Der Frankfurter Gitarrist im Interview über sein Album „Entelecheia“ und sein Geburtstagkonzert am 13. Juni
Offenheit, Interesse und Neugier, das sind Begriffe, die für ihn und seine Musik bedeutsam sind, Max Clouth, den weltoffenen Frankfurter Gitarristen mit besonderer Neigung zur Musikkultur und Philosophie Indiens. Er entdeckte die kontemplative Kraft der indischen Musik für sich, lebte drei Jahre lang in Mumbay und nahm dort von 2009 bis 2012 Unterricht bei Pandit Nayan Ghosh an der Sangit Mahabharati Musikschule. Zuvor hatte er Jazzgitarre an der Hochschule für Musik in Dresden studiert, später, ab 2015, auch an der Hochschule für Musik Mainz.
In Mumbai, wo er auch an der Swarnabhoomi Academy of Music Unterricht nahm, lernte er viel über die Balance zwischen fingerfertiger Rasanz und meditativer Gelassenheit, über schnelle und ruhige Ragas als den zwei Seiten einer Medaille. Er bekam einen Begriff von der tiefen Spiritualität in der indischen Musik und übertrug diese Erfahrungen in seine eigene Musik, die stilistisch breit gefächert ist und offen für alles, was ihn bewegt und fasziniert: Jazzrock und Ethnogrooves, Elektronik und Minimal Music, alte Musik und Neutöner-Experiment, Ambient-Soundscapes und Artrock-Suiten, meditative Klangflächen und Avantgarde, komplexe Texturen und vertrackte Taktarten – und immer wieder Bezüge zur indischen Musik.
All das ist in seinem neuen Album „Entelecheia“ herauszuhören, das in dieser Sendung vorgestellt wird – und all das ist zu hören im großen Konzertprogramm aus Anlass seines 40. Geburtstages in der Frankfurter Brotfabrik am 13. Juni, wozu es im Verlauf dieser Sendung Informationen gibt.
Im ausführlichen, fast 1.1/2-stündigen Interview (siehe Podcast), aus dem in der einstündigen Sendung nur kurze Ausschnitte zu hören sind, spricht Max Clouth über seine musikalischen Einflüsse und Inspirationen, von John McLaughlins Formationen Mahavishnu Orchestra und Shakti bis hin zu den deutschen Weltmusikpionieren Embryo – was man von ihm erwarten würde. Aber er nennt auch Musiker, von denen er inspiriert wurde, die man von ihm nicht erwartet hätte wie Bob Marley und den jamaikanischen Dub von Black Uhuru, oder die deutschen sogenannten Krautrock-Bands wie Can, Guru Guru und im Besonderen Kraftwerk. Seine jüngste Quartett-Formation, die im Herbst ein neues Album herausbringen wird, stellt bereits im Namen Bezüge her. Sie nennt sich Ragawerk und wird sogar einen Kraftwerk-Titel neu interpretieren.
Ein Markenzeichen für Max Clouth sind seine Doppelhals-Gitarren, die er zusammen mit dem Gitarrenbauer Philipp Neumann entwickelte. Sie haben je einen Hals mit und ohne Bünde, verfügen zum Teil über zusätzliche Resonanzsaiten und sind vergleichbar mit dem indischen Saiteninstrumenten Sarod oder der orientalischen Laute Oud.
Max Clouth arbeitet immer wieder mit anderen Musikern zusammen wie jüngst etwa mit dem Flamenco-Gitarristen Luis Gallo, er komponiert Filmmusik und veröffentlichte bislang sieben Alben. Das jüngste „Entelecheia“ erschien im April 2024. Die Titelüberschrift ist auch das Leitmotiv der Musik und steht für einen Gedanken aus der griechischen Philosophie, der (verkürzt) besagt, dass im Wesen des Individuums sein Ziel bereits angelegt sei.
Die Playlist zur Sendung „Max Clouth 4.0 – weltoffene Musik zwischen Mumbai und Mainhattan“:
Artist / Track / Album / Label
1. L.Shankar / Darlene (Kramladen-Themamusik) / Touch Me There / Zappa Records /
2. Max Clouth's Ragawerk feat. Varijashree Venugopal / M.R. / Kamaloka / L+R Records, Bellaphon
3. Max Clouth / Sadhu / Entelecheia / L+R Records, Bellaphon
4. Max Clouth, Kabuki, Sophie-Justine Herr / Lucifer Drowning in a Sea of Light / Lucifer Drowning in a Sea of Light / L+R Records, Bellaphon
5. Max Clouth / Bernstein (Teil 1) / Entelecheia / L+R Records, Bellaphon
6. Max Clouth / Bernstein (Teil 2) / Entelecheia / L+R Records, Bellaphon
7. Florian-Samuel Späth / Wild Ride / Wild Ride / GC Records
8. Tilmann Höhn / Chromatic Lament / Stories My Guitar Told Me / Klangraum Verlag
9. Max Clouth / Synthetic Stripes / Entelecheia / L+R Records, Bellaphon
10. Max Clouth / Emerald / Entelecheia / L+R Records, Bellaphon
(Video Entelecheia)
Die Sendung „Max Clouth 4.0 – weltoffene Musik zwischen Mumbai und Mainhattan“ wird von Antenne Mainz über DAB+ und UKW ausgestrahlt am Do 12.06. um 23 Uhr und am So 15.06.25 um 22 Uhr – und läuft in Radio-Rebell am Do 12.06 und am Fr 13.06.25 jeweils um 10 Uhr und 22 Uhr, außerdem am 14. und 15,06.25 jeweils um 22 Uhr.
Der Zusammenschnitt der Sendung „Max Clouth 4.0 – weltoffene Musik zwischen Mumbai und Mainhattan“ ist als Podcast hier zu hören:
Das komplette, 75-minütige Interview mit Max Clouth ist als Podcast hier zu hören:
Aus der Konzertankündigung: MAX CLOUTH´s 4.0
Freitag 13.06.2025 um 20:00 Uhr
Brotfabrik / Bachmannstraße 2-4 / 60488 Frankfurt am Main
Tickets ab 20,80 €
Der Frankfurter Gitarrist und Weltenbummler Max Clouth wird 40 - und lädt zum runden Geburtstag seine Lieblingsmusiker:innen zu einem gemeinsamen Konzert in die Brotfabrik ein - mit verschiedenen Quartettbesetzungen, in denen die Musikerinnen in immer neuen Konstellationen aufeinandertreffen. Ein musikalischer Roadtrip von Japan über Indien, die Türkei und Senegal bis „Mainhattan”
Besetzung:
Alisa Pou Montz (Bass)
Martin Standke (Schlagzeug)
Kabuki (Modularsynthesizer)
Tony Clark (Shakuhachi)
Çağla Gürsoy (Piano)
Deniz Köseoğlu (Baglama)
Khadim Seck (Percussion)
Tilmann Höhn (Gitarre)
Florian-Samuel Späth (Gitarre)
Sophie-Justine Herr (Cello)
Darius Blair (Saxophon)
April King (Gesang)
Dan Bay (DJ Set)
Video Ragawerk Das Modul
Aus dem Pressetext von Christian Hillengass zum Album „Entelecheia“:
Die Töne einer Shakuhachi-Flöte spannen sanfte Bögen auf, heben in sphärische Weiten, ein Vibraphon öffnet flirrende Räume, Gitarrenklänge setzen ein, führen die Bewegung fort. Wie ein Sternzeichen am östlichen Horizont bewegt sich „Aszendent” ins Offene. Der erste Track auf Max Clouths am 26.04.2024 erscheinendem Album Entelecheia setzt die Atmosphäre für das ganze Werk: Komplexe Akkorde, Klangfarben, die einander gegenüberstehen, sich ergänzen, manchmal bekämpfen, Live-Elektronik, ausbrechende Gitarrensoli, Elemente von indischer, persischer, westafrikanischer Musik. Manchmal gefasst, manchmal spontan, verspielt und improvisiert. Ein Album wie ein Leporello, ein Bilderkabinett.
Die Besetzung:
Für die Aufnahmen holte Max Clouth die Musiker*innen Marja Burchard, Bodek Janke, Maasl Maier, Kabuki und Tony Clark ins Studio. „Es ist meine persönliche Dream-Band! Was mich fasziniert hat, waren einerseits die instrumentalen Eigenschaften, aber mindestens genauso die Menschen an sich und das, was sich dann aus dem Kräfteverhältnis zwischen diesen verschiedenen Persönlichkeiten ergibt.“ Einige Tage waren sie in einem Studio im herbstlichen Schwarzwald: keine bereits existierende Band, sondern Musiker*innen, die zum ersten Mal zusammenfinden – wie bei einem erfrischenden Sprung ins kalte Wasser.
Max Clouth spielt auf Entelecheia zwei eigens für ihn gebaute Doppelhalsgitarren, die mittlerweile sein Markenzeichen sind. Sie vereinen westliche Gitarre, indische Sitar und das arabische, bundlose Saiteninstrument Oud.
„Einzigartige Energie, kreative Menschen, außergewöhnliche Mischung von Sound, Rhythmus und Melodie“, so Bodek Janke, der mit Schlagzeug und Tabla dabei war, über die gemeinsame Arbeit. Für ihn war unter anderem die Mischung aus akustischen Instrumenten und dem Modularen Synthesizer reizvoll. Letzterer wird auf Entelecheia von der Frankfurter Drum’n Bass-Legende Kabuki gespielt: „Meine Rolle sah ich vor allem darin, den natürlichen Klangfarben und organischen Grooves etwas Mechanisches, sich stetig wiederholendes entgegenzusetzen.“
Mit Santur, Vibraphon, Wurlitzer und Stimme ist Marja Burchard zu hören. Sie schätzt „die Freiheit, mit der sich jede und jeder in diesem Album einbringen konnte und durfte. Jede einzelne Farbe kommt da so schön zum Vorschein. Viele Farben, die ich eingebracht habe sind auch unter anderem mit meiner Geschichte – die Gruppe Embryo, die von meinem Vater 1969 gegründet wurde und die ich seit seinem Tod weiterführe – verbunden.“ Marja Burchards Spoken Word-Passagen stoßen Bilder an, die – von der Musik getragen – zu poetischen Imaginationen werden. So zum Beispiel in „Aszendent“: „Fließende Atome, unsichtbare Wolken, über uns schwingende Federn aus Luft. Ein Atemzug.“
Nach diesem Atemzug folgt „Bernstein Purpur Gold”, ein Stück, dessen konkrete, zerebrale Metrik von der Leichtigkeit des Vibraphons begleitet in einen kontemplativen Raum mündet, den Marja Burchard mit ruhiger Stimme ausfüllt, wie ein Gebet, eine mystische Anrufung. Den Titel „Bernstein Purpur Gold“ wählte der synästhetisch begabte Max Clouth, „weil es für mich die Farben sind, der Harmonien, der Akkorde, die in dem Stück eine Rolle spielen: A-Moll ist für mich bernsteinfarben, Purpurrot ist G-Moll und C-Moll golden.“ Die Klangfarben und -Formen, die dabei zum Ausdruck kommen, könnten einem Gemälde der schwedischen Malerin Hilma af Klint entsprungen sein, der Clouth durch die Verbindung von Kunst und Spiritualität nahesteht. Das Cover von Entelecheia ist von ihren Bildern inspiriert.
Wirkt „Bernstein Purpur Gold“ wie eine Erzählung aus dem Paradies, erscheint „Synthetic Stripes” als Reflexion des materialistisch-digitalen Zeitgeistes. Eine Dystopie in Krautrock-Tradition. Marja Burchard hat das Stück komponiert. Lakonisch, leicht entrückt einem Bewusstseinsstrom folgend, klingt ihre Stimme vor dem Hintergrund eines sich auftürmenden Zusammenspiels von Modularsynthesizer, Shakuhachi und Gitarre. Instrumentalsoli und verlorene Textfetzen blitzen auf, bis der Track in eine friedliche Atmosphäre mündet. Wird die Shakuhachi zumeist mit Japan, Zen und Meditationsmusik assoziiert, führt sie Tony Clark aus ihrem traditionellen Rahmen heraus: „Ich habe versucht, die Tiefe, die spirituelle Kraft des Instrumentes beizubehalten, dem Wesentlichen Ausdruck zu verleihen, was ich von meinen Lehrern gelernt habe und gleichzeitig ganz andere Töne zu spielen, eben neue Kompositionen. Das Ergebnis ist für mich interessant; die Melodien, das Tonmaterial scheint nicht so wichtig zu sein, wie der Atem, der Geist.“
„Emerald”, der vierte Track des Albums wurde von Kabuki komponiert. Über einen stoischen Rhythmus schrauben sich Clouths Gitarrensoli, Bassfigur und Vibraphon setzen Akzente. Ein Track, dessen repetitive Grundlage etwas Hypnotisches hat, das Zeitgefühl dehnt, bis seine kühle Strenge im letzten Drittel von einer ruhigen, fließenden Emotion kontrastiert wird. Ein neuer seelischer Raum ist erreicht. Nun setzt auch der Rhythmus wieder ein, ist jetzt aber mehr Herzschlag als Maschine.
Mit „Sadhu” folgt ein hell verspieltes Stück, getragen von Tabla und Gitarre. Dann erklingt der Titeltrack „Entelecheia” episch mit starker Innerlichkeit, einer Vereinigung von elektronischer Eckigkeit und akustischer Sanftheit. Kristalline Klänge schweben über Percussion und Synthesizer-Schraffuren. Wie für das gesamte Album charakteristisch, erfolgen auch hier mehrere Stimmungswechsel. Ein Tagtraum, eine musikalische Reise, die Marja Burchard mit flüsternder Stimme magisch bebildert. Den Abschluss des Albums bildet „Deszendent” getragen vom Zusammenspiel von Shakuhachi, Vibraphon und Gitarre über einer Ostinato-Sequenz des Synthesizers.