Zum Tod des Passport-Gründers Klaus Doldinger
Vom Segen und Fluch der Tatort-Themamusik
Wenn ein Musiker etwa 2000 Musikstücke in seinem Werkkatalog aufzuweisen hat, dann kann man verstehen, dass es ihn auf Dauer nervt, immer nur auf eine einzige seiner Kompositionen angesprochen zu werden.
„Wenn man so vielseitig ist und Unterschiedlichstes gemacht hat in seinem Leben, dann wird man nicht gerne auf ein Thema reduziert … und dass ich mit Passport einen Erfolg verbuchen kann, den man sich als Jazzmusiker nicht mal zu erträumen wagt, das wird dabei nicht erwähnt“, das sagte Klaus Doldinger 2016 in einem Interview zur Veröffentlichung seines Kompilationsalbums „Doldinger“ – und bezog sich damit natürlich auf seine Komposition des Titelthemas zur ARD-Krimiserie „Tatort“, die auch in all den Nachrufen zu seinem Tod immer wieder als Erstes genannt wird. Tatsächlich ist seine markante „Tatort“-Titelmelodie ein Stück deutscher Musikkultur, schließlich ist das Thema seit 55 Jahren zu Beginn jeder neuen Tatort-Folge zu hören.
Das Brillen-Design änderte sich nicht, ganz anders die Musik
Das Design seiner Hornbrille in Tropfenform hat er so gut wie nie verändert, die Gestaltung seiner Musik jedoch verwandelte sich im Fluss der Zeit. 1953 begann er zunächst als Pianist in der Düsseldorfer Traditional-Jazzband „The Feetwarmers“ Dixieland zu spielen, wechselte aber bald zu seinem Hauptinstrument dem Saxophon. 1955 konnte er mit The Feetwarmers seine erste Schallplatte aufnehmen, Im gleichen Jahr gründete er sein erstes eigenes Trio, das er in Anlehnung an sein großes Vorbild Oscar Peterson „Oscar’s Trio“ nannte.
Jazz Made In Germany
Seinen ersten internationalen Erfolg erzielte er mit seinem 1962 gegründeten, an Modern Jazz und Bebop orientierten Klaus Doldinger Quartett und seiner ersten LP unter eigenem Namen „Doldinger – Jazz Made In Germany“ (1963).
Schon als Schüler erhielt er am Düsseldorfer Konservatorium Unterricht an Klarinette und Klavier – auf klassische Weise, versteht sich. Denn Jazz war damals an den traditionellen Musikeinrichtungen Deutschlands noch völlig undenkbar und geradezu verpönt. Dennoch spielte er nebenher mit seinen Freunden von den Feetwarmers Dixieland-Jazz. Nach dem Abitur studierte er Musikwissenschaft und schloss eine Ausbildung als Tonmeister ab, was ihm später als Produzent und Arrangeur in seinem eigenen Tonstudio zugutekommen sollte.
Mitte der sechziger Jahre begann sich Doldinger immer mehr in Richtung der populären und außereuropäischen Musik zu öffnen („Viva Brasilia“ 1965, „Sahara“ 1968, „Raga Up And Down“ 1969).

Erfolg mit attraktivem Rock-Jazz
Mit seiner 1969 gegründeten Band „Motherhood“ begann seine erfolgreichste Ära des Rock-Jazz, mit der er auch international Anerkennung finden sollte. Aber erst seine nachfolgende Band „Passport“, die ab 1971 die neue, auch Fusion genannte Verbindung zwischen Modern Jazz und arriviertem Rock mit weltmusikalischen Einflüssen erprobte, prägte den Rockjazz in Deutschland wie keine andere Band. Kritiker verglichen die Bedeutung von Passport für die deutsche und kontinentaleuropäische Szene mit dem Einfluss von Weather Report auf die US-Szene.
Wie schon bei Motherhood saß anfänglich auch bei Passport der damals noch unbekannte Udo Lindenberg am Schlagzeug.
Gespür und Geschick
Mit Gespür für Erfolg und großem Geschick für Sound, Arrangement und attraktive Kompositionen gelang es Klaus Doldinger, sein Ensemble Passport, dem über die Jahre viele renommierte Musiker angehörten, als Markenzeichen zu profilieren – und dies auch trotz häufiger Besetzungswechsel. Der Grund: die Konstante war die Persönlichkeit Klaus Doldinger, seine Gabe für melodiebetonte Kompositionen, sein wiedererkennbarer Ton auf dem Saxophon, sein Organisationstalent, eine Band zu führen, seine Freude an schöpferischer Veränderung und sein steter Antrieb, seine Spieltechnik weiterzuentwickeln und seinen musikalischen Horizont zu erweitern.

Niemand in Deutschland und Europa hatte im Genre Fusion/Rock-Jazz/Jazzrock so viel kontinuierlichen Erfolg wie Klaus Doldingers Passport in den 1970er Jahren und weit darüber hinaus. Doldinger gab rund 5000 Konzerte in ca. 50 Ländern, spielte auf großen internationalen Festivals wie dem Montreux Jazz Festival und war weltweit auf Tournee, so etwa in Afrika, USA, Brasilien, Asien, Marokko usw. Sein letztes, das 34. Studioalbum mit Passport von 2015 trägt den Titel „En Route“. Musikalisch unterwegs auf Reisen war Klaus Doldinger sein ganzes Leben lang.
Easy Listening, Doldinger der „Jazz-Verräter“
Dass er auch in seichteren Musik-Gefilden unterwegs war, nahmen ihm manche Jazz-Puristen übel. Unter dem Pseudonym Paul Nero veröffentlichte er ab Mitte der sechziger Jahre elf LPs mit Unterhaltungs- und Tanzmusik, z.B, „Nero’s Hitparty“ 1967, „Nero’s Soulparty“ 1968, „The Paul Nero Sounds - Bubble Gum Party (Non Stop Party Fire)“ 1969. Darauf angesprochen, verteidigte er sich in einem Interview, das ich 1993 mit Klaus Doldinger führen konnte. Es sei arrogant, sagte er, Gebrauchsmusik als Fahrstuhlmusik, als Dreck und klangliche Umweltverschmutzung zu diffamieren. Er nannte als Beispiel frühe LPs des Jazztrompeters Wynton Marsalis, die als banale Barmusik abgetan worden seien, aber das sei gut gemachte Musik, die er gerne nebenbei hören und die sein Gemüt anwärmen würde. Auch wenn er Musik für einen Werbejingle produzieren würde, ginge er mit der gleichen Ernsthaftigkeit an diese Aufgabe wie bei allen anderen seiner Musikaktivitäten. So komponierte er neben vielem anderen auch die Musik eines Werbespots für das Geschirrspülmittel des Henkel-Konzerns Pril.

Doldinger und die Filmmusik
Ab Ende der 1960er Jahre begann er auch als Filmmusikkomponist zu arbeiten. Er schrieb 1967 den Soundtrack für den Kinofilm „Negresco – eine tödliche Affaire“ von Klaus Lemke und komponierte 1969 die Musik für den Fernsehfilm „Baal“ von Volker Schlöndorf. 1970 folgte dann sein bekanntestes TV-Filmthema, die Titelmusik zur Krimiserie „Tatort“. 1981 und 1984 entstanden die nicht minder erfolgreichen Soundtrack-Kompositionen zu den Filmhits „Das Boot“ und „Die Unendliche Geschichte“ von Regisseur Wolfgang Petersen. Weitere bekannte Filmmusiken sind seine Themamusiken zu TV-Serien wie „Liebling Kreuzberg“ oder „Ein Fall für Zwei“.
Doldingers Autobiografie
2022 erschien seine Autobiografie „Made in Germany - Mein Leben für die Musik". Das Buch, das in der Ich-Form geschrieben ist und in Zusammenarbeit mit seinem Sohn Nicolas und dem Musikjournalisten Torsten Groß (Spex, Rolling Stone) entstand, beschreibt sein Leben von der Kindheit im Nationalsozialismus über die ersten Erfahrungen als junger Jazzmusiker in der Nachkriegszeit bis zur Verleihung des Bundesverdienstkreuzes, behandelt seine Karriere als Jazz- und Filmmusikkomponist und gibt persönliche Einblicke in die deutsche Musikgeschichte.
Im Interview sagte Klaus Doldinger, es mache ihm Spaß, sein Spiel und seine Kompositionen weiter zu verbessern. Mit seiner Musik umzugehen, mache ihn glücklich.
In seinem Nachruf zitierte der Bayerische Rundfunk den französischen Komponisten Hector Berlioz: „Das Glück, Talent zu haben, genügt nicht; man muss auch das Talent für Glück haben." Klaus Doldinger hatte offensichtlich beides.
Im Kreise seiner Familie sei er – so hieß es – am 16. Oktober 2025 friedlich eingeschlafen. Klaus Doldinger wurde 89 Jahre alt. (Volker Rebell)
Klaus Doldingers Passport 1973 „Schirokko“ live. Besetzung:
Klaus Doldinger (sax), Wolfgang Schmid (bass), Volker Kriegel (lead git), Alexis Korner (rythm git), Curt Cress, Pete York (drums), Jonny Griffin (sax), Brian Auger (organ), Kristian Schultze (keys).
Die Playlist zur Sendung „Zum Tod des Passport-Gründers Klaus Doldinger“ Teil 1
Artist / Track / Album / Label
1. L. Shankar / Darlene (Kramladen-Themamusik) / Touch Me There / Zappa Records
2. Klaus Doldinger’s Passport / Seven To Four / En Route / Warner Classics
3. Passport feat. Max Mutzke / Inner City Blues / Doldinger / Warner Music
4. Klaus Doldingers Passport / Uranus / Live im Beatclub 1971 / Radio Bremen
5. Passport feat. Les McCann / Compared To What / The Jubilee Concert 1975 / Act
6. Passport / Jadoo / Cross Collateral / Atlantic
7. Passport / Moon Over Bahia / Back To Brazil / Wounded Bird
8. Passport / Abracadabra / Handmade / Atlantic
Die Sendung „Zum Tod des Passport-Gründers Klaus Doldinger“ Teil 1
läuft in ByteFM: am Do 23.10. um 23 Uhr und am Sa 25.10.25 um 14 Uhr
wird von Antenne Mainz über DAB+ und UKW ausgestrahlt: am Do 23.10. um 23 Uhr und am So 26.10.25 um 22 Uhr
und läuft in Radio-Rebell am Fr 24., Sa 25. und So 26.10.25 jeweils um 22 Uhr

Der Zusammenschnitt der Sendung „Zum Tod des Passport-Gründers Klaus Doldinger“ Teil 1 ist als Podcast hier zu hören:

Das komplette 30-minütige Interview mit Klaus Doldinger ist hier zu hören (Das bis dato fast unveröffentlichte Interview habe ich 1993 geführt, anlässlich der Veröffentlichung des Albums "Down To Earth").

Teil 2
Die Playlist zur Sendung „Zum Tod des Passport-Gründers Klaus Doldinger“ Teil 2
Artist / Track / Album / Label / Zeitplan
1. L.Shankar / Darlene (Kramladen-Themamusik) / Touch Me There / Zappa Records /
2. Doldinger‘s Passport / Handmade / Doldinger Jubilee Concert / Atlantic
3. Passport / Gates Of Paradise“ / Garden Of Eden / Atlantic
4. Klaus Doldinger’s Passport / Mehrba / Passport To Morocco / Warner Music
5. Klaus Doldinger Quartet / Raga Up an Down / Doldinger’s Best / ACT
6. Motherhood / Song Of Dying / Doldinger‘s Motherhood / Liberty
7. Klaus Doldinger feat. Udo Lindenberg / Der Greis ist heiß / Doldinger / Warner Music
8. Klaus Doldinger / Tatort Titelmusik / Klaus Doldinger – Seine erfolgreichsten Film- und Fernsehmelodien / WEA
9. Klaus Doldinger / Das Boot- Theme / Das Boot – Soundtrack / WEA
10. Klaus Doldinger / Die Unendliche Geschichte / Klaus Doldinger – Seine erfolgreichsten Film- und Fernsehmelodien / WEA
11. Klaus Doldinger / Green Grows The Lauret / Salt on Our Skin (Soundtrack) / Königskinder Music
12. Klaus Doldinger, Passport / Altokumulus / Symphonic Procect / Warner Music
Die Sendung „Zum Tod des Passport-Gründers Klaus Doldinger“ Teil 2
wird von Antenne Mainz über DAB+ und UKW ausgestrahlt: am Do 30.10. um 23 Uhr und am So 02.11.25 um 22 Uhr - und läuft in Radio-Rebell am Fr 31.10., Sa 01. und So 02.11.25 jeweils um 22 Uhr
Der Zusammenschnitt der Sendung „Zum Tod des Passport-Gründers Klaus Doldinger“ Teil 2 ist als Podcast hier zu hören:
Die denkwürdige Doldinger-Dokumentation des Rockpalast von 2006: