Phil Collins – zum 70. Geburtstag

Geliebt, verpönt, rehabilitiert

Trotz körperlicher Gebresten, die ihm das Schlagzeugspiel unmöglich machen, will Phil Collins mit seiner reformierten Hausband Genesis im Herbst wieder auf Tournee gehen.

Phil Collins - live in Düsseldorf (Foto: Phil_Collins_Duesseldorf.jpg:SebastianWilken at de.wikipediaderivative work: Sir James (Diskussion), CC BY-SA 3.0 <http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/>, via Wikimedia Commons)

 

 

 

 

 

Behind the Scenes - Genesis - Rehearsals Dukes Travels
Genesis live 2021 - The Last Domino? Tour 2021

Das sind Ausschnitte von der Probenarbeit für die geplante Genesis-Tournee „The Last Domino?“, die eigentlich im November/Dezember 2020 stattfinden sollte, dann aber Corona-bedingt auf April 2021 verlegt wurde und nun erneut auf Herbst 2021 verschoben wurde. Dass Phil Collins neben den Gründungsmitgliedern Tony Banks (Keyboards) und Mike Rutherford (Bass) das Genesis-Trio als Sänger und Schlagzeuger komplettieren sollte, wollte man kaum glauben. Schließlich war bekannt geworden, dass Phil Collins schon seit seiner letzten Genesis-Reunion-Tour von 2007 gesundheitlich angeschlagen war. Nach einem Hörsturz litt er an Hörproblemen, schlimmer noch litt er an einer neurologischen Erkrankung, die ausgerechnet die Beweglichkeit seiner Hände einschränkte. 2009 hatte er sich eine ernsthafte Halswirbelverletzung zugezogen, die Taubheitsgefühle in den Händen verursachte. 2015 musste er sich einer Rücken-Operation unterziehen – mit der Folge, dass er seitdem kaum noch in der Lage ist, Schlagzeug zu spielen und darüber hinaus auch nicht mehr lange stehen kann. Dennoch ging er von 2017 bis ’19 auf große Tournee mit der etwas makaber klingenden Überschrift „Still Not Dead Yet“ und überließ dabei das Schlagzeugspiel seinem Sohn Nicholas. Die zweieinhalb-stündigen Konzerte absolvierte er weitgehend im Sitzen – was für seine nach wie vor intakte Stimme und vokale Energie nicht von Nachteil war.

Im Prinzip soll auch die Genesis-Tour im Herbst so ablaufen. Sohn Nicholas spielt Schlagzeug und der behinderte Vater Phil singt im Sitzen, wobei er vorhat, falls möglich, auch kurzzeitig mal am Schlagzeug zu sitzen.
Das ist schon etwas tragisch, dass der einst so vitale und quirlige Drummer Phil Collins, der einst vorhatte, die Nachfolge des verstorbenen Schlagzeug-Berserkers Keith Moon anzutreten, nun durch seine körperliche Behinderung daran gehindert wird, sein geliebtes Instrument, das Schlagzeug, noch spielen zu können. In einem aktuellen dpa-Interview sagte er: „Wenn ich es nicht so gut kann wie früher, dann lasse ich es lieber ganz. Ich möchte kein Schatten meiner selbst sein. ... Ich wäre bescheuert, wenn ich sagen würde, es fehlt mir nicht. Schließlich habe ich das mein ganzes Leben lang gemacht.“
Den selbstverordneten Rückzug aus dem Musikerleben beendete er 2016, nachdem er Anfang 2011 das Ende seiner Musikerkarriere verkündet hatte. Die Versetzung in den Ruhestand und das Grübeln über seine drei gescheiterten Ehen habe nur zu Depressionen und Alkoholabhängigkeit geführt, sagte er in einem Interview.
Plötzlich war mit dem Musiker Phil Collins wieder zu rechnen – zumal er nach langen Jahren Häme und Hass von Seiten vor allem der britischen Popjournaille nun plötzlich wieder als „cool“ galt. Jedenfalls wurde er durch Referenzen aus der jungen schwarzen Popgarde rehabilitiert. So äußerten sich Alicia Keys und Pharell Williams außerordentlich positiv über Phil Collins; die R’n’B-Stars Kanye West und Beyoncé priesen öffentlich seine Musik; Sean „Puffy“ Combs und Rap-Urgestein Ice T outeten sich als Collins-Fans und eine Top-Riege junger schwarzer Soul- und HipHop-Künstler veröffentlichte die Tribute-Compilation „Urban Renewal feat. The Songs of Phil Collins“. Und auf einmal konnte man lesen, dass junge, hippe Sängerinnen wie Lorde und Florence (and the Machine) ihn als wichtigen Einfluss für ihre Karriere nannten. Und der Guardian schrieb, Phil Collins sei der „Pate moderner Popkultur“.

Erst geliebt, dann gehasst

Vom Artrock-Drummer zum Schlagersänger – so despektierlich kommentierten manche Kritiker die Karriere von Phil Collins, der mit dem Kunststudenten-Rock von Genesis zu Ruhm kam, durch seine Mitarbeit in der Jazzrock-Gruppe Brand X zu Renommee und mit seinen deutsch gesungenen Tarzan-Filmsongs 1999 in den Ruch kam, sich den Niederungen der Schlageronkels allzu sehr angenähert zu haben. Der Sinkflug des einstigen Überfliegers begann Anfang der 90er. Seine damaligen Soloalben „Both Sides“ von 1993 und „Dance Into The Light“ von 1996 verkauften sich zwar noch gut, blieben kommerziell aber deutlich hinter den Erwartungen zurück. Noch in den 80ern war er der erfolgreiche Hans Dampf in allen Pop-Gassen: ob bei Eric Clapton, Robert Plant, Tina Turner, Brian Eno, Mike Oldfield, Paul McCartney oder Dutzenden anderer Stars, in jeder dritten Pop-LP jener Zeit hatte er seine Produzenten-Finger oder Trommelstöcke drin. Und das alles neben TV- und Filmprojekten (als Schauspieler und Filmmusik-Komponist), neben seiner Hausband Genesis und – nicht zu vergessen – neben seiner explodierenden Solokarriere, die den äußerlich eher unauffälligen „Normalo“-Musiker in ungeahnte Superstar-Höhen katapultierte. Alles, was er damals anfasste, schien zu Gold zu werden. Mit „nur“ einem Golden Globe Award musste er sich im Jahre 2000 bescheiden, verliehen für seine Herz/Schmerz-Musik zum Disney-Film „Tarzan“.
Das böse Wort, vom Schlagersänger kam auf wegen Aufnahmen wie dieser: „Dir gehört mein Herz“

Phil Collins live 1999 in der ZDF-Sendung „Wetten, dass..“. Beim Singen las er den deutschen Text von selbstgeschriebenen Zetteln ab, auf die er die für ihn unverständliche deutsche Textübersetzung in einer eigenen Lautschrift hingekritzelt hatte. Über diesen Auftritt bei Thomas Gottschalk sagte er später, das sei eine Mischung aus Mut und Dummheit gewesen, wenn man daran denke, was er da vor 20 Millionen deutschen Fernsehzuschauern gemacht habe. Das sei ja nicht so wie bei einer Studioaufnahme, wo man sagen könne, ich mach’s noch mal. Das habe mit seiner kranken, perversen Seite zu tun, die so etwas genießen würde. Auch dies sei einer der Gründe gewesen, warum er den Soundtrack für den Tarzan-Film gemacht habe.
Das war offenbar eine große und willkommene Herausforderung für den Pop-Tarzan Phil Collins, sich auch durch den Dschungel der deutschen Sprache hindurchzuschlagen.

Diesen Ausflug in den kitschigen Dschungel des Disney-Entertainments wollten ihm viele seiner Artrock-Fans und das Gros der seriösen Musikkritiker kaum verzeihen.
Doch unterschätzen, oder gar abschreiben durfte man den kompetenten Drummer und Songschreiber niemals. So überraschte er 1996 positiv mit einem ambitionierten Bigband-Projekt, veröffentlichte 2010 mit „Going Back“ ein Soul-Album mit Coversongs aus der Motown-Ära und schrieb 2012 als Co-Autor verblüffenderweise ein Buch über die Geschichte der Texanischen Revolution von 1835 und die Schlacht von Alamo („The Alamo and Beyond: A Collector’s Journey“). Seine Autobiografie folgte im Oktober 2016 unter dem deutschen Titel „Da kommt noch was (Not dead yet)“.

Buchcover der Autobiografie von Phil Collins

 

 

Ab seinem 65. Geburtstag wurden seine Soloalben portionsweise als überarbeitete Neuauflagen veröffentlicht, ergänzt durch Live-Aufnahmen, Demos und diverse Bonus-Tracks.
Die Titelüberschrift der Sammler-Box mit allen acht Soloalben „Take A Look At Me Now“ ernst nehmend, tauschte Collins die Porträtfotos der Originalalben durch neu aufgenommene Fotos mit seiner aktuellen, gealterten Physiognomie aus.

Erst hat man ihn gefeiert, dann gehasst und allmählich wurde er schrittweise wieder rehabilitiert und anerkannt für seine Leistung als Musiker, Sänger und Songschreiber. Es war auch nötig, ohne vorgefasste Meinungen einen neuen Blick zu werfen auf Phil Collins und seine Musik, für die er vor allem aus der jungen schwarzen Musikszene deutlich hörbar Lob gezollt bekam. Die Zeit schien gekommen zu sein, jene wüsten Beschimpfungen, die Phil Collins ab den späten 80er Jahren auf sich gezogen hatte, zu hinterfragen und sich vorurteilsfrei mit der Musik von Phil Collins zu beschäftigen.
Dazu bietet sich seit ein paar Jahren die Gelegenheit anhand der aktuellen (Wieder-)Veröffentlichungen von bekannten und nicht bekannten Aufnahmen von Phil Collins aus den 80er und 90er Jahren. Und so kann man sich nun auch seine Musik von damals anhören und fragen, ob sie gealtert ist, ob sie eventuell gar als gestrig und erledigt zu betrachten ist, oder ob sie womöglich im Laufe der Zeit gereift ist, oder sogar gewonnen hat. Oder ob die Kritiker, vor allem die englischen, mit ihren Verrissen in den 90er Jahren doch recht hatten.

Phil Collins - live in Washington DC (Foto: Andrew Bossi, CC BY-SA 2.5 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.5>, via Wikimedia Commons)

Vom Himmel hoch, Absturz in die Hölle

Was hat man ihn geliebt, was hat man ihn gehasst, wie sehr hat man ihn erst in den Himmel gehoben und dann in die Hölle gewünscht. Erst gefeiert, dann verpönt und nun wieder rehabilitiert. Das in Kurzform ist die Karriere von Phil Collins im Spiegel der Pop-Journaille und Musikerszene. Seine acht Soloalben, die zwischen 1981 und 2010 erschienen sind, liegen komplett als Wiederveröffentlichungen und neu bearbeitete Sonder-Editionen vor, natürlich sorgfältig re-mastered, zusammen mit diversen zum Teil bislang unveröffentlichten Live-Aufnahmen und Demoversionen. Diese Solowerkschau begann vor fünf Jahre mit den Soloalben „Face Value“, dem Debüt-Soloalbum von Phil Collins aus dem Jahre 1981 und dem fünften Soloalbum „Both Sides“ von 1993. Beide Wiederveröffentlichungen sind als Doppel-CD erschienen und enthalten jeweils auf CD1 das Original-Album in neu abgemischter Form; auf CD2 sind jeweils Live-Versionen und Demoaufnahmen zu hören. Diese beiden Re-Issues sind Teil der Werkschau-CD-Box mit dem Titel „Take A Look At Me Now“, in der alle 8 Soloalben Platz haben.

CD-Box "Take A Look At Me Now"

Herausragende Überraschungen enthalten die Bonus-CDs nicht unbedingt, aber einige bislang unveröffentlichte Liveaufnahmen machen hörbar, wie sich die Originalstudiofassungen der Songs im Laufe der Zeit verändert haben. Hierzu gleich ein Beispiel: der Song „We Wait And We Wonder“, der den Terror in England Anfang der 90er Jahre thematisiert, dieser Song aus dem Album „Both Sides“ ist zunächst in der Studiofassung zu hören, anschließend in der Livefassung, die rhythmisch kräftiger ist, mehr den Gitarrensound betont und in der Tonart einen Halbton tiefer gesetzt ist. „We Wait And We Wonder“

„We Wait And We Wonder“ - live

„Wir fragen uns, was sie sich wohl denken, wenn sie das Leben eines jungen Menschen auslöschen. Wir warten und fragen, wie so etwas passieren kann, das Töten von alten, von unschuldigen und jungen Menschen. Sie kennen keine Reue, kein Erbarmen, kein Mitgefühl, diese tapferen Helden kennen nur eines: Zuschlagen und Verschwinden. Aus meiner Traurigkeit wird langsam Wut. und wir fragen uns, wie können diese Wunden jemals heilen. Sagt mir, wann wird das aufhören, wie viele Tränen müssen noch fließen, wie weit werden sie noch gehen?“ so heißt es im Text dieses Songs „We Wait And We Wonder“, der Bezug nimmt auf die Terror-Anschläge der IRA Anfang der 90er Jahre in England. Phil Collins hat also nicht nur weinerliche Herz/Schmerz-Texte geschrieben, wie ihm oft vorgeworfen wurde - nicht völlig zu Unrecht. Die zuletzt gerade gehörte Live-Fassung von „We Wait And We Wonder“ wurde während der Welt-Tournee „Both Sides Of The World“ aufgenommen, die 13 Monate andauerte, von April 1994 bis Mai 1995, und sehr erfolgreich verlief – obwohl das Album „Both Sides“ zwar immer noch eine Auflage von 11 Millionen erreichte, aber weit hinter den Erwartungen zurückblieb, zumal die beiden Vorläuferalben „But Seriously“ (1989) und „No Jacket Required“ (1985) weit mehr als die doppelte Menge verkauft hatten. Man sprach damals schon von Phil Collins als einem sinkenden Stern. Wie sieht er das selbst?
Phil Collins sagte in einem Interview zu seiner Wiederveröffentlichungs-Serie rückblickend, „Both Sides“ sei kein Hitalbum gewesen, es folgte auf sein erfolgreichstes Album „But Seriously“, und verkaufte nur 11 Millionen, das sei eben bei weitem nicht so viel gewesen wie beim Album zuvor, doch heutzutage würde man ausflippen bei 11 Millionen. Aber das sei relativ zu sehen, damals war es ein erheblicher Rückgang, Das Album sei in einer Zeit veröffentlicht worden, als Grunge und Garage-Rock aufkamen, das heißt, er habe damals nicht gerade dem Zeitgeschmack entsprochen. Aber er glaube nicht, dass das Album altmodisch sei. dann eher wären manche Songs des Albums „No Jacket Required“ gealtert, aber „Both Sides“ sei sehr ehrlich.

Albumcover "Both Sides"

Immer wieder betonte Phil Collins „Both Sides“ sei sein Lieblingsalbum, wohl auch weil es sein persönlichstes Album wurde, bei dem er fast alle Instrumente alleine gespielt hatte. Die Kritik allerdings urteilte ungnädig und das Publikum reagierte in den Konzerten der „Both Sides Of The World“-Tour wesentlich zurückhaltender auf die Songs des Albums „Both Sides“ als auf die Songs der früheren Alben. Der zuvor gehörte Song „We Wait And We Wonder“ war im April 1994 als Single veröffentlicht worden und kam in England nur auf einen enttäuschenden Platz 43 und verpasste in den USA sogar eine Platzierung in den Top Hundert. Die Rückseite dieser Single ist in der Wiederveröffentlichung des Albums „Both Sides“ enthalten und gilt als unterbewertete Rarität in der Phil Collins-Diskographie; es ist eine der typischen, schön sentimentalen Phil Collins Balladen.

„Take Me With You“, war - wie gesagt - die Rückseite der Single „We Wait And We Wonder“, die musikalisch nicht schwächer war als frühere Singles von Phil Collins, aber in den Charts nicht mehr viel bewegen konnte. Die Übersättigung am Sound von Phil Collins war nach eineinhalb Jahrzehnten Megaerfolgen als Solist und mit seiner Band Genesis überdeutlich spürbar. Noch 1991/1992 hatte Genesis sechs Singles aus dem Nr. 1 Hitalbum „We Can’t Dance“ ausgekoppelt. Lead-Sänger und dominierender Frontmann war immer Phil Collins. Gastauftritte bei Albumproduktionen und Konzertereignissen von befreundeten Musiker häuften sich. Und dann gab es ja auch noch die Schauspielerkarriere von Phil Collins, angefangen 1988 mit dem Kinofilm „Buster“ über den großen Postzugraub in England, aus dessen Soundtrack gleich 3 erfolgreiche Singles ausgekoppelt wurden, über den Stephen Spielberg Fantasy-Film „Hook“, eine Fortsetzung der Peter Pan-Geschichte von 1991 – bis zu seiner Hauptrolle im Film „Ein schräger Vogel, von 1993.

Plakat Kinofilm "Buster"

Phil Collins war also Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre dauerpräsent, ob im Radio, im Fernsehen und Kino oder auf der Bühne, erst recht in den heimischen Musikanlagen. Kein Wunder, dass dieser mediale Overkill irgendwann kippen musste. Vorher gefeiert und verehrt, wehte Phil Collins und seiner Hausband Genesis ab 1986/87 eine steife kalte Brise entgegen. Speziell in ihrer Heimat England wurden Genesis, aber vor allem Phil Collins von den Kritikern zunehmend härter angegangen. Als Solist und als Mitglied von Genesis hatte Phil Collins zu diesem Zeitpunkt bereits 170 Millionen Tonträger verkauft, die Konzerte waren ausverkauft, er befand sich auf der Höhe seines Ruhmes - und gleichzeitig verhöhnten ihn die englischen Kritiker wie kaum einen zweiten Musiker. Er bot auch genug Angriffsflächen: vom Artrock-Drummer, der mit den frühen Genesis komplexe Songstrukturen entwickelt hatte, mutierte er zum Mainstream-Popper, der die Hitparaden mit Massenware belieferte. Auch wenn das eine überspitzte, um nicht zu sagen überzogene Kritik war, er wurde zum Prügelknaben der britischen Musikjournalisten. Je häufiger er als Solist oder mit Genesis an der Spitze der Hitparade auftauchte, um so wütender, vielleicht auch neidischer wurde ihm vorgeworfen, Hits am Reißbrett zu klonen. Auf solche Anwürfe antwortet er bis heute, er habe keine Masche, er schreibe nicht für die Hitparade oder für die Leute; er schreibe erstmal für sich selbst. Zuallererst müsse es ihm gefallen, was er schreibe. Und wenn das auch andern gefallen würde, sei das großartig. Aber, dass es andern gefalle, das sei nicht der Grund, es zu tun.

Diese lange Zeit unveröffentlicht gebliebene Liveaufnahme des Phil Collins-Solohits „I Missed Again“ ist der CD „Extra Values“ entnommen, der Bonus-CD des Doppelalbums „Face Value“, der Remaster-Wiederveröffentlichung des gleichnamigen ersten Soloalbums von 1981. Im Songtext von „I Missed Again“ ironisiert Phil Collins sich selbst und seine Klage über den Liebesverlust. Er singt über eine weitere unerfüllte Liebe und kommentiert es mit dem lapidaren Ausspruch „I missed Again“, zu deutsch etwa „wiedermal daneben gegangen“. Aber erstmal ging es für ihn nur bergauf. Sein Stern als Musiker ging im Dezember 1970 auf, als der damals 20-jährige Schlagzeuger Philip David Charles Collins, genannt Phil (geboren am 30.01.1951 in Chiswick, London), von seiner Band Flaming Youth zur aufstrebenden Artrock-Band Genesis wechselte. 1975 musste die Stelle des Sängers und Frontmann von Genesis neu besetzt werden, weil Peter Gabriel die Band verlassen hatte, um eine Solokarriere zu beginnen. Viele neue Sänger wurden erfolglos getestet. Bis man sich des eigenen Drummers besann, der bislang im Background Chor und nur höchst selten mal auch eine Hauptstimme gesungen hatte. Erstaunlicherweise war der Ton und die Singweise von Phil Collins der Vokalcharakteristik von Peter Gabriel recht ähnlich. Also wechselte Phil Collins vom Schlagzeug in den Mittelpunkt und Bühnenvordergrund. Auch musikalisch begann er, die Gruppe Genesis stärker zu beeinflussen und in ein mehr populäres Fahrwasser zu lenken. Seine Stimme und seine Stilvorstellungen prägten künftig das musikalische Erscheinungsbild von Genesis. In welche Richtung er sich schon Ende der 70er Jahre, Anfang der 80er Jahre orientierte, kann beim folgenden Songbeispiel recht deutlich hörbar werden. Für sein Soloalbum „Face Value“ von 1981, nahm er mit „Behind The Lines“ auch einen Genesis-Song aus dem Album „Duke“ von 1980 auf. Die stilistischen Unterschiede zwischen beiden Fassungen sind frappierend und aufschlussreich. Hier ist zunächst die Ursprungsfassung aus dem Genesis Album „Duke“ zu hören.

Dies ist der typische Genesis-Stil zum Ende der 70er Jahre, mit raffinierter Rhythmik, differenzierten Arrangements, keyboard-dominiertem Sound und natürlich mit der Gesangsstimme von Phil Collins, insgesamt aber großformatiger Artrock-Stil á la Genesis. Den gleichen Song „Behind The Lines“ hat Phil Collins für sein erstes Soloalbum von 1981 nochmals neu aufgenommen und dabei völlig neu arrangiert. Der Kontrast macht deutlich hörbar, wohin Phil Collins musikalisch und stilistisch strebte. Das gravitätische Schrittmaß mit der dennoch raffinierten Rhythmik, der insgesamt leicht pathetische Stil mit der Anmutung kunstvollen Ausdrucks, den Genesis pflegte, ist in der Collins-Solo-Version völlig verschwunden. Er machte aus diesem Song „Behind The Lines“, den Phil Collins gemeinsam mit seinen Genesis-Kollegen Tony Banks und Mike Rutherford für das Album „Duke“ geschrieben hatte, einen beschleunigten und rhythmisch begradigten Funky Dance-Titel mit messerscharfen Bläsern und einer gehörigen Portion Soul

Das war die Musikrichtung, die Phil Collins 1981 favorisierte, die er in seinem Solo-Debütalbum „Face Value“ in Reinkultur vorexerzierte und die er auch seiner Hausband Genesis in modifizierter Genesis-Variation verordnen wollte. Und er setzte sich durch.

Albumcover "Abacab"

Auf dem 81er Genesis-Album „Abacab“ waren mit einem Mal Soulbläser und Dance-Rhythmen zu hören. Was bei Genesis vorher unvorstellbar war, hatte Phil Collins bei seinen Kollegen durchgedrückt. Die erstmals radiotaugliche Popmusik von Genesis erlangte auch sogleich größeren Publikumszuspruch als je zuvor. War das Kalkül oder bloße Begeisterung, dass Phil Collins die Soul-Bläser damals so sehr favorisierte?.
„Ich verwende Bläser“, sagte Phil Collins damals, „weil es das ist, was ich gerne höre. Ich bin ein Fan der Bigbands. Wenn junge Leute heute eine echte Bläsergruppe sehen, anstatt Typen, die Synthesizer bedienen – und elektronische Bläsertöne klingen niemals wie ein echtes Instrument – dann kann man sehen, wie ihre Gesichter strahlen, weil die Instrumente glitzern. Es ist nicht nur ein schöner optischer Eindruck, denn natürlich ist der Klang das Wichtigste. Eine Trompete klingt so scharf, als würde man Papier zerreißen.“
Im Jahre 1996 hatte sich Phil Collins dann seinen lang gehegten Traum von einer eigenen Bigband erfüllen können. Bei einigen Sommer-Festivals, so auch in Montreux, präsentierte er seine Bigband unter der Leitung von Quincy Jones und spielte swingende Instrumentalfassungen seiner großen Hits, der er ursprünglich alleine oder mit Genesis aufgenommen hatte. 1999 erschien das Album „A Hot Night In Paris“ der Phil Collins Big Band

Ungewohnte Musik von Phil Collins, vorgestellt auf europäischen Sommer-Festivals in den Jahren 1996 und ’97. Die Phil Collins-BigBand spielte Instrumentalfassungen von bekannten Collins- und Genesis-Songs im typischen traditionellen Jazz-Arrangement einer Bigband – gelungen und vom Publikum gefeiert war z.B. die Bigband-Version des Genesis-Klassikers „That’s All“. Phil Collins sagte in Montreux 1996 scherzhaft, mit seiner Bigband könne er Musik auch noch als Rentner machen, was er vor 5 Jahren mit seinem 65. Geburtstag auch geworden ist. Bei der Bigband, sagte er 1996, liege die Altersgrenze doch wesentlich höher als bei der jugendlich-orientierten Popmusik. Ich fragte ihn damals beim Montreux-Jazzfestival, ob er damit eventuell auch noch eine Art von pädagogischem Auftrag verbinde, ob er dem Pop-Publikum Bigband-Jazz näher bringen wolle, oder dem Jazz-Publikum Pop? Er antwortete: „Ich glaube, im Grunde ist es beides. Ich wünsche mir, ich könnte das Pop-Publikum interessieren, für das, was ich hier mit der Bigband machr. Denn normalerweise würden sie sich wohl nicht dafür interessieren, und, dass sie hier etwas mitbekommen, was sie ansonsten vielleicht niemals von anderen hören würden. Wenn ich Konzerte mit einer Bläsergruppe gebe, dann bin ich mir sehr bewusst, dass Kids in Amerika und Europa ihren Vater fragen, ‚Dady, was ist das?’ Und er antwortet: ‚Das ist eine Trompete, meim Sohn. Viele Leute spielen Trompete. Und das ist ein Saxophon.’ Eine Menge Kids, und ich verallgemeinere jetzt, kennen diese Instrumente kaum und haben noch nie eine Bigband gesehen. Und sie haben noch diese Erregung gespürt, wenn 20 Musiker auf einmal spielen, Das ist auch ein großer Nervenkitzel für mich. Als ich 1966 Buddy Rich und seine Bigband hörte, dachte ich, so etwas möchte ich auch einmal machen. Und wenn die Leute das hier von mir hören und gut finden, ist das vielleicht eine Anregung, noch mehr Jazz zu hören.“
Der im Mai 1999 veröffentlichte Livemitschnitt der Phil Collins Bigband unter dem Titel „A Hot Night In Paris“ auf den Markt“ und wurde natürlich kein Renner. In Deutschland konnte man das Album nur über Importdienste beziehen. In den US-amerikanischen Jazz-Album-Charts belegte die Phil Collins Bigband immerhin Platz 3. Im Oktober 1998 konnte sich Phil Collins einen Traum erfüllen. In New York hatte er die Gelegenheit, mit der Bigband des 1987 verstorbenen Buddy Rich spielen zu können.
Phil Collins with The Buddy Rich Big Band Sussudio

Und was ist das gleich folgende? Natürlich Prince mit dem Titelstück seines Albums „1999“ von 1982. Die Ähnlichkeiten speziell des Synthi-Themas von Prince mit dem Keyboard-Thema von „Sussudio“ aus dem Phil Collins Album „No Jacket Required“ von 1985 sind auffällig. Wer sich da von wem inspirieren ließ, steht außer Frage, Phil Collins hat dem auch nie widersprochen.

(Prince)

- (Phil Collins

Diese scharfen Bläsersätze – hier von den Phenix Horns gespielt, der Bläsergruppe von Earth Wind and Fire – gaben klanglich schon 1985, als dieser Titel eingespielt wurde, einen deutlichen Hinweis auf das Bigband-Musikprojekt, mit dem Phil Collins 1996/97 die Popwelt überraschen sollte. Das für seine Verhältnisse rhythmisch sehr harte, tanztaugliche Stück „Sussudio“ aus seinem dritten Solo-Album „No Jacket Required“ belegte Platz 1 in den US-amerikanischen Single-Charts, ein Hit von Dutzenden, die Phil Collins zum Abonnenten in den internationalen Hitparaden und in den weltweiten Radioprogrammen machten. Doch nur darauf reduziert zu werden, das hat ihn immer gewurmt. 1996 in Montreux sagte er mir, er neige dazu Kontrastreiches, dies und jenes zu machen. Er könne auf der Bühne mit Eric Clapton stehen, oder mit einer Bigband oder mit Genesis, oder könne als Schauspieler arbeiten. Glücklicherweise seien die Leute daran gewöhnt, nie genau zu wissen, was sie von ihm zu erwarten haben. Aber die Leute würden dazu neigen, zu vereinfachen. Sie würden denken, alles was er mache, sei „One More Night“ und „Against All Odds“ und „Sussudio“. Und daran sei nichts falsch, aber er mache doch noch eine Menge mehr. – Was er mit seiner Neben-Gruppe Brand X musikalisch machte, das überforderte die allermeisten der von ihm angesprochenen „Leute“. Ende 1974 schloss sich Phil Collins, quasi als Ausgleich zu Genesis, der Jazz-Fusionband Brand X an, in deren Musik mehr Raum für Improvisationen war als im strengeren Musikkonzept von Genesis. Bis 1980 wirkte er an sechs Alben von Brand X mit und gehörte auch zu den aktivsten Komponisten der Band. Für das 1977 veröffentlichte Album „Moroccan Roll“ von Brand X schrieb Phil Collins den experimentierfreudigen Titel „Why Should I Lend You Mine (When You've Broken Yours Off Already)..." (unmittelbar gefolgt von dem witzig antwortenden Titel „...Maybe I'll Lend You Mine after All") und spielte neben dem Schlagzeug auch Piano.

Geliebt, geschmäht, geschätzt. Erst wurde er gefeiert, dann gehasst und allmählich wieder rehabilitiert und anerkannt für seine Leistung als Musiker, Sänger und Songschreiber. Im Bonusmaterial der wiederveröffentlichten Soloalben finden sich einige interessante Aufnahmen, etwa die folgende Liveaufnahme des Songs „Misunderstanding“, den Phil Collins für das Genesis-Album „Duke“ geschrieben, aber auch auf seinen eigenen Solotourneen live gespielt hat

Phil Collins hatte diesen Song ursprünglich für sein Debüt-Soloalbum „Face Value“ geschrieben, entschied sich dann aber, den Song mit seinen Genesis-Kollegen für das Genesis-Album „Duke“ einzuspielen. Auf seiner Solotournee „Both Sides Of The World“ gehörte der Song dann auch zu seinem Konzertprogramm. Die vorstehend gepostete Live-Aufnahme wurde während dieser Tour aufgezeichnet und findet sich veröffentlicht auf der Bonus-CD der remasterten Wiederveröffentlichung des Solo-Debütalbums „Face Value“.
Phil Collins wurde mit 7 Grammys ausgezeichnet und mit einem Oskar dekoriert; er hat 250 Millionen Tonträger verkauft, wenn man die Genesis-Platten mitrechnet; er hat ein riesiges Vermögen angehäuft, Schätzungen pendeln zwischen 250 und 350 Millionen US-Dollar. Das Magazin „People With Money“ berichtete am 10. Februar 2016, Phil Collins sei der bestbezahlte Sänger der Welt, er habe von Januar 2015 bis Januar 2016 unfassbare 82 Millionen US-Dollar eingenommen - aber nicht durch seine Musik oder Gesangskünste sondern durch Aktiengewinne, Sponsoring-Einnahmen, Immobilien-Renditen und durch Erträge aus seinem Fußball-Team „Chiswick Angels“, darüber hinaus aus seiner eigenen Wodkamarke „Pure Wonder-Collins“ und seiner Fastfood-Hamburger-Kette „Fat Collins Burger“ – und spätestens da war klar, dass hier mal wieder böse Satiriker ihre Späße auf Kosten von Phil Collins machten, wie das seit den späten 80er Jahren eine gern geübte Praxis ist. An Häme und Spott war niemals Mangel, wenn Phil Collins das Ziel der missgünstigen Presse war. Man verunglimpfte ihn als „Doris Day des Pop“, nannte ihn „Mister Mainstream“ oder „ehemaliges Artrock-Weißbrot“. Man sprach ihm fast jede Relevanz ab. So wurde z.B. auch der soziale Touch und gesellschaftskritische Ton in manchen Songs von Phil Collins als unglaubwürdig und aufgesetzt oder als bloße Attitüde abgetan.

 

 

Derlei Kritik setzte es vor allem für seinen Nummer-1-Hit „Another Day In Paradise“, ein „Stück Sozial-Kitsch“ unkten die Kritiker und nannten es eine wohlfeile Songparabel über Obdachlose, die den Sänger und Songschreiber gleich wieder um ein paar Millionen reicher machen würde. Aber, warum sollte ein reicher Musiker nicht auch über Armut schreiben, wenn Form und Inhalt stimmen.

Die R&B-Geschwister Brandy and Ray J coverten „Another Day In Paradise“ für das Tribute-Album „Urban Renewal feat. The Songs Of Phil Collins“, das 2001 in Europa und 2003 in den USA auf den Markt kam und keine sonderlich guten Kritiken erhielt. Im Gegenteil: 2006 veröffentlichte das britische Q-Magazin seine Liste der 50 schlechtesten Alben aller Zeiten und setzte dieses Phil Collins-Tribute-Album „Urban Renewal“ auf Platz 3. – eine Negativ-Beurteilung, die man als überzogen bezeichnen kann. Der Phil Collins-Originalsong „Another Day In Paradise“ war Ende 1989 eine Nummer-1-Single aus dem Nummer-1-Album „But Seriously“. Der Erfolg von Phil Collins war zum damaligen Zeitpunkt so groß, dass in jeder Stunde mindestens ein Hit von ihm irgendwo auf der Welt im Radioprogramm zu hören war. Die Übersättigung mit PC, den politisch korrekten Phil Collins-Songs nahm solche Ausmaße an, dass Radiostationen in den USA und anderswo schon damit warben, besondere Ausgaben ihrer Sendungen seien garantiert Phil Collins-frei. Eine Garantie, die gar nicht so leicht einzulösen war, denn schließlich war Phil Collins damals omnipräsent, weil er extrem begehrt war bei Musikerkollegen wegen seiner außergewöhnlichen Qualitäten als Studiodrummer oder Produzent. Wer also ein Phil Collins-freies Radioprogramm damals zusammenstellen wollte, musste die Plattenangaben genau studieren, ob da nicht irgendwo der Name Phil Collins vermerkt war. Wer einfach zu einer neuen Eric Clapton-Platte jener Zeit griff, um Phil Collins zu entgehen, hatte sich heftig geirrt, denn Phil Collins wirkte gleich auf 3 Eric Clapton-Alben jener Zeit mit: „Behind The Sun“ von 1985, „August“ von 1986 und „Journeyman“ von 1989. Im Album „August“ war Phil Collins nicht nur Produzent und Schlagzeuger, sondern auch Co-Komponist beim folgenden Song „Hold On“. Herauszuhören sind seine Fähigkeiten, einen Mainstream-Popsong mit qualitativem Anspruch zu produzieren und sein Können als Schlagzeuger. Phil Collins hat als Drummer einen unverkennbaren Stil, der gleich im Intro deutlich zu Tage tritt.

Nicht nur Eric Clapton schätzte die Fähigkeiten von Phil Collins als Produzent. Sein musikalisches Gespür für ein ausgewogenes Verhältnis von Radiotauglichkeit und damit Befriedigung der Erwartungshaltung des Mainstream-Pop-Publikums auf der einen Seite und einem produktionstechnischen Anspruch an ein gewisses Qualitätsniveau, das sich immer um eine Level-Ebene über dem herkömmlichen Durchschnittspop bemühte, auf der anderen Seite, galt damals als die Collins’sche Erfolgsformel. Qualitätspop mit dem Etikett besonders wertvoll zu sein, das war die Kurzform, die Phil Collins als Produzent charakterisieren sollte – und dem wurde er auch oft gerecht. Doch in seiner eigentlichen Bestimmung verstand er sich vornehmlich immer als Drummer und wurde von Kollegen als Könner hochgeschätzt. Er galt gleichermaßen als makelloser Techniker und trickreicher, phantasievoller Rhythmiker. Seine charakteristische druckvolle Spielweise, sein typischer Sound war in den 80er Jahren heiß begehrt in der internationalen Pop/Rock-Szene. Bei vielen Produktionen einer großen Zahl von Pop- und Rock-Stars, ob in Live-Konzerten oder bei Studioproduktionen, hat Phil Collins seine Talente eindrucksvoll in Szene gesetzt. Um seine Variabilität, sein Können und seinen unverkennbaren Schlagzeug-Stil in Erinnerung zu rufen, sollen hier nun einige Beispiele für Studioarbeiten von Phil Collins aufgezählt werden. Für Robert Plant den Ex-Led Zeppelin-Sänger z.B. saß er öfter im Konzert und im Studio hinterm Schlagzeug. Ein rhythmisch interessantes Beispiel ist der Einstieg zum Titel „Messin With The Mekon“ aus dem 1983er Album „The Principle Of Moments“ von Robert Plant

Schon bei der Einspielung von Robert Plants Solo-Debütalbum „Pictures At Eleven“ von 1982 hatte Phil Collins bei sechs der insgesamt acht Songs hinterm Schlagzeug gesessen, so auch beim Folgealbum „The Principle Of Moments“ von 1983, wie hier gerade dokumentiert wurde im Song „Messin With The Mekon“, den Phil Collins mit seinem trickreichen Schlagzeugspiel bereichert hatte. Auch für Peter Gabriel hat Phil Collins klangtechnisch bemerkenswerte Schlagzeugarbeit geleistet, z.B. im Song „Intruder“ aus Peter Gabriels drittem Soloalbum von 1980. Typisch für den speziellen Schlagzeugsound waren Kompressions- und Halleffekte. Dieser Drumsound von Phil Collins war damals stilprägend und wurde oft kopiert

Peter Gabriel entwickelte diesen Song „Intruder“ ausgehend von dem Schlagzeug-Pattern, das Phil Collins mit einem speziellen drum-sound spielte, damals typisch und unverwechselbar. Man sprach von einem „gated reverb drum sound“, ein spezieller Schlagzeugklang, der so beschrieben werden könnte: harter Schall durch starken, aber verkürzten Nachhall und hohe Kompression. Nicht nur für den experimentierfreudigen Peter Gabriel hat Phil Collins getrommelt, sondern auch für den noch ambitionierteren, fast exzentrischen Klanglabor-Forscher Brian Eno. Zu dessen drittem Soloalbum „Another Green World“ von 1975 steuerte Phil Collins sowohl zurückhaltende als auch expressive Schlagzeug-Grooves bei, wie etwa im Titel „Sky Saw“

Brian Enos ambitioniertes Klangwerk „Sky saw“ stammt aus seinem damals viel diskutierten Album „Another Green World“ von 1975. Zum Gelingen dieses Avantgarde-Rock-Albums hatte auch Phil Collins mit seinem Können als Schlagzeuger beigetragen. Nicht nur der Drummer, sondern auch der Produzent war er beim Album „Glorious Fool“ des höchst individuellen und vielgerühmten, britischen Singer/Songwriters John Martyn, der für seinen Stilmix aus Folk, Jazz, Blues und Rock, mit romantischen und melancholischen Stimmungen versetzt, verehrt wurde. Im Titelstück des Albums aus dem Jahre 1981 kann man hören. dass Phil Collins nicht nur konturiert und druckvoll spielen kann, sondern auch sehr variabel.

„Glorious Fool“, das Titelstück des gleichnamigen Albums von John Martyn soll auf den damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan gezielt gewesen sein. Phil Collins hatte das hoch gelobte Album produziert und betrommelt – auch ein wenig Background-Gesang hatte er beigesteuert. Insgesamt machte es Phil Collins möglich, dass „Glorious Fool“ zu den best verkauften Alben zu zählen ist in der mit 28 Alben umfangreichen, aber wenig erfolgreichen Plattenkarriere des im Jahre 2009 verstorbenen John Martyn. Sogar für den New Romantic-Sänger Adam Ant hat Phil Collins die Trommelstöcke geschwungen und im Produzentensessel Platz genommen. Ein Beispiel aus dieser Zusammenarbeit ist die Adam Ant-Single „Strip“ aus dem Jahre 1983

„Strip“ ist das Titelstück des zweiten Soloalbums von Adam Ant aus dem Jahre 1983. das Phil Collins co-produziert hatte, was aber den Verkaufszahlen des Albums nicht auf die Sprünge helfen konnte. Phil Collins hatte sich als Schlagzeuger und Mit-Produzent des Albums deutlich mehr Erfolg versprochen. So vieles war zuvor schon zu Gold geworden, was Phil Collins in seinen erfolgsverwöhnten Händen hatte, doch dieses Adam Ant-Album war die Ausnahme von der Regel. Ein Jahr später dagegen war seine Produzententätigkeit für Philip Bailey, den Sänger von Earth Wind and Fire und für dessen Soloalbum „Chinese Wall“ ein absoluter Haupttreffer. Co-Autor, Schlagzeuger, Produzent und Sänger im Duo mit Philip Bailey war Phil Collins im Welthit „Easy Lover“.

Anfang 1985 belegte „Easy Lover“ in den Charts weltweit Spitzenplätze. Dieser Song, im Duett mit Philip Bailey gesungen, war wohl die erfolgreichste Auftragsarbeit von Phil Collins für einen anderen Künstler. Als Co-Autor, Duett-Sänger, Co-Arrangeur, Drummer und Produzent hatte er einen entscheidenden Anteil an dem Welterfolg nicht nur des Songs „Easy Lover“ sondern auch des ganzen Albums „Chinese Wall“ von Philip Bailey. „Easy Lover“, dieser Dauer-Radio-Song, der textlich von einer attraktiven Frau handelt, die den Männern reihenweise den Kopf verdreht, gehörte bei den Punks, Indiepop- und Alternative Rock-Fans zu den meist gehassten Hervorbringungen von Phil Collins jener Zeit. Er selbst antwortete 2015 auf die Frage von Spiegel-Kultur, welchen Song er heute noch als eine musikalische Großtat verbuchen würde? Zitat: „Easy Lover". Wenn Sie diese Platte heute auflegen, klingt sie noch immer gut. Sie altert nicht.“ Das kann man tatsächlich anders sehen. 1983 hatte Phil Collins seine schlagzeugtechnischen Talente dem Edel-Gitarristen und Jazzfusion-Musiker Al Di Meola für dessen Titel „Island Dreamer“ zur Verfügung gestellt. Phil Collins spielte in diesem leicht süßlichen Titel, der ein wenig nach Werbespot für einen Karibikurlaub klingt, ein für ihn typisches, unverwechselbares Drum-Muster, unter zusätzlicher Verwendung von elektronischen Drumbeats.

Die unverkennbare Schlagzeug-Charakteristik von Phil Collins ist hier sofort herauszuhören. Sein dynamisches Spiel hilft bei diesem Instrumentalstück „Island Dreamer“ von Al Di Meola, dass der Inselträumer nicht im Kitsch badet.
1980 bewahrte Phil Collins mit seinem beweglichen und punktuell kraftvoll einsetzenden Schlagzeugspiel den Titel „Sheba“ von Mike Oldfield, gesungen von Maggie Riley, vor zuviel Nähe zur Seichtigkeit

Auch hier ließ Phil Collins immer wieder sein prägnantes Schlagzeugspiel aufblitzen in diesem Song „Sheba“ von Mike Oldfield aus dem Jahre 1980. Im Sommer 1985 schien sich Paul McCartney in einer kreativen wie kommerziellen Krise zu befinden. Sein letztes Filmprojekt „Give My Regards To Broadstreet“ von 1984 war ein Totalflop, sein neues Album „Press To Play“ wollte nicht so recht überzeugend vorankommen, obwohl er sich als Kompagnon den 10cc-Musiker Eric Stewart mit ins Boot, respektive ins Studio geholt hatte. Gemeinsam mit Eric Stewart schrieb er unter anderem den forschen, für McCartney-Verhältnisse fast punkigen Titel „Angry“. Damit dieser uptempo-Song auch wirklich knallt und Erfolg versprechend klingt, engagierte Paul McCartney als Drummer den damals angesagtesten Schlagzeuger der Pop/Rock-Szene Phil Collins. Der machte tatsächlich eine Menge Dampf, durfte aber seine variablen Tricks nicht ausspielen. Paul McCartney wollte, dass es rummst. Und Phil Collins konnte auch das natürlich liefern.

Für diesen seinen rockenden Titel „Angry” hatte Paul McCartney den Kopf von The Who Pete Townshend als Gitarrist verpflichtet und den Überdrummer jener Zeit, Anno 1985, Phil Collins. Es nutzte aber nichts! Das McCartney-Album „Press To Play“, in dem der Song „Angry“ enthalten ist, sollte als eines der am schlechtesten verkauften Alben in die Historie von Paul McCartney eingehen.
Auch Phil Collins hat an einigen weniger gut verkauften Alben mitgewirkt, und das mit Herzblut, aber von Anfang an und ganz bewusst mit keinem großen kommerziellen Interesse. An sechs Alben der Jazzrock/Fusion-Band Brand X war Phil Collins von 1976 bis 1980 – wie zuvor schon erwähnt – maßgeblich beteiligt. Brand X war für ihn ein Ausgleich zur Arbeit mit seiner Topband Genesis und ein Experimentierfeld für sein erweitertes rhythmisches Spektrum. Für das Brand X-Album „Product“ von 1979 hatte Phil Collins den Titel „... And So To F“ geschrieben, den er auch auf seiner Solotournee im Konzertprogramm hatte. Eine Liveversion, mitgeschnitten während der Solo-Tour „Both Sides of the World“ ist auf der Bonus-CD innerhalb der Wiederveröffentlichung des remasterten Soloalbums „Face Value“ erschienen. Der Titel ist noch immer mehr als hörenswert.

Der großartige Drummer Phil Collins ist hier ganz in seinem Element, bei diesem für seine Zweit-Band Brand X geschriebenen Titel „...And So To F“, den Phil Collins mit seiner eigenen Begleitband auch live spielte während seiner weltweiten Solotournee „Both Sides Of The World“, die vom April 1995 bis Mai 1996 dauerte. Die Jazzrock-Band Brand X, die eine britische Version des US-amerikanischen Fusion-Jazzrock-Stils á la Mahavishnu Orchestra oder Weather Report spielte, war von 1976 bis 1980 die zweite Band von Phil Collins, der er mit Engagement angehörte – parallel zu seiner Haupt-Band Genesis.
Auf seinem Soloalbum „Dance Into The Light“, das nach seinem Ausstieg aus seiner Hausband Genesis im Oktober 1996 veröffentlicht wurde, findet sich ein Song mit Worldmusic-Elementen, zu dessen Hintergrund es eine schöne Geschichte gibt, die der Journalist und Herausgeber Frank Bruder für sein Buch „Pop-Splits“ aufgezeichnet hat. Im Alter von 5 Jahren erkrankt der Sohn von Michaela und Auguste Odone an einer schweren, damals unheilbaren Nebennieren-Insuffizienz. Die behandelnden Ärzte machen den Eltern keine Hoffnung, dass ihr Sohn die Krankheit überleben wird. Doch die Eltern kämpfen um das Leben ihres Sohnes und finden eine spezielle Ölsäure-Therapie, die ihren Sohn rettet. Mutter Michaela schreibt ein gedicht über die Erkrankung und Heilung ihres Sohnes Lorenzo und schickt das Gedicht an Phil Collins, weil der genesene Lorenzo den sehnlichsten Wunsch hat, dass Phil Collins das Gedicht vertont.
Phil Collins war von dieser Geschichte so sehr gerührt, dass er den Wunsch erfüllte. Seine Vertonung des Gedichts nannte er schlicht „Lorenzo“

Phil Collins spielte mit weltmusikalischen, speziell afrikanischen Elementen nicht nur im Song „Lorenzo” aus seinem wiederveröffentlichten Album „Dance Into The light“, seinem sechsten Soloalbum, das im Oktober 1996 erstveröffentlicht wurde und von vielen Kritikern damals verrissen bis schlecht beurteilt wurde - meiner Meinung nach zu Unrecht. In all den Jahren voller Häme und Hass von Seiten vor allem der britischen Popjournaille ist Phil Collins viel Unrecht geschehen. Dass er inzwischen wieder als gänzlich rehabilitiert gilt, hat Phil Collins unter anderem den Referenzen aus der jungen schwarzen Popgarde zu verdanken
Im Tribute-Album „Urban Renewal“ findet sich die Coverversion des wohl berühmtesten Songs von Phil Collins „In The Air Tonight“, im Duett gesungen mit der US-amerikanischen Rapperin und R’n’B-Sängerin Lil’ Kim.

Seit heute ist Phil Collins 70 Jahre alt. Trotz seiner gesundheitlichen Probleme bleibt zu hoffen, dass auch für die nächsten Jahre gilt, was seine Autobiografie im Titel ausdrückt: „Da kommt noch was – Not dead yet“.
Eine Zugabe aus besseren Zeiten: Genesis - "Behind The Lines/Turn It On Again" (Live Earth, Wembley 2007)