Humanist, Hippie, Held von Woodstock und Hauptakteur in Sachen Latin-Rock – Carlos Santana zum 75. Geburtstag

Carlos Santana (Credits: Eva Rinaldi, CC BY-SA 2.0 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0>, via Wikimedia Commons)

 

Er ist einer der wichtigsten, weil stilbildenden Gitarristen der Rockgeschichte. Darüber hinaus darf man ihn als eine der positiven Persönlichkeiten im internationalen Showbusiness ansehen. Am 20. Juli wird der „mexikanisch-amerikanische Stilgrenzgänger zwischen Latin-Groove, Impro-Spirit und Gitarrenvehemenz“ (SZ) Carlos Santana seinen 75. Geburtstag feiern.
Die Santana-Fangemeinde musste kürzlich einen Schreck verkraften. Am 6. Juli wurde gemeldet, dass Carlos Santana einen Schwächeanfall erlitten hatte und auf offener Bühne während eines Konzertes in Michigan kollabiert war. Wenig später meldete er sich mit einer Entwarnung selbst zu Wort, er habe vergessen zu essen und Wasser zu trinken. Die große Hitze und Flüssigkeitsmangel habe ihm zu schaffen gemacht, ergänzte sein Management. Auch wenn es „nur“ eine kurze Ohnmacht infolge von Dehydrierung war, machen sich viele Fans Sorgen wegen seines Alters und seiner in jungen Jahren nicht immer gesunden Lebensführung. Doch ab Anfang August will er seine kurz unterbrochene „Miracolus Supernatural“-Tour fortsetzen und die ausgefallenen Juli-Konzerte nachholen.
Und er hat noch so viel vor, wie er mit der Veröffentlichung seines jüngsten Albums „Blessings and Miracles“ im Oktober 2021 verkündete: er plane ein Projekt mit Derek Trucks und Eric Clapton und könne sich auch ein Duo-Album mit Steve Winwood vorstellen. Mit Winwood hatte er für sein aktuelles Album den Procol Harum-Songklassiker „A Whiter Shade Of Pale“ bemerkenswert neu interpretiert.

 

 

50 Jahre nach dem Debütalbum von 1969 erschien am 7. Juni 2019 mit „Africa Speaks“ das 25. Studioalbum von Santana, produziert von Rick Rubin, der schon den Red Hot Chilli Peppers, Metallica, Johnny Cash und Lady Gaga zu Erfolgsalben verhalf. „Africa Speaks“ wollte Carlos Santana als Hommage verstanden wissen an seine musikalischen Wurzeln, die er selbst in Schwarzafrika verortet.
In seiner für „Africa Speaks“ neu zusammengestellten Band stach ganz besonders die Sängerin Buika hervor, die das afrikanische Erbe durch ihre Familie vermittelt bekam. Ihre Eltern stammen aus Äquatorial-Guinea. Buika trug zum musikalischen Erfolg des Albums „Africa Speaks“ nicht nur durch ihre vokale Klasse bei, sondern auch durch ihr Wissen um die afrikanische Poesie. Buika schrieb die meisten Texte des Albums, so auch beim Song „Batonga“. Musik: Carlos Santana, Text: Buika

 

 

In Englisch, Spanisch und afrikanisch singt die Sängerin Buika im Santana-Song „Batonga“ aus dem Album „Africa Speaks“. Im Text geht es um Sinnsuche, um die alltäglichen Kämpfe um Liebe und das Überleben. Und um eine Art spirituelle Heimat, die man nicht verlieren möchte, die nicht abhanden kommen soll: „Batonga please don’t go away“. In einem Zeitungs-Interview zum Album „Africa Speaks“, abgedruckt im Rockmagazin eclipsed, sagte Carlos Santana: „Hoffnung, Mut und Liebe sind die wichtigsten Werte auf der Welt, und sie sind auf ‚Africa Speaks’ stets gegenwärtig. Das Album versprüht Lebensfreude und Zuversicht.“
Carlos Santana ist ein überaus positiv eingestellter Mensch. Er ist ein spiritueller Humanist. das drückt sich in allen seinen Interviews, in seiner Musik und seinen Songtexten aus. Welches Album seiner 52-jährigen Plattenkarriere man auch immer herausgreift, überall finden sich Aussagen zu Friede, Liebe, positiver Kommunikation, Sich- selbst-finden und Eins-werden mit der Welt. In jeder seiner Gitarrenimprovisationen hört man melodiöse Themen, die kreative Fantasie und Kraft ausdrücken und gleichzeitig positive Energie und Lebensfreude spüren lassen.

 

Cover Santana IV

Im April 2016 erschien das Album Santana IV. Es war mit den meisten Musikern aus der Santana-Originalbesetzung von 1969 und den frühen 70er Jahren aufgenommen worden. Und was sie gemeinsam zustande brachten, war alles andere als das Routinealbum einer Senioren-Combo auf dem Retro-Trip. Natürlich klang vieles im Sound und in der Stilistik nach Retro, was auch durchaus gewollt war, aber die Magie von damals stellte sich tatsächlich wieder ein.
Hier traf eine Musikergruppe nach langer Zeit wieder aufeinander, die offensichtlich Freude daran hatte, erneut miteinander zu musizieren. Und dass es so gut klappte, lag wohl auch daran, dass man sich selbst nach Jahrzehnten noch gut kannte und um die Stärken und Eigenarten des Andern wusste.
Aber wieder zurück zu Santanas textlichen Hauptthemen, zu seiner Botschaft, die ihm seit über fünf Jahrzehnten wichtig ist. Im Text des Songs „Freedom In Your Mind“ aus dem Album „Santana IV“ heißt es in typischer Santana-Manier: „Genieße es, dein Leben zu leben, liebe das, was du tust. Dein Licht scheint, wo immer du bist. Die Welt ist Heimat. Wir alle sind eine Familie. Ist dein Geist frei, kann es jeder sehen. Das Leben wird niemals nur Elend sein. Wir können die Welt verändern und Frieden schaffen. Die Kinder überall brauchen ihre Freiheit. Die Frauen überall brauchen Sicherheit. Wir dürfen nicht weglaufen. Wir müssen standhalten und dann machen wir aus jedem Tag einen Feiertag.“
Auf die Frage eines Interviewers, ob er, Carlos Santana ein Träumer sei, kam die Antwort: „Ja, definitiv. Ich träume von einer Welt, in der das Mitgefühl regiert und die Menschen einander unterstützen“.

 

 

Ein musikalisches Zitat an den frühen Santana-Hit Jingo war hier unverkennbar zu vernehmen. Der Sänger bei diesem Song „Freedom in Your Mind“ war Ronald Isley von den Isley Brothers.
Wer kennt die Santana-Brothers? Tatsächlich gibt es ein Album aus dem Jahre 1994 mit eben diesem Titel „Santana Brothers“. Carlos Santana spielte gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder Jorge Santana und seinem Neffen Carlos Hernandez – beide sind ebenfalls Gitarristen – insgesamt 11 Stücke ein, die überwiegend von den drei Santana-Familienmitgliedern geschrieben wurden. Doch die Unterschiede zwischen den drei Gitarristen ist doch recht groß. Der jüngste des Trios, Neffe Carlos Hernandez, ist Metal-Fan und übt sich im Schnellspurt über das Griffbrett. Bruder Jorge ist ein solider Rhythmusgitarrist; nur Carlos Santana brilliert in diesem Trio mit herausragender gitarristischer Klasse. Das Album der Santana Brothers ist trotz der gitarristischen Könnerschaft von Carlos Santana nicht unbedingt ein Album, das man unbedingt gehört haben müsste. Als Dokument einer familiären Zusammenarbeit verdient es allerdings eine wohlwollende Erwähnung.

 

 

Carlos Santana ist ein Familienmensch. Hier musizierte er zusammen mit seinem Bruder und seinem Neffen auf dem Album „Santana Brothers“ von 1994. Im gleich folgenden Titel sind ebenso Familienmitglieder beteiligt. Und zwar auf dem Santana-Album „Africa Speaks“ von 2019. Zur damals neu zusammengestellten achtköpfigen Begleitgruppe von Carlos Santana zählten auch seine zweite Frau, die Schlagzeugerin Cindy Blackman-Santana und sein Sohn aus erster Ehe Salvador Santana an den Keyboards. Doch am auffälligsten in der Begleitgruppe von Carlos Santana war die neue Sängerin Buika. Sie ist neben dem erneut großartig aufspielenden Carlos Santana der Star des Albums und die eigentliche Entdeckung.

 

Concha Buika (credits: Tukes at English Wikipedia, CC BY-SA 3.0 <http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/>, via Wikimedia Commons)

 

Wie schon erwähnt, wurden fast alle Texte des Albums von ihr geschrieben, der
in Palma de Mallorca geborenen, heute in Miami lebenden Sängerin Concha Buika, deren Familie aus der ehemals spanischen Kolonie Äquatorialguinea stammt. María Concepción Balboa Buika, wie die Sängerin mit komplettem Namen heißt, wurde von Gitanos musikalisch sozialisiert. Entsprechend ist die Musik ihrer eigenen sechs Alben eine Mischung aus Flamenco, Gipsy-Soul, Jazz und Funk. Diese Mixtur brachte sie mit ihrer „ebenso geheimnisvoll dunklen wie intensiven Stimme“ in das afrikanische Santana-Album mit ein. Buika „eröffnet für Santana eine weitere Dimension. Denn plötzlich wird einem bewusst, wie nahe zusammen Spanien, Afrika, Kuba und Brasilien eigentlich liegen. Buika bildet die Brücke zwischen Europa und Afrika, Miami und den karibischen Inseln, aber auch zwischen der Neuen und Alten Welt. Gleichzeitig macht sie das Afrikanische noch afrikanischer“ - schrieb absolut zutreffend der Rezensent des Sankt Galler Tagblatt in seiner Besprechung des Albums „Africa Speaks“. Im folgenden Song „Breaking Down The Door“ kann man Carlos Santana gemeinsam mit seiner zweiten Frau am Schlagzeug und seinem Sohn aus erster Ehe an den Keyboards hören. Leadgesang: die erneut beeindruckende Buika.

 

 

Das Etikett Latin-Rock, das man seiner Musik angeheftet habe, sei nicht korrekt, sagte Carlos Santana bei der Vorstellung des Albums „Africa Speaks“, weil es die afrikanische Seite seiner Musik nicht erfasse. All die komplexen Polyrhythmen Lateinamerikas wie Samba aus Brasilien und Salsa aus Kuba, auf die er sich beziehe, seien Importe aus Afrika.
Natürlich gab es auch den kulturellen Rück-Transfer, indem lateinamerikanische und karibische Rhythmus-Amalgame wie Rumba, Reggae, Calypso, Zouk u.a. ihrerseits nun afrikanische Popstile wie Highlife aus Westafrika, Kuduro aus Angola oder allgemein den Afrobeat beeinflussten.
Ein gutes Beispiel ist die senegalesische Band Touré Kunda, die vor allem in ihrem Album „Salam“ von 1990 eine Mixtur aus afrikanischen und lateinamerikanischen Rhythmen kreierte, besonders gut zu hören in deren Titel „Guerrilla“, den Carlos Santana aufgriff, um seine besondere Verbundenheit mit der Musik Schwarzafrikas ein weiteres Mal unter Beweis zu stellen. Ausgehend von der musikalischen Grundidee des Titels „Guerrilla“ von Touré Kunda aus dem Senegal nahm er eine überarbeitete, mit neuen Elementen angereicherte Neufassung für sein Erfolgsalbum „Supernatural“ auf – und nannte diese Neubearbeitung „Africa Bamba“. Zum Vergleich sind hier beide Titel zu hören, zunächst Touré Kundas Originalsong und anschließend Santanas Neufassung „Africa Bamba“ aus dem Album „Supernatural“.

 

 

„Africa Bamba“, dieser Remake-Titel eines Songs der senegalesischen Band Touré Kunda aus dem Erfolgsalbum „Supernatural“ von Santana war ein weiterer Beleg für Santanas besondere Wertschätzung der afrikanischen Musikkultur. In Interviews im Vorfeld der Veröffentlichung von „Africa Speaks“ gab sich Carlos Santana als leidenschaftlicher Sammler von afrikanischer Musik zu erkennen. „Es gibt vermutlich keinen Musiker, der mehr afrikanische Musik gesammelt hat als ich“, sagte Carlos Santana dem Magazin Rolling Stone. Aus einer Liste von 200 seiner afrikanischen Lieblingssongs habe er 70 als Inspiration für sein Album „Africa Speaks“ ausgewählt, darunter Songs aus Nigeria, dem Senegal und aus Kenia.
Allerdings handelt es sich bei Santanas Bearbeitungen dieser afrikanischen Songs um alles andere als Coverversionen. Er greift lediglich thematische Motive aus den Songvorlagen auf und kreiert daraus neue Stücke, deren Gestalt sich in freier Improvisation über eine Struktur von Akkordvorgaben und verabredeten Arrangement-Abschnitten entwickelte.
Einer seiner berühmtesten Songs „Jingo“, der schon beim Woodstock-Festival für Furore sorgte und Bestandteil des Santana-Debütalbums ist, war eine Neubearbeitung des 1959 von Babatunde Olatunji aufgenommenen traditionellen Yoruba-Titels „Jin-Go-Lo-Ba“, enthalten in dessen Album „Drums Of Passion“, mit dem der nigerianische Meistertrommler vom Stamm der Yoruba internationale Beachtung fand. „Drums Of Passion“ aus dem Jahre 1959, eine der wichtigen Inspirationsquellen für Carlos Santana, gilt als eines der ersten Perkussions-Alben der Schallplattengeschichte und begründete neben weiteren Veröffentlichungen von Babatunde Olatunji in den 60er Jahren seinen Ruf als „Vater der Weltmusik“.

 

 

Im August 1969 ging sein Stern in Woodstock auf und dieser Stern ist bis heute kaum verblasst. Die Stilrichtung des Latinrock ist sein Verdienst und das seiner Band. Tatsächlich ist die Stilform des Latinrock Santanas originärer Beitrag zur Geschichte des Rock. Im April 2016 erschien überraschend das Santana-Album, von dem schon die Rede war, das fast in der kompletten Besetzung der Urformation der späten 60er Jahre eingespielt wurde. Carlos Santana scharte für dieses Album seine alten Begleitmusiker um sich, mit denen er schon 1969 in Woodstock auf der Bühne stand. Und das Zusammenspiel funktionierte noch immer und sogar die Magie von damals kehrte wieder zurück. Der typische Santana-Sound präsentierte sich nun aber sozusagen upgedated, härter, energischer, aber nach wie vor perkussiv, lebendig, tänzelnd, Das Ziel war noch immer: „find the groove, wanna make you move. Shake it

 

 

Im April 2016 wurde das Album Santana IV veröffentlicht, beinhaltend 16 neue Titel, die überwiegend von der gesamten Band gemeinsam geschrieben und produziert wurden, darunter auch der ungemein kraftvolle Titel „Shake It“. Das Santana-Album Nr. III war im September 1971 erschienen. Danach hatte sich die Band aufgelöst und Carlos Santana machte mit unterschiedlichen Partnern und Begleitmusikern unter seinem eigenen Namen weiter. 45 Jahre später - nach der Auflösung der Urformation 1971 reformierte Carlos Santana seine alte Band wieder und veröffentlichte das vierte Album der ursprünglichen Santana-Formation, gleichzeitig das 23. Studioalbum in der Diskographie von Carlos Santana, ein Album, das von der Kritik überwiegend hoch gelobt wurde und weltweit hohe Charts-Notierungen erzielen konnte: in England, Deutschland und den USA Platz 4 bzw. 5, was für die kontinuierlich hohe Qualität und Popularität der Santana-Musik sprach. Mit seiner neuen, alten Band war Carlos Santana in der Folge fast ständig auf Tour, von Juli bis November 2017 gab er in Nordamerika 45 Konzerte.
Beim Jazzfestival in Montreux am Genfer See gehört Santana zu den Dauergästen. Alleine im neuen Jahrtausend stand Santana schon fünf mal auf der Bühne in Montreux: 2004, 2006, 2011, 2015 und 2016, wobei Carlos Santana mehrmals die Ehre hatte, als Gastgeber an 2-3 Tagen unterschiedliche Konzertprogramme mit verschiedenen Gast-Stars präsentieren zu können. Am 14. Juli 2015 stand Carlos Santana in Montreux auf der Bühne des Auditorium Stravinski am Genfer See. Die Band spielte den Song „Maria Maria“ aus dem Erfolgsalbum Supernatural von1999 in einem ähnlichen Arrangement wie schon 2011. Dieser Auftritt von 2011 wurde auf DVD veröffentlicht.

 

 

„Seid die Zukunft dieses Globus. Nutzt sie richtig. Macht es wie die großen Künstler Miles Davis oder Picasso: bringt das Beste aus Euch hervor, verwirklicht euer Meisterwerk. Genießt Euer Leben, schafft Liebe, Freude, Frieden“, also sprach Carlos Santana bei seinem Auftritt in Montreux 2015, dort, wo er über die Jahrzehnte oft auftrat – auch, wenn er mal künstlerisch und kommerziell weniger erfolgreiche Phasen hatte. Immer wieder bewies er, dass er als einer der großen Gitarristen seiner Generation zu den stilprägenden Musikerpersönlichkeiten der Rockgeschichte zählt.
Und er ist ein Rockstar, der sein spirituelles Bewusstsein nicht nur vor sich herträgt wie eine Monstranz, sondern seine Spiritualität und seine persönliche Form des Humanismus auch lebt. Er engagierte sich schon in den 90er Jahren im sozialen Bereich und gründete eine gemeinnützige Stiftung, die sich dafür einsetzt, dass benachteiligte Menschen eine Schulbildung erhalten. Über seine Musik und ganz generell über Musik im Allgemeinen sagte er einmal, sie solle Ewigkeit, Unendlichkeit, Unsterblichkeit ausdrücken. Denn sie komme ja aus einer höheren Bewusstseinsebene. Sie sei gewiss nicht nur Showbusiness oder Entertainment. Auch wenn er oft kritisiert, lächerlich gemacht oder gar angefeindet wurde, blieb er beharrlich bei seiner Überzeugung und Botschaft, dass Spiritualität und Liebe die Schlüssel sind zu einem höheren Bewusstsein.
1979 veröffentlichte Santana innerhalb des Albums „Marathon“ den Song „Love“, in dessen Text es heißt: „Weise Männer sagen: Jeder Mensch sollte nach Vervollkommnung streben. Wenn wir uns gegenseitig helfen, dann erreichen wir unsere Bestimmung. Mit Liebe, mit mehr Liebe. Alles, was wir brauchen ist Liebe. Die Liebe allein kann uns befreien, um ins Jenseits einzutauchen“, so heißt es in diesem Songtext, der die berühmte Beatles-Zeile von John Lennon aufgreift und im Refrain leicht verändert: „All we need is love“

 

 

„All we need is love“ gehört zu Carlos Santanas Kernbotschaften. Schon seit den frühen 70er Jahren hat er sich der Liebe, dem Göttlichen, dem Transzendenten und der Spiritualität verschrieben. Und gerade Santanas spiritueller Eifer und seine spirituelle Botschaft haben schon so manchen Beobachter irritiert. „40 Jahre zwischen Engeln, Teufeln, Gurus und Huren“ titelte die Rockbibel Rolling Stone in einem Porträt von Carlos Santana.
„Hymns For Peace“ ist eine der typischen Überschriften seiner Konzertprogramme. Beim Montreux Festival von 2004 konnte er dieses Programm „Hymns For Peace“ gemeinsam mit einem absoluten Staraufgebot an Weltklassemusikern auf die Bühne bringen, darunter waren: Herbie Hancock, Chick Corea, Wayne Shorter, John McLaughlin und als Sängerin Angelique Kidjo. Und diese Hochkaräter spielten unter der Regie von Carlos Santana verschiedene Peace-Songs der Popliteratur, musikalisch-kompositorisch nicht immer und unbedingt Offenbarungen, aber von ihrer Botschaft her dem Gedanken von Liebe, Frieden und Gerechtigkeit verpflichtet. Zum Songrepertoire gehörte auch Bob Marley’s „Redemption-Song“, in dessen Text es heißt: „Alte Piraten raubten mich, verkauften mich an die Handelsschiffe, Minuten, nachdem sie mich aus der bodenlosen Grube aufgelesen hatten. Doch meine Hand war gestärkt durch die Hand des Allmächtigen. Wir schreiten mit dieser Generation triumphierend voran. Befreit euch aus der mentalen Sklaverei, denn niemand außer uns selbst kann unseren Geist befreien. Wollt ihr mir helfen, diese Lieder der Freiheit zu singen. Denn alles was ich habe, sind Erlösungslieder.“

 

 

Carlos Santana und eine hochkarätig besetzte Band interpretierten Bob Marley’s „Redemption Song“ live in Montreux 2004 beim Galakonzert „An Evening of Songs For Peace“, veröffentlicht innerhalb der DVD „Hymns For Peace“.
Wenn er am 20. Juli seinen 75. Geburtstag feiert, kann Carlos Santana auf ein bewegtes Leben zurückblicken und kann guter Hoffnung sein, dass er noch etliche ereignisreiche Jahre vor sich hat, wenn er weiter nach seiner lebensbejahenden, positiven Einstellung lebt und weiter auf seine innere Stimme hört und auch auf seine Engel, die ihn genauso begleiten wie seine Teufel. Darüber hat er seine eigene Vorstellung, was später noch kurz thematisiert werden soll.
Carlos Santana gebührt die Ehre, wie schon erwähnt, den Stil des Latin-Rock kreiert zu haben. Er, der in einer kleiner mexikanischen Stadt aufwuchs und schon als Jugendlicher in der Band seines Vaters spielte, damals noch Geige, die er aber schon bald durch die Gitarre ersetzte, er gründete vor 50 Jahren in San Francisco seine erste eigene Band, die er Santana Blues Band nannte. Zur Band gehörten Musiker, die, wie er aus Mexiko stammten oder aus anderen lateinamerikanischen Ländern. Folgerichtig verbanden sie den damals angesagten Blues und Rock mit dem Rhythmusgefühl ihrer Herkunftsländer, wodurch wie selbstverständlich perkussive und melodische Elemente aus Mexico, Kuba, Venezuela und anderen lateinamerikanischen Ländern in den psychedelischen Blues-Rock der San Francisco-Szene integriert wurden. Santana-Titel wie „Samba Pa Ti“, „Oye Como Va“, „Jingo“ und andere machten Santana berühmt und wurden mit ihrem afrokubanisch-lateinamerikanischen Groove zum Markenzeichen von Carlos Santana und seiner nach ihm benannten Band.
Den ersten großen Auftritt und gleichzeitig den weltweiten Durchbruch feierte die Band Santana bei ihrem Auftritt in Woodstock. Gerade mal 750 Dollar erhielt die gesamte Band für ihren Auftritt am zweiten Tag in Woodstock. Es war Samstag der 16. August 1969, als die Band um 17 Uhr 15 die Bühne betrat. Nach den ersten starken Regengüssen, die das Publikum über sich hatte ergehen lassen müssen, waren die hypnotischen Rhythmen und der damals noch exotische Latin-Rock von Santana ein bejubeltes Ereignis für die durchnässten Festivalbesucher. Die Songs und der Sound von Santana schlugen das Publikum in ihren Bann. z. B mit Titel „Soul Sacrifice“

 

 

Das Publikum in Woodstock war begeistert nicht nur von diesem Titel „Soul Sacrifice“, den diese damals noch völlig unbekannte Band am späten Nachmittag des zweiten Festivaltages spielte. Zur Setliste von Santana in Woodstock gehörten auch die Songs „Evil Ways“ und „Jingo“, die sich nach Woodstock zu Klassikern der Band entwickeln sollten. In einem Interview erzählte Carlos Santana viele Jahre später: „Wir kamen per Hubschrauber an und organisationstechnisch war es ein Katastrophengebiet. Jeder, der etwas zu essen hatte, teilte es. Alle Schnellstraßen im Umkreis von 80 Kilometern waren gesperrt. Es war wie in einem Orson-Welles-Film, wenn die Zeit still steht. Überall auf den Schnellstraßen parkten Autos. Die Normalos der Welt sind bis heute schockiert, dass so etwas überhaupt stattfinden konnte. Und ganz ohne Krawalle. Wir kamen etwa um elf Uhr morgens an, und zuerst sah ich Jerry Garcia von Grateful Dead. Wir blickten beide über dieses Meer aus lebendigen Leibern. ‚Mann sieh dir das an, einfach unglaublich’. Er sagt: ‚Ich glaube, so was gibt’s nie wieder, es heißt, das sind 450.000.’ - ‚Wow’“.
Der Auftritt war ein großer Erfolg für Santana – es hätte aber auch ganz anders kommen können. Um sich aufzumuntern und zu beruhigen hatte Carlos Santana am Nachmittag Meskalin genommen. Er war davon ausgegangen, dass sich der Zeitpunkt ihres Auftritts bis in die Abendstunden verzögern würde. „Ich dachte mir: Wenn ich es jetzt nehme, bin ich wieder unten, wenn ich spielen soll und dann ist alles OK, so ungefähr. Ganz falsch. Kaum hatte ich es genommen und kam auf den Trip, sehe ich ein Gesicht vor mir, das mir sagt: ‚Ihr müsst jetzt auf die Bühne. Wenn ihr jetzt nicht spielt, dann überhaupt nicht, klar?’ Ich war voll auf Meskalin und kann mich nur erinnern, dass ich betete: ‚Herr hilf mir, dass ich nicht falsch spiele und meine Einsätze nicht verpasse. Ich verspreche, dass ich dieses Zeug nicht mehr anrühren werde. Aber es ging gottlob alles gut. Die Musik ließ die Leute wie Blumen im Wind wiegen.’ sagte Carlos Santana später. Diese Geschichte hat er im Laufe der Jahre mehrmals und in unterschiedlichen Variationen erzählt:

 

 

Kurz nach ihrem gefeierten Woodstock-Auftritt erschien das Debüt-Album von Santana, in dem der Song „Evil Ways“ enthalten ist, ein Song, der schon zum Liveprogramm beim Woodstock-Festival gehört hatte. Das schlicht „Santana“ überschriebene Debütalbum wurde auf Anhieb ein Riesenerfolg, wie auch die beiden Folgealben „Abraxas“ von 1970 und „Santana III“ von 1971. Doch der zu schnelle und zu große Erfolg brachte viele Probleme mit sich, von Ego-Trips bis zu massiven Drogen-Exzessen. Erst mit der Hilfe des Gurus und Meditationslehrers Sri Chinmoy kam Carlos Santana wieder auf den Boden der Tatsachen und zur Besinnung. Allerdings ging es in kommerzieller Hinsicht mit den Platten des geläuterten Carlos Santana bergab, obwohl sein Gitarrenspiel beseelter war als je zuvor.
Sein von ihm geschätzter Gitarristenkollege John McLaughlin, der sich inzwischen Mahavishnu nannte, hatte ihn mit dem Guru bekannt gemacht. Von Sri Chinmoy erhielt Carlos Santana den Namen Devadip, was so viel heißt wie „Licht und Auge Gottes“.
Gemeinsam mit seinem neuen spirituellen Bruder im Geiste McLaughlin nahm Santana das viel beachtete Album „Love, Devotion Surrender“ auf. Begleitet wurden die beiden Stargitarristen von Musikern ihrer jeweiligen Backingbands Santana und Mahavishnu Orchestra. Außerdem war der Organist Larry Young beteiligt, der 1969 am legendären Album „Bitches Brew“ von Miles Davis mitgewirkt hatte. Zu den herausragenden Titeln des Duo-Albums „Love, Devotion Surrender“ zählt ihre gemeinsame Improvisation über die John Coltrane Komposition „A Love Supreme“, die hier nun zu hören ist. Carlos Santana im linken Kanal, John McLaughlin im rechten Kanal.

 

 

Dies war 1973 die erste musikalische Zusammenarbeit zwischen den beiden Supergitarristen Carlos Santana und John McLaughlin. Die Freundschaft und Zusammenarbeit mit John McLaughlin hat Bestand bis heute, noch 2016 standen sie gemeinsam auf der Bühne. Doch von Sri Chinmoy, dem Guru, dessen Lehren sich John McLauglin schon vor Santana angeschlossen hatte, von ihm trennte sich Carlos Santana in den 80er Jahren und legte auch seinen Beinamen Devadip ab, den der Guru ihm gegeben hatte. Er trennte sich aber nicht von seiner spirituellen Sinnsuche. Statt von einem Guru ließ er sich nun von seiner inneren Stimme und den Engeln leiten, die ihm den Zugang zur einer Art spirituellem unsichtbarem Radio eröffneten, von wo er seine musikalischen Eingebungen bezog. Das klingt spinnert, ist es aber nicht, jedenfalls nicht für Carlos Santana.
Seine Engel und seine innere Stimme forderten ihn 1998 auf, mit dem Plattenboss und Förderer seiner Anfangsjahre Clive Davis wieder Kontakt aufzunehmen und mit ihm ein neues Plattenprojekt zu planen. Es kam zur erneuten Zusammenarbeit.
Das Album „Supernatural“, im August 1999 veröffentlicht, wurde zum Überraschungserfolg des Jahres, erhielt acht Grammies und verkaufte sich weltweit über 20 Millionen Mal und reihte sich damit in die Liste der zehn best verkauften Platten aller Zeiten ein. Das Konzept des Produzenten Clive Davis war nicht neu aber clever, er heuerte etliche bekannte Gaststars an, die Santanas Musik wieder zeitgemäß und hip machten. Auch Santanas alter Latin-Rock-Stil feierte wieder fröhliche Urständ mit dem Singlehit „Smooth“, geschrieben und gesungen von Rob Thomas.

 

 

Die typische Spielweise, der unverwechselbare Ton des Gitarristen Carlos Santana war auch hier zu hören, in der Ausblende des Nummer-1-Hits „Smooth“ aus dem gigantischen Erfolgsalbum „Supernatural“ von 1999. Carlos Santana hatte damals längst seinen Frieden gefunden, musste niemandem mehr etwas beweisen, hatte sich allerdings noch ein Ziel gesetzt: er wollte noch einmal ins Popradio zurückkehren, was ihm mit den Songs aus „Supernatural“ und auch dem Folgealbum fast spielerisch, wenngleich für die Außenwelt völlig überraschend gelungen war. Der Grund für seinen Riesen-Comeback-Erfolg hatte einen Namen: Metatron, so heißt ein Engel, mit dem Santana seit 1994 in unregelmäßigem Kontakt steht – sagt Carlos Santana. In einem speziellen Haus im kalifornischen San Rafael, nördlich von San Francisco, das Santana nur für seine Musik und Meditation nutzt, empfängt er Inspirationen aus der spirituellen Welt, nicht nur vom Engel Metatron, auch von anderen Engeln und von verstorbenen Musikern wie Miles Davis, Jimi Hendrix oder John Coltrane, mit denen er spirituell kommuniziert und die für ihn sehr viel lebendiger sind „als die meisten Typen, die du auf MTV vorgesetzt bekommst“, sagte Santana in einem Interview.
Seine Zwiegespräche mit Engeln, von denen er glaubhaft berichtet, wirken auf die meisten als spinnerter Wahn eines abgedrehten Hippies, der zu viele Drogen konsumiert hat. Entsprechend wird Santana von Skeptikern und Zynikern als Cosmic Carlos auf dem Esoterik-Trip verspottet. Aber er antwortet darauf stets so: „Ich weiß, dass sich das für viele verrückt anhört, aber mir ist egal, was die Leute denken. Meine Realität ist meine Realität. Ich werde sie nicht verleugnen.“ Also sprach Santana und verkündet weiterhin in Wort und Musik seine Botschaft von Liebe und Frieden.
Carlos Santana feiert also am 20. Juli seinen 75. Geburtstag. Ein langes Leben mit seinen Engeln und Inspirationen sei ihm gewünscht. Zu den beeindruckendsten Titeln des Albums Santana IV zählt der Song mit der Überschrift „Forgiveness“, durchaus typisch für den spirituellen Menschen Carlos Santana: „Lass sie dich hören. So viele gefallene Engel. Kannst du sie durch die Nacht geleiten und ihr Leben erfüllen? Lass Vergebung sie umhüllen.“

 

 

Die Grundzüge dieses Blog-Textes entstammen überwiegend den Sendemanuskripten meiner verschiedenen Radiosendungen über Carlos Santana. (Volker Rebell)