziger Jahre habe ihn nun mal geprägt. Und diese Prägung verleugnet keiner seiner Songs, die in den letzten 55 Jahren von ihm veröffentlicht wurden. Insofern kann man sagen, auch in seinem aktuellen Album pflege er einen altmodischen Stil. Mit gleicher Berechtigung lässt sich behaupten, diese Songs haben eine zeitlose Qualität.
Dass noch immer ein Bedürfnis an seinen nur scheinbar altmodischen Songs besteht, bewies der immense Erfolg seines siebzehnten Studioalbums „Before This World“, das in den USA Platz 1 der Billboard-Charts belegte und in England Platz 4 erreichte. 13 Jahre lang hatte er sich für dieses Album Zeit gelassen. Sein 16. Studioalbum war im August 2002 erschienen. Das Titelstück „October Road“ beschreibt jenes alte sentimentale Widerspruchs-Gefühl, ich wäre am liebsten weg und bliebe am liebsten hier.

 

 

Studiogrößen, renommierte Musiker wie Ry Cooder, Clifford Carter, Steve Gadd und John Landau begleiteten James Taylor bei dessen Titelstück des Albums “October Road” von 2002. Die beiden letzt genannten Musiker gehörten auch zur Begleitgruppe bei der Einspielung des Albums „Before This World“.
Zu seinen bemerkenswertesten Alben gehört sicher „One Man Band“ das im November 2007 als Live-CD und –DVD erschien, beinhaltend eine Art Best-Of-Werkschau, begleitet nur von einem Keyboarder und ab und an auch von einem Chor, ansonsten nur James Taylor pur, Gesang und Gitarre. Als Novität enthält die DVD auch die launigen humorvollen Ansagen von James Taylor. Er, der früher eher wortkarg bei seinen Konzerten war, tritt hier geradezu als Entertainer auf, zeigt Dias, die Bezug zu seinen Songs haben und erzählt teilweise sehr witzig und ironisch, wie die Songs entstanden, wodurch sie beeinflusst wurden. Und auch Privatimes gibt er Preis, erzählt, dass Joni Mitchell mehr als nur Background-Sängerin auf seinem größten Hit „You’ve Got A Friend“ gewesen sei, zur damaligen Zeit wäre sie seine „bitch“ gewesen, sagt er wörtlich und fügt hinzu, das klinge hart, aber er sei ja damals auch für sie eine Art „bitch“ gewesen. Unter anderem erzählt er auch die Geschichte, wie er auf den Song „The Frozen Man“ gekommen sei. In einem Artikel der „National Geographic“ habe er ein Foto von dem Mann aus dem Eis gesehen und dieses Foto, das er auch als Dia auf der Leinwand zeigt, habe ihn so sehr beeindruckt, dass er darüber diesen Song geschrieben habe, obwohl er eigentlich gar nichts über den Mann aus dem Eis wusste, er habe sich nur die Fotos und die Bildunterschriften angeschaut, aber das habe schon gereicht, meint er launig, um darüber zu singen. Den historischen Hintergrund zeigt er im Konzert auf dem Foto eines Zeitungsartikels, dem zu entnehmen ist, dass der „Frozen Man“ im Jahre 1845 bei einer Polarexpedition erfroren sei und im Packeis konserviert war, bis man ihn 147 Jahre später entdeckte, fotografierte und auftaute. Was James Taylor zur Bemerkung veranlasste, auch wenn man lange vor der Entwicklung der Fotografie gestorben sei, könne man doch nicht vor Fotografen sicher sein. Im Text seines Songs heißt es: „Das letzte woran ich mich erinnere, ist die frierende Kälte, Wasser, das mich als ganzes verschluckt. Eis auf der Takelage und das Heulen des Windes, der Schock, als wir da hineinfielen. Meine Brüder und die anderen waren auf hoher See verschollen, nur ich kam zurück, um euch zu berichten. Ein Jahrhundert war ich im Eis begraben, nun hat die Welt mich wieder. Gott möge sich des Mannes aus dem Eis erbarmen. Die ersten Worte, die ich hörte, eine Krankenschwester fragte nach meinem Namen. Ganz in weiß stand sie an meinem Bett, ich sagte: Oh du mein Engel, lebe ich, oder bin ich tot? Ich heiße William James Mac Phee, im Jahre 1823 geboren. Ich wuchs in Liverpool am Meer auf, aber das bin ich nicht mehr. Gott habe Erbarmen mit mir, ich bin der Mann aus dem Eis. Mein Herz wieder in Gang zu bringen kostete viel Geld, sie reparierten mein Bein, kauften mir ein neues Auge. Die Zeitungen sagen, ich sei auf dem Stand der Technik und die Kinder, wenn sie mich sehen, fangen an zu weinen. Wenn ich tot bin, lasst nichts von mir übrig, nichts woran sie noch herumwerken könnten. Ich weiß, was erfrieren bedeutet, mit jedem Atemzug ein bisschen mehr Leben aushauchen, sich vom Leben auf der Erde verabschieden, um wieder zurückzukehren. Möge Gott sich erbarmen, ich bin der Mann aus dem Eis.“

 

 

James Taylor live im Juli 2007, aufgenommen im Colonial Theatre, einem alten Theater im klassizistischen Stil in Pitsfield, in den Berkshires im westlichen Massachusetts, wo James Taylor überwiegend lebt. Veröffentlicht auf seinem Doppelalbum „One Man Band“, das den Konzertmitschnitt auf Audio-CD und auf DVD dokumentiert. Die DVD enthält neben den Geschichten und humorvollen Anekdoten, die zum Teil länger sind als die eigentlichen Songs außerdem noch teils witzige Outtakes, in denen James Taylor sich mal selbst, mal Bob Dylan parodiert oder einen seiner Songklassiker veralbert. Das Songmaterial des Doppel-Albums versammelt die großen Hits und wichtigen Songs seiner damals 40-jährigen Karriere. Originell wird diese Song-Revue vor allem durch seine Zwischentexte und die Foto-Geschichten, die er erzählt. Das ist wirklich höchst amüsant. Mit diesem Live-Programm „One Man Band“ ging James Taylor im März 2008 auf eine ausgedehnte Europa-Tournee und kam auch für zwei Konzerte nach Deutschland. Ab Mai dieses Jahres geht James Taylor erneut auf eine ausgedehnte Tour durch die USA und kommt im Juli auch nach Europa, doch er wird nur in Großbritannien und Italien auftreten, Deutschland steht bislang nicht auf seinem Tourplan. Hier in Deutschland war er zuletzt 2015 auf Tour. Zu seinem aktuellen Live-Programm gehört nach wie vor sein schöner Song „Line’ Em Up“ aus seinem mit einem Grammy dekorierten Album „Hourglass“ von 1997. Auch über diesen Song, den wir gleich in der Studiofassung hören, erzählte er in seinem Konzert „One Man Band“ eine Menge, zeigte Fotos von Richard Nixon, von dessen Abdankung die erste Songstrophe handelt. Süffisant meinte James Taylor im Konzert, daran hätte sich auch ein anderer Präsident ein Beispiel nehmen sollen. Diese Anmoderation seines Songs „Line ’Em Up“ war hochgradig amüsant, reichte von dem Sektenführer Moon bis zu den Koteletten von Elvis, der auf einem Foto zu sehen war, wie er Nixon die Hand schüttelt. Im Text des Songs „Line Em Up“ heißt es: „Ich erinnere mich an Richard Nixon 1974 und an das Finale vor der Tür des Weißen Hauses. Das Personal bildete ein Spalier zur Verabschiedung. Mit winzigen Tränen in seinen kleinen, verschlagenen Augen sagte er, niemand kennt mich wirklich, niemand versteht mich. Die kleinen Leute waren gut zu mir, ich schüttle ein paar Hände. Stellt sie auf, alle der Reihe nach.“

 

 

Nixon schreitet händeschüttelnd die Reihe seiner Mitarbeiter vor dem Weißen Haus ab, bevor er dann in den Hubschrauber steigt und für immer aus der US-amerikanischen Politik verschwindet. Das ist der Inhalt der ersten Strophe, des Songs „Line ’Em Up“. Und das ist wunderbar, wie James Taylor von dieser Nixon-Episode schließlich zu den Liebespaaren kommt, die durch den Sonnenuntergang flanieren und dann von dem Sektenführer Moon in einer Reihe aufgestellt und verheiratet werden. Und kleine Ereignisse mehr beobachtet er und berichtet davon, so als würde er in einem Buch voller Geschichten lesen und Seite für Seite umblättern, eine nach der andern, „Line ’Em All Up“,
Was ist das ganz Besondere an diesem Singer-Songwriter? Einerseits seine wunderbare Art kleine Geschichten zu erzählen, andererseits auch sein besonderes musikalisches Gespür für Feinheiten und Nuancen. Der Song „Line Em Up“ kann dies deutlich hörbar machen mit dem beschwingt und locker tänzelnden Refrain, den sanft melancholischen Strophen, dem emotional kräftigen Zwischenthema und immer wieder seiner exquisiten Fingerpicking-Gitarrentechnik. Doch wohl vor allem dürfte das ganz Besondere seine Stimme sein, die ungekünstelt und klar ist, nichts Spektakuläres oder gar Sensationelles hat. Sie ist keine „Big Voice“, die die Wände stimmgewaltig wackeln lässt, oder in der heiligen Tradition der Blues-Shouter stehen würde. Diese Stimme kommt auch nicht mit großem Gestus daher, inszeniert sich weder mit Inbrunst noch mit Pathos. Diese Stimme verfügt nicht einmal über besondere Phrasierungskünste oder einen großen Tonumfang, aber sie verfügt über das Allerwichtigste, was eine Stimme auszeichnet: Ausstrahlung, Ausdruck und Persönlichkeit. James Taylors Stimme ist natürlich, offen und ehrlich, klingt zutiefst menschlich, hat Wärme und Seele. Die Präsenz seiner Stimme, diese bittersüße Strahlkraft seines Gesangs ist gut hörbar in seinem Song „My Travelling Star“ über Ausreißer, ewig Suchende und Menschen mit Fernweh, die am liebsten weg wären und doch am liebsten Heimat finden würden - ein bei ihm immer wiederkehrendes Thema. James Taylor singt diesen schönen Song auf seinem Live-Album „One Man Band“ gemeinsam mit dem Tanglewood Festival Chor.

 

 

Neben Bob Dylan hat James Taylor das Singer-Songwriter-Idiom geprägt wie kaum ein Zweiter – musikalisch-inhaltlich wie kommerziell. Sein Greatest Hits-Album von 1976 ist mit 11 Millionen das bis dato bestverkaufte Album eines Singer-Songwriters.
Natürlich gab es vor ihm schon Dylan und Donovan, Simon & Garfunkel und andere, aber seine autobiographischen Gitarrenballaden hatten eine zuvor kaum gekannte Intensität und Intimität gleichermaßen. Fast privatim, auf jeden Fall ehrlich und ungekünstelt, klangen seine Selbstreflexionen und Lebensbeichten in Songformat. Seine ersten schmerzgetränkten Gitarrenballaden von 1969/70 haben die Tür geöffnet für das, was wir heute als Singer-Songwriter-Stil kennen. Auch die verhalten rockige Variante hat er immer schon gepflegt. So auch im sogar leicht jazzig angehauchten Song „Ananás“, in dem er auch einige französische Zeilen und eine italienische Zeile singt. In welcher Sprache auch immer, es geht meist um das große Thema Liebe. Die vokale Signal-Zeile dieses Songs besteht nur aus 3 Silben, die auf einem Ton gesungen werden. „A-na-na“ singt James Taylor mit einer Eindringlichkeit und Bestimmtheit, dass es einem durch und durch geht. Nur 3 Silben auf einem Ton, aber sie klingen wie ein sehnsüchtiger Ruf, der Geliebten hinterhergerufen, die sich langsam entfernt.

 

 

Da geht er alleine und denkt an sie .... ein schönes Solo auf der E-Gitarre von Bob Mann und edle Saxophoneinwürfe von Michael Brecker enthält dieser Song „Ananas“ aus dem Grammy-album „Hourglass“.
Trotz der Gefühlstiefe und Boden-Schwere mancher seiner Text-Themen kommen seine Songs meist fast leichtfüßig daher, mitunter geradezu beschwingt. Der seit heute 75-jährige hatte sich trotz aller persönlicher Krisen eine fast kindliche Unbekümmertheit erhalten. Durch seine sensible Song-Melancholie schimmert immer ein mildes Lächeln hindurch. Die Grundstimmung vieler seiner Songs ist von großer Harmonie-Sehnsucht getränkt. Könnte man sie auswringen, es würden Tränen des Schmerzes und der Freude gleichermaßen zum Vorschein kommen. Manche Songs klingen im übertragenen Sinne so, als würde emotional eine Szene geschildert, in der ein Kind vor sich hinschluchzt, weil es sich die Knie aufgeschlagen hat und der Vater steht tröstend daneben, streichelt sein Kind und versucht es aufzumuntern. So etwa klingt es in seinen jüngsten Liedern aber auch in denen, die vor 55 Jahren veröffentlicht wurden.
Einen dieser Songs von damals singt er noch heute. Im Text heißt es:
„Da ist etwas in der Art, wie sie sich bewegt, oder zu mir hersieht, oder meinen Namen sagt, das den Kummer dieser Welt hinter sich zu lassen scheint. Und wenn ich mich kaputt und traurig fühle, oder irgend eine dummes Spiel mich bekümmert, scheint sie mich immer auf andere Gedanken zu bringen.“

 

 

Zu seinen ersten Songs, die James Taylor vor 55 Jahre geschrieben hatte, zählte „Something In The Way She Moves“, den er in London dem Produzenten Peter Asher vorgestellt hatte. Asher war zuvor selbst Sänger im Duo Peter and Gordon und außerdem der Bruder von Paul McCartneys damaliger Freundin Jane Asher. Peter Asher zeigte sich von James Taylors Songs sehr angetan und spielte sie Paul McCartney und George Harrison vor, die daraufhin zustimmten, dass James Taylor für das gerade neu gegründete Beatles-eigene Label Apple unter Vertrag genommen wurde. Während die Beatles ihr „White Album“ aufnahmen, durfte James Taylor im gleichen Studio seine eigenen Songs aufnehmen, die dann im Dezember 1968 auf James Taylor’s Debut-Album erschienen. Die Titelzeile seines Songs „Something In The Way She Moves“ tauchte im September 1969 auf dem Beatles-Album „Abbey Road” wieder auf – und zwar im Songtext des George Harrison-Songs „Something”, dessen erste Zeile exakt genauso lautet: „Something In The Way She Moves“. Zufall oder nicht, James Taylor hatte nicht viel vom Plattenvertrag mit Apple, außer dem Renommee, auf dem Beatles-eigenen Label veröffentlicht worden zu sein. Apple, damals noch chaotisch organisiert, tat nicht sonderlich viel für das erste Album von James Taylor; entsprechend blieb das Album wenig beachtet.

 

James Taylor (Foto: Columbia-Records-Public-domain-via-Wikimedia-Commons

Im November 1970 erschien bei einer anderen Plattenfirma dann sein zweites Album „Sweet Baby James“, das vielen auch heute noch als sein wichtigstes gilt. Auf jeden Fall schaffte er damit den kommerziellen wie künstlerischen Durchbruch. Über zwei Millionen Exemplare wurden verkauft, trotz teils textlich schwerer Kost. Schwere Lasten hatte er damals auf seinen Schultern getragen und in seinen Songs transportiert: Depressionen, Drogensucht, Selbstmordversuch: er hat alles durchgemacht in den späten 60er Jahren – und auch später immer wieder mal. Er war durch Feuer und Regen gegangen, wie es im erfolgreichsten Titel aus dem „Sweet Baby James“-Album heißt: „Jesus hilf mir, dass ich’s durchstehn kann, hilf mir, dass ich auch diesen Tag überleben kann. Mein Körper schmerzt und ich hab nur noch wenig Zeit. Und auf andere Art schaff ich’s bestimmt nicht mehr. Ich hab Feuer erlebt und Regen und Tage voller Sonne, von denen ich dachte, sie würden niemals enden. Ich habe einsame Zeiten ohne einen Freund erlebt. Aber ich dachte immer, dich würde ich wiedersehen.“

 

 

Heute ist James Taylor ein entspannter, abgeklärter Zeitgenosse und singt und schreibt nach wie vor sensible und hörenswerte Songs. Er betreibt inzwischen ein eigenes Webradio: „James Taylor Radio“, in dem er neben eigenen auch Songs von anderen Singersongwritern spielt, die mit ihm stilistisch verwandt sind.
Mit seinem berühmten Song „Fire And Rain“, der als Single im Februar 1970 veröffentlicht und als ein glaubwürdiger Anti-Drogen-Song wahrgenommen wurde, weil der Text autobiographisch war, begann James Taylors unvergleichliche Karriere, die ihn mit über 100 Millionen verkaufter Tonträger zu einem der kommerziell erfolgreichsten Singer-Songwriter aller Zeiten werden ließ. Er spielte mit den besten Begleitmusikern, die die Musikerszene zu bieten hatte. Darunter auch der kürzlich verstorbene Multiinstrumentalist David Lindley, der in James Taylors Song „Nothing Like A Hundred Miles“ aus dem Album „In the Pocket“ (1976) die Dobro spielte.

 

 

Zeitweise betrieb er ein eigenes Webradio: „James Taylor Radio“, in dem er neben eigenen auch Songs von anderen Singer-Songwritern spielt, die mit ihm stilistisch verwandt sind. Zur Playlist seines eigenen Radios gehörte auch das Titelstück seines Albums „Before This World“, bei dem er von Starcellist Yo-Yo Ma und Co-Sänger Sting begleitet wird.

 

 

PODCAST:
Hier ist ein Zusammenschnitt meiner Radiosendung vom 08.03.2018 zum 70. Geburtstag von James Taylor zu hören. Ein Großteil des vorstehenden Blog-Textes entstammen dem Manuskript dieser Sendung. (Volker Rebell)