"De Peter kimmt"
Das vollbesetzte Auditorium feierte die Künstler frenetisch. Kein Wunder, schließlich gab es hervorragenden Jazz mit Abstechern in Richtung Filmmusik und Pop zu hören, und das alles dramaturgisch eng verzahnt mit einer wunderbar skurril-witzigen Geschichte des Badesalz-Comedy-Stars Henni Nachtsheim. „De Peter kimmt“, so der Titel der Story, ist keine hessische Neufassung von „Peer Gynt“, der dramatischen Erzählung von Henrik Ibsen, vertont von Edvard Grieg. Obwohl genau das angedacht war, als Henni Nachtsheim von der künstlerischen Leitung der Neuen Philharmonie Frankfurt 2017 beauftragt worden war, zu einer „Classic Lounge“ im Offenbacher Capitol eine humorvolle Geschichte zu schreiben, die den Abenteurer, Träumer und Lügner Peer Gynt aus Ibsens norwegischem Drama in die Jetztzeit holt und auf die Musik von Edvard Grieg Bezug nimmt. So entstand eine neue musikalische Erzählung mit der Orchestermusik aus Edvard Griegs „Peer Gynt Suite“ und der Comedy-Geschichte von Henni Nachtsheim.
Beim fabulierenden Schreiben hatte Hennis Geschichte allerdings eine Eigendynamik entwickelt, die sich immer weiter von dem Originalstoff entfernte, sodass schließlich nur noch der Name von Peer Gynts Geliebter Solvejg übrig blieb. Die weibliche Heldin in Hennis Story „De Peter kimmt“ heißt Solvejg Betzinger, eine ältere Dame, die zu ihrem 75. Geburtstag ihren früheren Geliebten Peter zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder sehen wird. Deshalb wäscht sie ihre Tischdecken, „die picobello sauber sein müssen“, in einem Waschsalon, wo sie durch Zufall auf Henni trifft, der hier seine Bühnengarderobe waschen muss, weil seine Waschmaschine zuhause den Geist aufgegeben hat. Die beiden kommen ins Gespräch und Solvejg erzählt aus ihrem Leben, z.B. wie sie sich als junge Frau auf einem Rockfestival in einen gut aussehenden Mann verliebt hätte und ihn angesprochen habe: „Ey, du siehst ja aus wie de Jimi Hendrix“. – „Ich bin de Jimi Hendrix“. Erst als es in arg beengten Verhältnissen zu Intimitäten gekommen sei, habe sie Zweifel gehabt, ob ein Jimi Hendrix seine Groupies in einem schrottreifen Fiat 500 vernaschen würde. Als ihr Lover in der Hitze des Gefechts dann auch noch seine Afro-Perücke vom Kopf riss, stellte er sich vor als „de Peter“.
Die fortlaufende, pointiert erzählte Geschichte, garniert mit vielen witzigen Abschweifungen, wird immer wieder von der Band mit passenden Titeln aufgegriffen und musikalisch weitergeführt. Als z.B. die „Schrubber-Girls“, eine 6-köpfige Putzfrauentruppe den Waschsalon hektisch säubernd in Beschlag nehmen, erklingt Edvard Griegs „In der Halle des Bergkönigs“, großartig arrangiert von den Berliner Jazzern.
Und als das Gespräch zwischen Henni und Solvejg, ebenso nostalgisch wie humorvoll von alten Kinotagen mit Vorfilmen, Werbung und Wochenschau handelt, spielt die Band natürlich das fanfarenähnliche Signetthema der „Fox Tönenden Wochenschau“.
Es war ein höchst vergnüglicher und begeisternder Abend: wegen der fünf hervorragenden Jazzmusiker und ihrer originellen Musikauswahl und ihren beeindruckenden Arrangements – und natürlich wegen der famos fabulierenden, wunderbar witzigen Geschichte, die Henni Nachtsheim in alter Badesalz-Tradition souverän vortrug. Die meisten Lacher löste er aus, wenn er in die Rolle der hessisch babbelnden Solvejg schlüpfte. Geradezu liebevoll zeichnete er die Persönlichkeit von Solvejg, die sich mit ihren kessen Sprüchen als besondere Mischung zu erkennen gibt: zwischen forscher Alltags-Philosophin, hessischem Schlappmaul und unsicherer Frau, die Bammel vor dem Widersehen mit ihrem „Peter“ hat.
Henni Nachtsheims Geschichte „De Peter kimmt“ ist pointenreich und alle Lachmuskeln heftig beanspruchend, lässt aber auch mal Raum für Nachdenklichkeit und Sentiment. Geht das noch als „Comedy“ durch? Auch wegen der engen Vernetzung mit anspruchsvollem Jazz?
Oder ist man an diesem Abend Zeuge eines neuen Genres geworden? Was Ahnherr Helge Schneider schon in anderer Form begann, wurde hier zur Kunstform geadelt: zwei scheinbar widerstrebende Gattungen gingen eine befruchtende Symbiose ein: Comedy & Jazz.
Henni Nachtsheim (Text), Martin Johnson (piano), Sebastian Krol (Posaune), Christian Meyers (Trompete), Christoph Niemann (Bass), Rüdiger Ruppert (Schlagzeug)