ein unverwechselbarer, experimentierfreudiger Sänger und Songschreiber
Er war weder Teenie-Schwarm noch Pop-Held, auch hatte er nie einen Hit - und in Europa kannte man ihn kaum. Dennoch wird er in eingeweihten Zirkeln auch heute noch, 47 Jahre nach seinem Drogentod, geradezu kultisch verehrt. Warum? Er war ein innovativer Songschreiber, experimentierfreudiger Musiker und exzentrischer Sänger – der Prototyp des genialischen Individualisten und tragischen Traumtänzers, wie geschaffen für Mythen und Legenden, zumal er schon als 28-jähriger an einer Überdosis Heroin starb.
Seine sprachlich assoziativen Songs zwischen Jazz, Folk, Blues, Romantik und Avantgarde haben eine seltene, zeitlose Qualität und Aktualität, was verschiedene postum veröffentlichte Anthologien, Wiederveröffentlichungen und Tribute-Alben mit Neuinterpretationen seiner zwischen 1966 und 1974 veröffentlichen Song-Originale beweist unter anderem die Doppel-CD. „Various Artists – Sing a song for you – Tribute to Tim Buckley“ (2000).
Seine Songs wurden von Kollegen hoch geschätzt und immer wieder neu interpretiert, so etwa von Linda Ronstadt, Sinead O’Connor, Blood, Sweat & Tears, Bryan Ferry, George Michael, Sufjan Stevens, u.a.
Tim Buckley’s Sohn Jeff hatte nicht nur das Talent des musikalisch eigenwilligen Vaters geerbt, sondern teilte auch dessen tragisches Schicksal. Jeff Buckley ertrank 1997, 30-jährig, im Mississippi.
Einen der berühmtesten Songs von Tim Buckley „Song To The Siren“, 1967 von ihm geschrieben gemeinsam mit dem Songwriter-Kollegen Larry Beckett und veröffentlicht in Tim Buckleys sechstem Studio-Album „Starsailor“ (1970) bearbeitete Robert Plant für sein Album Dreamland (2002)
Die Songs des ebenso eigenwilligen wie außergewöhnlichen Sängers und Songautoren Tim Buckley stehen prototypisch für eine besondere Art der Songkunst, nämlich der sensiblen, brüchigen, ekstatischen und unkonventionellen Art.
Den heute vor 75 Jahren geborenen Tim Buckley kann man als Synonym betrachten für den künstlerischen Kampf um Identität und Unverwechselbarkeit, für das mutige Herangehen an Grenzen und für das ekstatische, aber auch gefährliche Überschreiten der Grenzlinien, für das kompromisslose Eintreten für Authentizität, für die schonungslose Spiegelung eigener Seelennöte und Defizite.
Tim Buckleys kurzes Leben steht für die verführerische, aber lebensbedrohliche Maxime: Es ist besser zu lodern, als nur zu glimmen. Es ist besser gegen den Strom anzukämpfen als mit der Masse zu schwimmen. Es ist besser die Stirn zu zeigen als ein braves Lächeln. Es ist wichtiger, Dein sperriges Selbst zu entfalten, als den andern gefallen zu wollen.
Tim Buckley hat einen unbeirrten Individualismus vorgelebt und hat ihn zugleich auch ausgelebt – im Sinne von zu Ende gelebt, bis zum bitteren .... Das selbstbewusste und kompromisslose Eintreten für den eigenen unverwechselbaren Weg muss natürlich weder zwangsläufig zur Erfolglosigkeit noch zur Selbstzerstörung führen. Tim Buckley allerdings musste beides erleiden.
Er war dezidiert anders als die Singer-Songwriter seiner Zeit. Er hatte nichts von der süßlichen Harmonieseligkeit eines Paul Simon, auch nichts von der Folkgitarren-Romantik eines James Taylor. Tim Buckley verkörperte die kreative Unruhe der späten 60er und schien sich ständig zu befragen, was probiere ich als nächstes aus.
Er war in einem musikalischen Haus mit Jazzvorlieben aufgewachsen. Seine Eltern hörten Miles Davis und Coltrane, Jerry Mulligan und Stan Kenton. In seiner Jugendzeit hörte er alles von Chuck Berry bis Country & Western. Aber er hatte schon früh seine eigene Vorstellung von „seiner“ Musik.
Als die Beatles ihr Meisterwerk „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“ einspielten, schrieb er als gerade mal 20-jähriger unverwechselbar eigene Songs für sein zweites, als erstes Meisterwerk apostrophiertes Album „Goodbye and Hello“ – darunter den grandiosen, vorwärts stürmenden Folksong „I Never Asked To Be Your Mountain“, mit klarer Tenorstimme gesungen, und zum ersten Mal auch verziert mit kurzen vokalen Eskapaden. Gegen Songende kulminieren seine gesanglichen Ausbrüche in der Zeile: „Please come home“, die er zwischen Kopf- und Bruststimme wechselnd geradezu schmerzhaft intensiv aussingt und insistierend wiederholt.
Seine in späteren Aufnahmen sich noch deutlich steigernden Vokal-Experimente waren hier zumindest schon angedeutet. Das geradezu herausgeschriene „Baby please“ am Songende war ein authentischer Schmerzensschrei, adressiert an seine damalige, erste Frau Mary, die sich zu diesem Zeitpunkt schon von ihm entfremdet hatte, weil Tim Buckley auf die Schwangerschaft seiner Frau mit Rückzug reagiert hatte. Er fühlte sich als damals 19-jähriger noch nicht reif für eine Familie und einen Sohn. Seine Frau wollte ihn zwingen, sich niederzulassen, erwachsen zu werden und Verantwortung zu übernehmen für seinen Sohn Jeff. Aber Tim Buckley sah sich dazu nicht in der Lage, fühlte sich überfordert, an die Kette gelegt. Es kam zum endgültigen Bruch.
Tim Buckleys Talent und Eigenwilligkeit als Sänger und Songschreiber war schon 1965 aufgefallen als er in Folkclubs von Los Angeles auftrat. Damals war er gerade 17 Jahre alt. Seine hohe Vier-Oktaven-Stimme beeindruckte schon damals die Zuhörer – unter ihnen auch Jimmy Carl Black, der legendäre Drummer von Frank Zappas Mothers Of Invention, der Tim Buckley förderte und ihm zu einem ersten Plattenvertrag verhalf. Musiker aus dem Zappa/Mothers-Umfeld begleiteten Tim Buckley auf seinen ersten Alben. Und später sind sogar zwei Buckley-Alben auf Frank Zappas eigenem Label Discreet erschienen – darunter sein letztes Album „Look At The Fool“. Im musikalisch hervorragenden Titelstück hielt er sich selbstkritisch und schonungslos den Spiegel vor: seht euch diesen Narren an.
Schau ihn an den hochbegabten Narren, der heute 75 Jahre alt sein könnte, wenn er seine psychische Labilität und Drogenabhängigkeit in den Griff bekommen hätte. Im November 1974 veröffentlicht, dokumentierte Tim Buckleys letztes Album „Look At The Fool“ seine enigmatische Individualität als Songschreiber und als Sänger. Seine exaltierte, eigenwillige Sangesweise, in der sich sein Interesse für Jazz-Scatgesang, afrikanische Folklore und urbanen Soul ausdrückte, verwirrte zunächst Publikum, Mitspieler und Kritiker gleichermaßen.
Der gesanglich manchmal extreme bis extrem wandlungsfähige Tim Buckley verunsicherte und forderte seine Zuhörer auf seinen insgesamt neun Alben - mit einer stimmlichen Skala, die von kastratenhafter Soul-Inbrunst bis zur ungezügelten Wildheit eines plärrenden Gassenjungen reichte. Und das kreative Spiel mit dem Falsett beherrschte er schon in den sechziger Jahren wie kaum ein zweiter. Seine vokalen Jazzimprovisationen im 1970 veröffentlichten Album „Lorca“ wurden von seinen Anhängern als geniale Kunst gefeiert und von seinen Kritikern als überzogenes Experimentieren geschmäht. Aber tatsächlich gab es um das Jahr 1970 keinen vergleichbaren Singer-Songwriter mit einem ähnlichen vokalen Ausdrucksvorrat
Welche Aktualität die über 50 Jahre alten Songs von Tim Buckley auch heute noch haben, können die beiden folgenden Coverversionen belegen. Die seit Jahrzehnten als Geheimtipp gehandelte US-amerikanische Sängerin Heather Duby interpretierte den Song „I Must Have Been Blind“ aus Tim Buckleys Album „Blue Afternoon“ (1971). Den melodisch starken Refrain singt sie mit intensiver emotionaler Kraft. Da muss man auf allen Ohren blind sein, wenn man die Qualität dieses Songs nicht erkennt.
Tim Buckleys Song „Morning Glory“ von 1967 haben Al Kooper and Friends 1994 live in New York aufgeführt, anlässlich eines Jubiläumskonzertes zu Ehren von Blood Sweat & Tears