Die Beatles als Trostspender und Seelenretter – bis heute?
Am Tag als John F. Kennedy in Dallas erschossen wurde, am 22. November 1963, erschien in Großbritannien das zweite Beatles-Album „With The Beatles“. Die danach einsetzende Woge der Beatlemania-Euphorie erfasste wenige Wochen später auch die USA. Der überwältigende Erfolg der unbekümmert fröhlich klingenden und rhythmisch mitreißenden Beatles-Single „Want To Hold Your Hand“, die am 26. Dezember 1963 auch in den USA veröffentlicht wurde und rasch Platz 1 erreichte, sorgte dank der positiven Ausstrahlung des Quartetts für eine Begeisterungswelle in den USA, die alles bis dahin Bekannte in den Schatten stellte.
Als die Beatles schließlich am 9. Februar 1964 in der populären Ed Sullivan Show vor 73 Millionen Fernsehzuschauern auftraten, der bis dato größten Zuschauerzahl in der Geschichte des US-Fernsehens, schien die kollektive Depression nach Kennedys Ermordung überwunden zu sein. Die verletzten Seelen der jungen Generation Amerikas fanden Trost und einen neuen Aufbruch in ihrer Hingabe an die ansteckende Lebensfreude, die das Beatles-Quartett verkörperte.
Womöglich ist der immense Erfolg der jüngsten Beatles-Single „Now And Then“ – wahrlich kein überragender Song, weil John Lennon sein Liedfragment zeitlebens nicht mehr zu Ende komponieren konnte – ähnlich zu erklären. Was die beiden überlebenden Beatles Paul und Ringo aus Lennons Songtorso mit großem studiotechnischem Aufwand, auch mit KI-Unterstützung, letztlich hervorgezaubert haben, weist Charme auf und jene starke Emotion, die den großen hymnischen Songs der Beatles schon immer eigen war. Und wieder steht die große, alles und jeden umarmende Botschaft von der Macht der Liebe im Mittelpunkt – gesungen von jener Stimme, die sich ins kollektive Bewusstsein wie kaum eine andere eingeprägt hat und untrennbar verbunden ist mit Hymnen wie „All You Need Is Love“, „Give Peace A Chance“ und „Imagine all the people sharing all the world“.
Und jetzt hört man ihn, 43 Jahre nach seinem Tod, ein schlichtes aber inniges Liebeslied singen:
„I know it’s true / it’s all because of you / and if I make it through / it’s all because of you.“
Er singt von der Vergewisserung, dass die Liebe das alles Entscheidende ist.
In einer Zeit, in der die Welt am Abgrund entlang zu torkeln scheint, kommt da aus dunkelgrauem Himmel ein Lichtblick: „And now and then / if we must start again / well we will know for sure / that I love you“. John Lennon und die Beates als Trostspender und Vermittler einer konstruktiven Botschaft und Perspektive: Liebe als konkrete Utopie.
In den letzten 60 Jahren entwickelte sich das Phänomen Beatles weltweit zu einer universalen kulturellen Vereinbarung. In einer Art globaler Übereinkunft – „fast so gültig wie die Uno-Charta (Der Spiegel)“ – findet man kollektiv Rückhalt in der Ausstrahlung der großen Beatles-Songs.
Wenn man sie braucht, sind sie da.
Deshalb verzeichnet das Video „Now And Then“ inzwischen über 31 Millionen Aufrufe, während die am 2. November veröffentlichte Single „Now And Then“ in Großbritannien und Deutschland drei bzw. zwei Wochen lang Platz 1 der Singlecharts belegte.
Kein Weihnachtsgeschäft ohne ein neues Beatles-Produkt. Am 10. November erschien die „2023 Edition“ der beiden Kompilationsalben, die vor 50 Jahren zum ersten Mal auf den Markt kamen: „The Beatles 1962 – 1966“, das Rote Doppelalbum (UK Platz 3 der Album-Charts) und „The Beatles 1967 – 1970“, das Blaue Doppelalbum (UK Platz 2, DE Platz 5 der Albumcharts), beide in deutlich erweitertem Umfang.
Nachdem die Single „She Loves You“ am 23. August 1963 die die überbordende Beatles-Begeisterung in Großbritannien entfacht hatte, erreichte die Hysterie um die Beatles, genannt Beatlemania, in England am 22. November 1963 einen weiteren Zenitpunkt mit einem noch größeren Beben auf der nach oben offenen Beatlesfans-Begeisterungsskala, als das zweite Album „With The Beatles“ auf den Markt kam: ein erster Meilenstein in der Plattenkarriere der Beatles als Album-Künstler.
„With The Beatles“ und die begleitende „I Want To Hold Your Hand“ (vom 29. November 1963) brachen vor 60 Jahren alle damaligen Rekorde und lösten ein Beben in der Popszene aus, dessen Nachhall noch heute nachwirkt.
Die Fanhysterie der Beatlemania, die damals mit überschäumender Macht aufbrandete, ist das eine Phänomen, das andere, weitaus wichtigere, ist die musikalische Qualität einiger der frühen Songpreziosen. Neben dem überrumpelnden, mitreißenden Sound, der in der damaligen Beat-Szene der Nach-Rock’n’Roll-Ära einmalig war, sind es vor allem die fantastischen Gesangsleistungen der beiden Hauptsänger John und Paul und die – für damalige Verhältnisse – herausragenden dreistimmigen Vokalsätze (unter Einbeziehung von George Harrison), die in jener Zeit Maßstäbe setzten. Genauso wie die unverwechselbaren, musikalisch durchaus anspruchsvollen und dennoch so überaus populären kompositorischen Ideen bei einigen dieser frühen Songs. Die Texte waren inhaltlich noch recht bescheiden und eher vernachlässigbar, nicht aber die originelle Melodik und erst recht nicht die überaus kreative Harmonik in vielen Lennon/McCartney-Kompositionen jener Zeit.
Vor 60 Jahren begann also die Beatlemania fast durchzudrehen mit dem zweiten Album der Fab Four „With The Beatles“.
Zuvor, am 4. November 1963 waren die Beatles bereits in die Pop-Geschichte eingegangen als frech verschmitzte Provokateure des Königshauses – wegen der ungezogenen Bühnenansage von John Lennon, die Leute auf den billigen Plätzen sollen klatschen und die anderen – mit Blick in Richtung der königlichen Loge – bräuchten nur mit ihren Juwelen zu rasseln. Mit dieser kleinen Unverschämtheit hatten die Beatles die Herzen der jungen Leute in England endgültig erobert.