Walter Becker (Steely Dan) – zum 70. Geburtstag

Heute, am 20.02.2020 wäre er 70 Jahre alt geworden

Ohne ihn gibt es Steely Dan nicht mehr. Ohne Steely Dan fehlt das entscheidende Stück Sophisticated Rock in der Popszene

Walter Becker (Steely Dan) - zum 70. Geburtstag Kramladen am 20.02.2020

Steely Dan: Walter Becker & Donald Fagen - live (Foto: Kotivalo, CC BY-SA 4.0 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0>, via Wikimedia Commons)

Walter Becker, geboren am 20.02.1950 und im Alter von 67 Jahren am 03.09.2017 an Krebs gestorben, war der breiten Popöffentlichkeit kaum bekannt und dennoch für die Popszene der siebziger Jahre einer der einflussreichsten Musiker. Gemeinsam mit seinem Duopartner Donald Fagen gründete er das Bandprojekt Steely Dan, das bis heute hoch geschätzt wird wegen ihres intelligent gemachten, perfekt und ästhetisch produzierten Pop zwischen Jazz, Funk, R&B und Rock.
Aus Anlass des 70. Geburtstages von Walter Becker, dem Bassisten, Gitarristen und Co-Songschreiber von Steely Dan erinnert der Kramladen an ein paar der edlen Song-Kunstwerke dieses einzigartigen Duos.

(Josie Anfang)
Diese wenigen Akkorde genügen schon, um dem informierten Pop-Conaisseur ein breites Grinsen ins Gesicht zu zaubern. Denn dieses kurze Songintro hat Signalcharakter für ungemein arrivierte Popmusik. mehr davon jetzt.
Peg, Josie, Deacon Blues, Hey Nineteen, Do It Again, Reelin’ In The Years, Rickie Don’t Loose That Number, FM, Show Biz Kids, Black Friday, Babylon Sisters, Cousin Dupree, West Of Hollywood, usw. - allesamt Songs, die zum Edelsten gehören, was man in der Popgeschichte hören konnte. Und einer der beiden Songschreiber all dieser Preziosen wäre jetzt 70 Jahre alt geworden. Hallo und Willkommen im Kramladen von und mit VR und mit einer Hommage-Stunde für die unvergleichliche Band Steely Dan, die im Grunde immer nur ein Duo war, bestehend aus Donald Fagen und Walter Becker. Der letzt genannte wurde am 20. Februar 1950 geboren und starb am 3. September 2017 im Alter von 67 Jahren an Krebs. Aus Anlass des 70. Geburtstages von Walter Becker folgt hier nun ein kleiner Querschnitt aus der musikalischen Welt von Walter Becker und Steely Dan. Zwischen 1972 und 2003 sind neun essentielle Alben von Steely Dan erschienen, um sie kurz aufzulisten, so viel Zeit muss sein, weil diese Alben mit zum Besten zählen, was die Pop/Rockmusik hervorgebracht hat. „Can’t Buy A Thrill“ (1972)), „Countdown to Ecstasy“ (1973), "Pretzel Logic" (1974), "Katie Lied" (1975), "The Royal Scam" (1976), "Aja" (1977), "Gaucho" (1980), "Two Against Nature" (2000) und "Everything Must Go" (2003). Diese Aufzählung ist Musik in den Ohren für Kenner und Anhänger von intelligent gemachtem, perfekt und ästhetisch produziertem Pop zwischen Jazz, Funk, R&B und Rock, ausgestattet mit dem kalifornischen Flair und dessen „unerträglicher Leichtigkeit des Seins“ - und gleichzeitig konterkariert mit ironischen, oft sarkastischen, manchmal surrealen Texten. So elegant, cool, edel und sophisticated clever wie Steely Dan klang sonst kaum jemand im Pop der siebziger Jahre. Der zu Anfang schon kurz angespielte Song Josie mit den raffiniert gesetzten jazzigen Akkorden gleich zu Beginn erzählt die verschieden ausdeutbare Geschichte von einer Jungsbande, die die Rückkehr von Josie feiert, einer jungen Frau, die über ganz besondere Qualitäten verfügen muss und offenbar speziellen Ausschweifungen zugetan ist. Der Text lässt vermuten, dass Josie nach einem längeren Gefängnisaufenthalt wieder nach Hause zurückkehrt. Das beeindruckende Gitarrensolo im Song spielt übrigens Walter Becker.


Steely Dan Josie Aja

Aus dem berühmten Steely Dan-Album „Aja“ von 1977, dem 6. Album in der Diskographie von Steely Dan, stammt dieser nicht minder berühmte Song „Josie“, sozusagen ein Referenz-Song - was das Arrangement, die Produktion und Komposition angeht, für das Songschreiber Duo Donald Fagen und Walter Becker. In den 70er Jahren hatten die beiden als Songschreiber einen Status, was die Anerkennung der Musik/Text-Qualität ihrer Songkompositionen angeht, der fast ein wenig vergleichbar mit dem Status von Lennon/McCartney für die 60er Jahre war.
Und in ähnlicher Weise auch ein wenig vergleichbar mit der solistischen Entwicklung der Hauptsongschreiber der Beatles und dem Ende der kompositorischen Zusammenarbeit zwischen Lennon und McCartney, so ließen auch die Solokompositionen von Walter Becker und Donald Fagen nach der Trennung von Steely Dan die einstige Magie vermissen. Donald Fagen konnte zwar mit dem ersten seiner vier Soloalben „The Nightfly“ von 1982 noch glänzen und ähnliche Reaktionen auslösen wie zuvor bei den Steely Dan-Alben,
doch die beiden Solo-Alben seines Ex-Partners Walter Becker „Eleven Tracks of Whack“ von 1994 und „Circus Money“ von 2008 fanden nur unter Kennern größere Beachtung. Im Album Circus Money frönte der studierte Bassist, Gitarrist und Songschreiber Walter Becker seinem Faible für funky durchwirkte Reggae-Rhythmen und pflegte textlich seine bittere Weltsicht mit beißender Ironie. In seinem ausgesprochen jazzig angelegten, unter anderem mit Vibraphon und Jazzsaxophon instrumentierten Song „The Fall of 92“, einem Outtake aus seinem ersten Soloalbum, lässt er den Ich-Erzähler seines Songtextes eine bitterböse Dankesrede halten auf „George Bush and those Nazis / Down in Washington D. C“. Er dankt sarkastisch dem konservativen US-Präsidenten und seinen Nazis für den sozialen Abstieg, den er wegen der unterstützenden Politik des Weißen Hauses für die Gier des Turbo-Finanzkapitalismus erleiden muss.

Walter Becker The Fall Of ’92 11 Tracks Of Whack

Eine rare Aufnahme des 2017 verstorbenen und am 20. Februar 1950 geborenen Walter Becker, dem langjährigen musikalischen Partner von Donald Fagen, mit dem er gemeinsam das Band-Pojekt Steely Dan gegründet hatte. 1967 war Walter Becker, Sohn eines New Yorker Buchhalters, dem Keyboarder Donald Fagen am renommierten New Yorker Bard-Konversatorium, wo beide studierten, begegnet. Es sollte eine lebenslange Freundschaft werden. Beide mochten Popmusik weniger, dafür den modernen Jazz von Miles Davis und Thelonius Monk um so mehr. Jazzrock das wars, was beide machen wollten, aber sie hatten auch eine Menge übrig für Soul und R&B und erst recht für die anspruchsvollen Songkomponisten des Broadway. So entwickelten sie gemeinsam einen Kompositionsstil, der die Denkweise des Jazz mit dem Anspruch der arrivierten Songschreiber der New Yorker Musical-Bühnen und den ausdruckstarken Elementen aus Soul und Funk verquickte. Und auch ihre Songtexte hatten es in sich - schon seit ihren Anfängen als Songschreiber. In ihren Songtexten, die meist in der Ichform geschrieben wurden, aber mit den realen Personen Donald Fagen und Walter Becker wenig zu tun hatten, traten unterschiedliche Charaktere auf, "junge, alte, gut gelaunte, mordlustige, hoffnungslose etc., und nie war es sonderlich angenehm, was sie zu erzählen hatten". Die beiden New Yorker Intellektuellen, die ihre musikalische Karriere in Los Angeles begannen, wo sie dem sonnengebräunten Lebensgefühl Kaliforniens immer mit Skepsis und Distanz begegneten, sie vertraten eine Haltung ähnlich der des Songspötters Randy Newman und ironisierten von Anfang an die "surrealen Auswüchse von Laster und Luxus", auch schon in ihrer ersten Single „Do It Again“. Im Text geht es um eine Art von Wiederholungstäter, der seine Fehler und abgründigen Neigungen wie zwanghaft immer wieder wiederholen muss. Das Solo auf der elektrischen Sitar, dessen Klang damals im November 1972 hoffnungslos aus der Mode gekommen war, wollte die Band als ironisches Statement zum gescheiterten Idealismus der Hippies verstanden wissen.

Steely Dan Do It Again Can’t Buy A Thrill

Die Musik von „Do It Again“ schrieb ein Kritiker „stand mit dem Latin-Rhytmus und dem melodischen Glühen im Kontrast zum Text über einen Loser, den das Leben fertiggemacht hat.“. Der typische Groove von „Do It Again“ tauchte übrigens später in Michael Jacksons Hit „Billy Jean“ wieder auf. Über das erste Album von Steely Dan „Can’t Buy A Thrill“, das vom Single-Hit „Do It Again“ eröffnet wurde, und über das perfekte Gleichgewicht zwischen luftigen Westcoast-Grooves und trockenem Ostküstenhumor schrieb das „Time Magazine“ treffend : „Sinnlich und sinister, wie eine Schlange, die faul in der Sonne liegt. Und wahrscheinlich auch genauso giftig“, Walter Becker und Donald Fagen waren als Steely Dan auf Anhieb erfolgreich und trieben ihren musikalischen Perfektionismus immer weiter voran - bis in eine Form des geradezu manischen Exzess-Overkill. Für das Gitarrensolo ihres Songs „Peg“ engagierten und bezahlten die beiden sieben verschiedene Top-Gitarristen, darunter Rick Derringer und verwarfen doch alle Aufnahmen dieser Top-Studiomusiker. Erst mit den Einspielungen des Gitarristen Jay Graydon konnten sich die beiden Überperfektionisten anfreunden, waren aber erst nach sechsstündiger Studioarbeit mit seinem Gitarrensolo zufrieden. Dieses wahrscheinlich am aufwändigsten ausgewählte und produzierte Gitarrensolo der Popgeschichte, das gerade mal 25 Sekunden lang ist, hören wir jetzt neben einem nicht minder aufwändigen Chorarrangement, das in Playback-Technik eingesungen wurde von Michael MacDonald, dem damaligen Lead-Sänger der Doobie Brothers - all diesen produktionstechnischen Über-Hype hören wir jetzt im Steely Dan-Song „Peg“, der als Single veröffentlicht wurde im November 1977.

Steely Dan Peg Aja

Peg ein Song über eine junge Schauspielerin, der ein Regisseur Avancen macht und den großen Durchbruch verspricht. Ob der versprochene Erfolg über die Besetzungscouch führen soll, wird im Text nicht so recht klar. Aber diese Song-Geschichte könnte als Vorläufer der Me-Too-Kampagne durchgehen. Das Thema junge Frauen und ältere Herren taucht immer wieder in Songtexten von Steely Dan auf, so etwa auch im Song „Hey Nineteen“, in dem ein dirty old man sich an eine 19-jährige ranmacht, allerdings feststellen muss, dass die 19-jährige keinen Schimmer hat, wer die Queen of Soul, Aretha Franklin ist und dass er auch mit ihr weder tanzen noch reden kann; aber Reden mit der scharfen 19-jährigen ist dem dirty old man ohnehin nicht das Wichtigste. Er bietet die Lösung für alle Kommunikationsprobleme an: ein bißchen Tequila und noch was von dem guten Zeugs aus Kolumbien, was dann doch noch zu einem wundervollen Abend verhelfen soll. „The fine Columbian make tonight a wonderful thing“. Musikalisch war „Hey Nineteen“ erneut eine Demonstration der clever inszenierten Coolness und klanglichen Perfektion von Steely Dan, deren Band-Name sich übrigens von einem Dildo aus William S. Burroghs literarischem Werk „Naked Lunch“ ableitet. Passt irgendwie besonders gut zur Song-Geschichte von dem dirty old man und seiner jungen Flamme.

Steely Dan Hey Nineteen Gaucho

Der Song "Hey Nineteen" war die Singleauskopplung aus dem Album Gaucho von 1980. Über dieses Album, das eine Zäsur für Steely Dan bedeuten sollte, schrieb das Musikmagazin Rolling Stone, Zitat: „Der Konsum von Kokain vernichtete ihr Geld, steigerte ihre Hybris und trieb die Produktion zu immer neuen Exzessen an Politur und Reduktion. Der Verbrauch an Musikern (alleine an Schlagzeugern!) war auch vorher legendär, doch „Gaucho“ erledigte auch Jeff Porcaro und Steve Gadd. (Anmerkung: beide, Jeff Porcaro und Steve Gadd galten damals als herausragende Drummer der Studioszene und wurden trotz ihrer anerkannten Qualität als technisch makellose Schlagzeuger von dem überperfektionistischen Duo Donald Fagen Walter Becker nach ersten Studioaufnahmen wieder aussortiert. Man sprach damals davon, dass der enorme Drogenkonsum des Duos Fagen/Becker ihrem Urteilsvermögen nicht immer zuträglich gewesen sei. Aber zurück zur Album-Rezension:)
„Gaucho“ wurde Beckers und Fagens kalifornischstes Album, vor allem aber ihr Tribut an Rauschgifte aller Art. Nach konservativen Schätzungen handeln drei Songs von Drogen und Dealern, zwei weitere von Zuhältern oder Prostituierten, wobei die Grenzen fließend sind. Und das Album umfasst nur sieben Stücke! Nicht schlecht für eine Platte, die von der Plattenfirma MCA 1981 als Mainstream-Produkt neben Toto und REO Speedwagon verkauft wurde.
Als „clean“ und „kalt“ gilt die Platte heute bei vielen Kritikern, andere verehren sie trotzig als den Gipfel von Beckers und Fagens Schaffen: Die metronomartige Präzision, die skelettierten Songs verrieten raffinierte Jazz-Ästhetik,“ Zitatende.
Was genau zwischen den beiden Protagonisten Donald Fagen und Walter Becker unmittelbar nach Veröffentlichung ihres Albums "Gaucho" passiert war, ist nicht überliefert. Jedenfalls trennten sie sich. Donald Fagen soll geradezu wahnhaft alleine im Studio weiter gearbeitet haben, während Walter Becker sich nach Hawaii zurückzog, sein Geld für Drogen und dann für den Drogenentzug ausgab, anschließend Avocados anbaute und auch als Plattenproduzent für das New-Age-Musik-Label Windham Hill arbeitete.
Doch im Jahre 2000 veröffentlichten die beiden überraschend wieder ein gemeinsames Album als Steely Dan, so, als wären sie nie getrennt gewesen. Mit diesem Comeback-Album „Two Against Nature“ räumten sie bei den Grammy-Verleihungen 2001 im großen Stile ab. Insgesamt 3 Grammies, darunter der begehrteste, "Album des Jahres", ging auf ihr Konto. Zu den Highlights des Albums zählt der Schlusstitel „West Of Hollywood“ mit einem über vierminütigem Saxophon-Solo und einer Story über eine hoffnungsvoll beginnende Liebe, die einen heißen Sommer andauert und dann im Sumpf der Regenzeit untergeht. Über neun Minuten erstreckt sich dieses locker und easy klingende Westcoast-Porträt, das rätselhafte Trugbilder transportiert und den Ich-Erzähler auf der Spitze einer sich brechenden Welle reiten lässt. Und Walter Becker spielt stoisch dazu ein lässiges Gitarrensolo

Steely Dan West Of Hollywood Two Against Nature

Das Abschlussstück „West of Hollywood“ des Steely Dan-Albums „Two Against Nature“ erzählt eine fortlaufende Geschichte, deren Handlung aber nur Ahnungen der Geschehnisse vermittelt, zu kryptisch und verschlüsselt ist die Schilderung. Überhaupt werden in fast jedem Song von Steely Dan rätselhafte Geschichten erzählt, nicht selten mit Andeutungen von menschlichen Abgründen. Über die Textverarbeitung und Vorbilder der beiden Steely Dan-Songschreiber, sagt der eine von beiden, nämlich Walter Becker:
"Fragt man meine und Donalds Generation von Songschreibern nach den wichtigsten Lyrikern der Zeit wird immer der Name Bob Dylan fallen. Das heißt nicht, dass wir nach Bob Dylan klingen. Doch er war es, der die Türen öffnete zu neuen Ausdrucks-Möglichkeiten und führte auf imponierende Weise vor, wie man interessante, literarische, obskure und extravagante Texte mit dem Rhythmus von Rock verbinden konnte, was zu faszinierenden Ergebnissen führte."
Die von Steely Dan im gleich folgenden Stück „Cousin Dupree“ besungene Figur ist ein schmieriger Geselle, der sich nach der Highschool in einer dubiosen, erfolglosen Rock’n’Roll-Ska-Band als Keyboarder verdingte und sich ansonsten mit wenig vertrauenerweckenden Jobs über Wasser hielt und dabei immer den dicken Max markierte, aber tatsächlich nichts so richtig auf die Reihe bekam. Als er seine Tante besuchte, wurde er seiner kleinen, inzwischen aber mächtig aufgeblühten Kusine Janine angesichtig und versuchte, sich an sie ranzumachen. Im Stile von Nabukows „Lolita“ beschreibt der Text den sabbernden, geifernden Cousin Dupree, den die Kusine mit ihren engen Klamotten ganz verrückt macht. Der Song über feuchte Träume und Inzest-Phantasien eines fiesen Onkels glänzt musikalisch groovend zwischen Rhythm’n’Blues und funkigem Pop mit deutlicher Rhythmusbetonung des zickigen Ska-Rock, der im Songtext schon angedeutet wurde, wird dennoch in einem federleichten Schwebezustand gehalten mit agilen Bassläufen und kurz eingeworfenen Gitarren-Licks, beides gespielt von Walter Becker, und gegen Schluss mit einem swingenden, großartigen Chorarrangement, für das alleine Steely Dan einen Grammy verdient hätte - und tatsächlich wurde der Song "Cousin Dupree" mit einem Grammy dekoriert

Steely Dan Cousin Dupree Two Against Nature

Das Comeback-Album „Two Against Nature“ aus dem dieser Song „Cousin Dupree“ stammt, demonstrierte noch einmal den arrivierten, mit 3 Grammies hoch dekorierten Entwicklungsstand des perfektionistischen Duos Steely Dan. Natürlich war über all die Jahre die Kritik zu hören, die Songs von Steely Dan wären in ihrem Perfektionismus zu aalglatt und steril produziert und klängen oft wie eine intellektuelle, am Reisbrett konstruierte Ingenieursarbeit, was allerdings verkannte, dass in der akribischen Konstruktion der Songarchitektur von Steely Dan eine Menge Kreativität steckte. Schon über das Debutalbum schrieb die Fachpresse, Steely Dan entfache mit ihrer detailreichen perfekten Musikproduktion einen frischen Wirbel in der erschlafften Musikszene. Man lobte Steely Dan als kreative Neuerer. Zitat: „seit dem Verschwinden der Größen der 60er Jahre allen voran den Beatles und Beach Boys, sind Steely Dan genau das, worauf die Musikszene gewartet hat“, schrieb der New Musical Express. Und der Melody Maker ergänzte. „Steely Dan haben die US-amerikanische Popmusik zurück auf den kreativen Weg gebracht". Ähnlich überschwänglich äußerte sich die Kritik auch über das zweite Album „Countdown To Ecstasy“, das 1973 veröffentlicht wurde und neben anderen Glanzstücken den folgenden selbstironischen Song enthielt „Show Biz Kids“.
Walter Becker, geboren am 20. Februar 1950 und gestorben am 3. September 2017 wollte zeitlebens alles andere sein als ein im Rampenlicht stehender Showbiz-Typ. Als profilierter Musiker und Songschreiber ist er allerdings und zu recht in die Annalen des Popshowbiz eingegangen.
.
Steely Dan Showbiz Kids Countdown To Ecstasy

Hier folgen noch Ausschnitte aus meiner Nachruf-Sendung zum Tod von Walter Becker. gesendet am 07.09.2017
Kurz nachdem Walter Becker gestorben war, schrieb sein Duo-Partner Donald Fagen in seinem Nachruf: "Walter Becker war mein Freund, mein Schreibpartner und mein Bandkollege, seit wir uns 1967 im College getroffen haben. Walter hatte eine sehr schwere Kindheit [...] Glücklicherweise war er smart, ein exzellenter Gitarrist und ein großartiger Songschreiber. Er dachte zynisch über die menschliche Natur, inklusive seiner eigenen, und war wahnsinnig witzig. Ich werde die Musik, die wir zusammen kreiert haben, so lange wie möglich mit "Steely Dan" am Leben erhalten." Zitatende. Wie das möglich sein sollte, Steely Dan ohne Walter Becker am Leben zu erhalten, war allerdings mehr als fraglich. Das letzte gemeinsam eingespielte Album, das 2003 erschien, trägt den bezeichnenden Titel „Everything Must Go“

Steely Dan Everything Must Go

"Jetzt ist unser Selbstwertgefühl erschüttert, während wir die Leiter herunterrutschen. Es war schön oben an der Spitze, bis dieser kranke Wind begann zu wehen, jetzt richten wir’s uns unten gemütlich ein, weil wir aus dem Geschäft ausgestiegen sind. Alles muss verschwinden". - so heißt es im Songtext des letzten Steely Dan-Albums „Everything Must Go“. Am 3. September 2017 war Walter Becker gegangen, im Alter von nur 67 Jahren. Er litt an Speiseröhren-Krebs und war noch kurz vor seinem Tod operiert worden. Er hatte nie einen Hehl daraus gemacht, dass er den Drogenverlockungen lange Jahre nicht aus dem Wege gegangen ist. Ende der 70er, Anfang der achtziger Jahre war er ernsthaft drogenabhängig und wachte erst aus dem Drogennebel auf, als seine damalige Freundin an einer Überdosis Heroin starb. Er entzog sich dem Poptrubel und der Drogenverführung, ging nach Hawaii und unterzog sich einer Therapie. Er überwand seine Heroinabhängigkeit, doch sein Gesundheitszustand blieb labil, was auch mit einem schweren Verkehrsunfall zu tun haben konnte, an dessen Folgen er lange laborierte. Zwei Soloalben hat Walter Becker veröffentlicht, im Jahre 1994 das spröde aber originelle Album „Eleven Tracks Of Whack“ und im Jahre 2008 das zweite Soloalbum „Circus Money“. Anders als bei Steely Dan, wo Donald Fagen der Hauptsänger war, konnte man bei den Songs des Soloalbums „Circus Money“ Walter Becker nicht nur - wie immer - als gewieften Bassisten, profunden Gitarristen und ausgezeichneten Songschreiber erleben, sondern nun auch als durchaus achtbaren Sänger. Über das Soloalbum „Circus Money“ schrieb ein Kritiker, es passe bestens in die selbstironisch-skeptische Welt des Walter Becker. Mit leichter Reggae-Betonung und lockerer Funk-Rhythmik, mit weiblichen Chorstimmen und einer jazzigen Harmonik, die durchaus an Steely Dan erinnert, mit alldem, was der Steely Dan-Fan kennt und schätzt, arbeitet der folgende Song „Door Number Two“, der unter verschiedenen Perspektiven die neugierige Frage stellt, was sich wohl hinter der verschlossenen Tür Nummer 2 verbirgt.

Walter Becker Door Number Two Circus Money

Das herausstechende, jazzige Saxophonsolo spielte der US-amerikanische Jazzmusiker Chris Potter in diesem Song „Door Number Two“ aus dem zweiten Soloalbum „Circus Money“, von Walter Becker veröffentlicht im Jahre 2008. Acht Jahre zuvor gelang dem Duo Steely Dan ein Überraschungserfolg. Nach fast 20 Jahren Plattenpause kam für viele völlig überraschend ihr Comeback-Album „Two Against Nature“ auf den Markt. Die Grammy-Jury, sonst eher dafür bekannt, den aktuellen Trends und Chartserfolgen hinterherzulaufen, entschied sich im Jahre 2001 allerdings für Klasse statt Masse. Die Intelligenzija des Sophisticated Rock aus den 70er Jahren, Steely Dan, erhielt gleich drei Grammys und dazu auch noch als Sahnehäubchen die begehrteste Trophäe „Album des Jahres“. Von Kritikern wurde nicht nur die Musik sondern auch die Qualität der Songtexte gelobt. Der Text z.B. des Titelstücks „Two Against Nature“ trägt schon fast dadaeske Züge mit seinen assoziativen Querverweisen, den fast ins Absurde gedrehten Alltagsbeschreibungen seltsamer Charaktere und der insgesamt fabulierenden Erzählweise. Teilweise fühlt man sich an berühmte Dylan-Texte erinnert, wie „Highway 61 Revisited“ oder „Visions Of Johanna“.
Das Titelstück dieses mit insgesamt 4 Grammies hoch dekorierten Albums „Two Against Nature“ ist ein arrangementtechnisches Meisterwerk, das auf fast schon provozierende Weise mit den damals um das Jahr 2000 angesagten Klangmoden absolut nichts im Schilde führt. Der typische, jazzig harmonisierte, funky-groovy tänzelnde Steely Dan-Stil wird hier genüsslich zelebriert. Das ist alles andere als leicht verdaulich konsumabel, im Gegenteil ambitioniert ausgetüftelt und im besten Sinne unmodern, das heißt nicht-modisch. Diese raffiniert gemachte Musik ist von ihrer zeitlosen Qualität selbst überzeugt, wovon man sich leicht überzeugen kann - durch Zuhören.

Steely Dan Two Against Nature

„Two Against Nature“ von Steely Dan war Anfang 2000 nach fast 20 Jahren Pause wieder das erste gemeinsame Studioalbum von Walter Becker und Donald Fagen, den beiden „Eggheads“, also den intellektuellen Eierköpfen der Pop/Rockmusik, die zwischen 1972 und 1980 mit 7 edlen Alben qualitative Maßstäbe für die Entwicklung der populären Musik gesetzt hatten. „Two Against Nature“ fügte sich nahtlos in die Reihe der glorreichen Sieben ein. Benannt hatten sich die beiden etwas anzüglich nach dem Vibrator-Dildo „Steely Dan“ aus dem Roman „Naked Lunch“ von William S. Burroughs. 1969 gegründet galten sie rasch als Intelligenzler und Perfektionisten der Popbranche, wurden als brillante Soundtüftler und Songschreiber gerühmt, als Ästheten zwischen Pop und Pomp, Rock und Jazz, Funk und Soundtrack, ein elitäres Gespann, das ebenso geschmeidige wie hoch verdichtete Kompositionen und Arrangements schuf, die souverän mit den edelsten Stilmitteln spielten. Jazzelemente wirkten sie organisch in ihr Songkonzept ein, ganz anders als manche Jazzrockgruppen jener Zeit, die eher etwas grobhändig Rockdynamik und Jazzimprovisation zusammenzwangen. Steely Dan dagegen waren immer lässig, cool, nie lüstern-leidenschaftlich, sondern eher kontrolliert lustvoll, aber: mit allem handwerklichen Können versehen, das Musikern aus der Popularmusik-Szene überhaupt verfügbar war. Ein Kritiker schrieb, Zitat: Die Stücke, die der Bassist und Gitarrist Walter Becker mit dem Pianisten und Sänger Donald Fagen verfasst hat, strotzen nur so vor atemberaubend musikalischen Wendungen, vor verrätselten Anspielungen und metaphorischem Sarkasmus. Sie siedelten 1971 von New York City in die Fusion-Szene Kaliforniens um, was sich in ihrer Musik spiegelt: Sie nutzten jede Reibungsfläche, die sich ergab zwischen dem angespannten Intellektualismus des New Yorker Big Apple und der sonnigen, oft trügerischen Sorglosigkeit der kalifornischen Westcoast. Zitatende.
Einer der berühmtesten Steely Dan-Songs stammt aus deren Debütalbum „Can’t Buy A Thrill“ aus dem Jahre 1972, gemeint ist der Top Ten-Hit „Reelin’ In The Years“. Den Bass spielte Walter Becker, aber die instrumentale Glanztat des Titels, die solistische Gitarrenarbeit stammte von dem Studiomusiker und damals auch kurzzeitigen Band-Mitglied von Steely Dan, Elliott Randall, dessen Solo in diesem Song von Led Zeppelin-Gitarrist Jimmy Page zu den besten Gitarrensoli aller Zeiten gerechnet wurde. Und mit Elliott Randalls Gitarrenarbeit geht’s auch gleich los zu Beginn des Songs „Reelin In The Years“

Steely Dan Reelin’ In The Years Can’t Buy A Thrill

Ein prächtiger Song, „Reelin In The Years“, über all die Jahre hinweg noch immer packend, zündend, anknipsend und ausdrucksstark mit den geschlossenen Vokalsätzen, den chörig gesetzten Gitarrenlinien, dem kraftvollen und doch lässig swingenden Rhythmus, dem ironisch intelligenten Text, der ungemein homogenen Musikdichte, den durchdachten Arrangementkontrasten und was nicht alles sonst noch auffiel, damals 1972, als dieses von Walter Becker und Donald Fagen clever geschriebene Stück im Steely Dan-Debütalbum „Can’t Buy A Thrill“ veröffentlicht wurde. Fast 30 Jahre später wurde das Duo Steely Dan in die Rock and Roll Hall Of Fame aufgenommen. Bei der Dankesrede während der Zeremonie erlaubte sich Walter Becker ein Späßken und meinte vor der versammelten Festgemeinde, über die Institution „Hall Of Fane“ müsse er nichts sagen, das stünde ja alles auf deren WebSeite. Er wolle eigentlich lieber die Runde hier öffnen, damit das Publikum Fragen stellen könne. Donald Fagen ging kurz dazwischen: „Keine Fragen?“ Als tatsächlich jemand aus dem Publikum fragt, wann sie denn wieder auf Tournee gehen werden, antwortet Walter Becker, oh das sei eine schwierige Frage, ob es nicht eine leichtere gäbe. Weil keine kommt, stellt er dem Publik selbst eine Frage, wer denn der Original-Drummer der Mothers Of Invention gewesen sei. Auf die sofortige Antwort aus dem Publikum „Jimmy Carl Black“ reagiert Walter Becker mit „Very good, very good“ und setzt danach das heitere Popmusikerraten doch nicht fort.

(O-Ton Rock And Roll Hall Of Fame)
Auch in den letzten Steely Dan-Konzerten, an denen Walter Becker noch teilnahm, bevor er sich krankheitsbedingt von der Bühne zurückziehen musste, machte er häufig launige Ansagen, die wegen ihrer Ironie, auch Selbstironie und wegen ihres frechen Humors vom Publikum immer gefeiert wurden. Eine ebenso ironische wie melancholische Geschichte über eine sich allmählich auflösende Liebesbeziehung erzählte Walter Becker in seinem Song „Downtown Canon“ aus seinem letzten Soloalbum „Circus Money“ von 2008. In der Theorie sei das ja prima, zu leben von Tag zu Tag nach dem Motto: jetzt oder nie, so heißt es im Text, und weiter: Doch wer hält das schon auf Dauer durch?

Walter Becker Downtown Canon Circus Money

Walter Becker war hier zu hören als Sänger, Gitarrist und Bassist. Und natürlich zeichnete er auch als Songschreiber verantwortlich für diesen Titel „Downtown Canon“ aus seinem letzten Soloalbum „Circus Money“. In den 80er Jahren als Walter Becker und Donald Fagen getrennte Wege gingen, arbeitete Walter Becker als Produzent unter anderem für das New Age-Label Windham Hill, den US-amerikanischen Jazzsänger Michael Franks und die britische New Wave-Band China Crisis. Seine erfolgreichste Produzententätigkeit war 1989 das Album „Flying Cowboys“ von Rickie Lee Jones, das Goldstatus erreichte und an dem er auch als Co-Komponist beim Song „The Horses“ beteiligt war -.

Rickie Lee Jones The Horses Flying Cowboys

Walter Beckers erfolgreichste Arbeit als Produzent war das Album „Flying Cowboys“ von Rickie Lee Jones. Sie äußerte sich wie andere Popmusiker bestürzt über den Tod von Walter Becker. So schrieb z.B. auch Bette Midler, sie sei sehr traurig über den viel zu frühen Tod von Walter Becker und dankte ihm für seine brillante Musik. Joe Bonamassa schrieb, er habe ihn mehrmals in New York getroffen, er sei immer ein Gentleman gewesen und einer der besten Jazz- und Rock-Gitarristen. Ryan Adams postete: „Walter Becker, du hast mein Leben mit deiner Musik verändert. Reise nun sicher zurück zu den Sternen, wo deine Seele herkam. Wir lieben und vermissen dich.“

Walter Becker - eine Hommage zum 70. Geburtstag Steely Dan-Bassisten/Gitarristen und Co-Songschreibers

(Der Text entstammt weitgehend meinem Manuskript meiner Kramladen-Sendung vom 20.02.2020 und meiner Nachruf-Sendung zum Tode von Walter Becker, gesendet am 07.09.2017)