Sein letztes Album „i/o“ dokumentiert nicht nur den aktuellen Entwicklungsstand der interdisziplinären Kunst von Peter Gabriel, sondern kann auch als Zusammenfassung seiner künstlerischen Entwicklung verstanden werden.
Heute, am 13. Februar 2025 wird Peter Gabriel 75 Jahre alt. Ein guter Anlass, um nicht nur auf seine lange und erfolgreiche Karriere zurückzublicken, sondern vor allem auf das am 1. Dezember 2023 veröffentlichte, hervorragende Album „i/o“ (input/output), das erste Studioalbum mit neuen Songs nach über 20 Jahren. Ein Werk, das in vielerlei Hinsicht beeindruckt, sowohl musikalisch als auch durch die begleitende visuelle Video-Kunst. Und nicht zuletzt durch die außergewöhnliche Veröffentlichungsweise. Über den Zeitraum eines Jahres erschien jeweils zu Vollmond einer der insgesamt 12 neuen Albumsongs. Und zu jedem Neumond wurde ein Alternativmix veröffentlicht. Damit lagen zum Jahresende 2023 von jedem der zwölf Songs jeweils ein „Bright-Side-Mix“ und ein „Dark-Side-Mix“ vor, die sich zum Teil aber nur in Nuancen unterscheiden. Noch etwas anderes und durchaus Überraschendes fiel ins Auge: die höchst unterschiedliche Wahrnehmung bei Kritikern und Publikum.

Peter Gabriel, der in den letzten Jahrzehnten oft als Pionier gefeiert wurde, was musikalische Innovationen und die Einbeziehung neuer Technologien anging, hat mit „i/o“ ein Album vorgelegt, das zwar hohe Chart-Positionen erreichte und weltweit eine treue Hörerschaft begeisterte, aber in der internationalen Kritik nur durchschnittlich bewertet wurde. Warum hat dieses Album, das an die musikalische Komplexität und emotionale Tiefe früherer Werke wie „So“ oder „Us“ anknüpft, in den Rezensionen nicht denselben Enthusiasmus ausgelöst?
Musikalische Qualität im Kontext der Erwartungen
Zunächst einmal ist die Musik auf „i/o“ zweifellos gelungen. Vor allem die differenzierten Arrangements und die sorgfältige Produktion überzeugen. In melodischer und harmonischer Hinsicht setzt sich die Qualität früherer Kompositionen nahtlos fort – bis auf wenige Ausnahmen. Die Klanglandschaften, für die Gabriel bekannt ist, sind hier in einem modernen Kontext erneut erlebbar. Von atmosphärischen Ambient-Passagen bis hin zu kraftvollen, rhythmusbetonten Themen zieht sich durch das gesamte Album eine Art zeitgenössischer Soundfaden, der seine Wurzeln in den späten 1970er Jahren hat, aber dennoch den aktuellen musikalischen Zeitgeist reflektiert.
Dennoch scheint „i/o“ für viele Kritiker ein schwer fassbares Album zu sein. Es ist in der Tat kein Album, das die Dramaturgie und das Maß an Innovation aufweist, wie es die früheren Gabriel-Alben taten. Es gibt kein „Sledgehammer“-Moment, keine herausragende Single, die den Geist des Albums in einem umfassenden, allgegenwärtigen Sound widerspiegelt. Einige Kritiker beklagen, dass das Album eine gewisse Form von künstlerischer Selbstgenügsamkeit erreicht, als ob Peter Gabriel nur noch mit sich selbst und seiner eigenen Vision beschäftigt sei. Es ist tatsächlich ein Album, das nicht mit der gleichen Energie und dem Innovationsdrang der früheren Jahre auftritt. Man könnte argumentieren, dass „i/o“ eine Rückkehr zu den grundlegenden Prinzipien von Peter Gabriel als Musiker darstellt; aber dies scheint nicht unbedingt das zu sein, was die Musikwelt heute von einem Künstler wie ihm erwartet.
Die Kluft zwischen Kritikermeinung und Publikum
Während die Kritiken gemischt ausfielen, blieb die Zustimmung des Publikums unverändert groß. Das Album wurde von Fans weltweit gefeiert – nicht nur für seine musikalische Tiefe, sondern auch als ein sehr persönliches und durchdachtes Werk, das sich über Jahre hinweg entwickelte. Gabriel ist ein Musiker, der eine tiefgehende Beziehung zu seinen Fans pflegt, und „i/o“ ist ein Album, das diese Bindung noch verstärkt. Es spricht die Bedürfnisse eines Publikums an, das längst nicht mehr auf Hits oder auf Charts-Erfolge angewiesen ist, sondern die kontinuierliche Reise und die kreative Authentizität des Künstlers schätzt.
Dieser Unterschied zwischen Kritik und Publikum könnte auch auf die Art und Weise zurückzuführen sein, wie Musik heute wahrgenommen wird. In einer Ära, in der kurzfristige Hits und schnelle Konsumierbarkeit häufig im Vordergrund stehen, mag ein Album wie „i/o“, das sich nicht unbedingt für den schnellen Hörerfolg eignet und eher mit subtilen, langsamen Sound-Tableaus und sensiblen Klangwechseln arbeitet, für viele Kritiker und vielleicht auch eine jüngere Generation von Hörern zu komplex oder zu wenig „zugänglich“ erscheinen. Die heutigen Erwartungen an Musik scheinen vor allem auf Effekte und schnelle Abfolgen von starken Reizen in Sound und Optik abzuzielen. Im Vergleich dazu könnte Peter Gabriel mit „i/o“ an der künstlerischen Tiefe und der langfristigen Auseinandersetzung mit den Themen, die ihn schon so lange beschäftigen, am meisten interessiert gewesen sein, was bei der Kritik zu einer eher nüchternen Bewertung führte.
Das Erbe eines Pioniers
Doch diese Kluft bedeutet nicht, dass „i/o“ in irgendeiner Weise als weniger relevant oder zeitgemäß angesehen werden sollte. Peter Gabriel ist ein Künstler, der immer wieder mit neuen Ideen und Experimenten die Grenzen der Musik ausgelotet hat. Wer sich auf das Album einlässt, wird mit einem Werk belohnt, das eine meditative, fast therapeutische Qualität besitzt. „i/o“ ist ein Album, das bei wiederholtem Hören immer neue Facetten offenbart – ein Album, das nicht sofort konsumiert, sondern entdeckt werden will. Es spiegelt die komplexe Natur des Künstlers wider, der am 13. Februar seinen 75. Geburtstag feiert, seit 1977 inzwischen 21 Solo-Alben (Studio-, Soundtrack-und Livealben) veröffentlicht hat, aber nie in den sicheren Hafen der Wiederholung alter Erfolge eingelaufen ist.
Fazit: Ein unverändert relevanter Künstler
Peter Gabriel hat schon als Sänger und Co-Songschreiber bei Genesis und mit seinen Soloproduktion im Studio, wie im Konzert und nicht zuletzt mit seiner großen visuellen und soundtechnischen Experimentierfreude viel verändert und mit seinen diversen musikalischen wie technologischen Innovationen die Popkultur geprägt. Mit „i/o“ hat er erneut ein Werk vorgelegt, das sich der ständigen Weiterentwicklung und der künstlerischen Integrität verschrieben hat und ihn erneut als Songschreiber und Sänger besonderer Güte ausweist. Die Resonanz der Kritiker war höchst unterschiedlich, überwiegend verhalten, vereinzelt sogar negativ. Doch für Peter Gabriel, der nie in Konventionen verhaftet war, ist „i/o“ einfach ein weiteres Kapitel in seiner künstlerischen Reise – und das Publikum, das Reisen dieser Art zu schätzen weiß, bleibt ihm ungebrochen treu.
Der Kramladen konzentriert sich in dieser Ausgabe zum 75. Geburtstag von Peter Gabriel auf sein letztes Album „i/o“, das unterbewertet blieb und im Kramladen bislang noch nicht Thema war. Die Fortsetzung mit den restlichen sechs Songs folgt.
Die Playlist zur Sendung „Peter Gabriel – zum 75. Geburtstag: i/o (Input/Output)“
Artist / Track / Album / Label
1. L. Shankar / Darlene (Kramladen-Themamusik) / Touch Me There / Zappa Records
2. Peter Gabriel / Panopticom (Bright-Side-Mix) / i/o / Realworld, EMI
3. Peter Gabriel / Panopticom (Dark-Side-Mix) / i/o / Realworld, EMI
4. Peter Gabriel / The Court (Bright-Side-Mix) / i/o / Realworld, EMI
5. Peter Gabriel / The Court (Dark-Side-Mix) / / i/o / Realworld, EMI
6. Peter Gabriel / Playing for Time (Bright-Side-Mix) / i/o / Realworld, EMI
7. Peter Gabriel / Playing for Time (Dark-Side-Mix) / i/o / Realworld, EMI
8. Peter Gabriel / i/o (Bright-Side-Mix) / i/o / Realworld, EMI i/o
9. Peter Gabriel / i/o (Dark-Side-Mix) / i/o / Realworld, EMI
10. Peter Gabriel / Four Kinds of Horses (Bright-Side-Mix) / i/o / Realworld, EMI
11. Peter Gabriel / Four Kinds of Horses (Bright-Side-Mix) / i/o / Realworld, EMI
12. Peter Gabriel / Road to Joy (Bright-Side-Mix) / i/o / Realworld, EMI

Die Sendung „Peter Gabriel – zum 75. Geburtstag: i/o (Input/Output)“
ist in ByteFM am Do 13.02. um 23 Uhr und am Sa 15.02.25 um 14 Uhr zu hören, wird über DAB+ und UKW von Antenne Mainz am Do 13.02., um 23 Uhr und am So 16.02.25 um 22 Uhr ausgestrahlt und läuft in Radio-Rebell am 14., 15. und 16.02.25, jeweils um 22 Uhr.
Der Zusammenschnitt der Sendung „Peter Gabriel – zum 75. Geburtstag: i/o (Input/Output)“ ist als Podcast hier zu hören: