Playing For Change – gemeinsam Musik machen für den Wandel

Die Schönheit der vielen Farben in der Musik

Es sind die unterschiedlichen Hautfarben und Klangfarben, die das Gesamtbild komplettieren

Black Lives Matter, dem so tragisch aktuellen Protest-Slogan der weltweiten Demonstrationen stellt dieser Blog die Botschaft „Playing For Change“ an die Seite. Musizieren für die Veränderung.
In der Popkultur gab es schon immer Musik, die soziale Missstände benannte, sich gegen Willkür, Unterdrückung und Diskriminierung wandte und Veränderungen einforderte. Und seit langem kennt man Kooperationen von Musikern unterschiedlicher Herkunft, Hautfarbe und Religion, die in ihrer stil- und grenzenübergreifenden Musik die Utopie des friedlichen Miteinander und des kreativen Kulturaustauschs hörbar machen. Dieser Blog stellt das weltumspannende, multimediale Musikerprojekt „Playing For Change“ vor.
(Dieser Text ist weitgehend identisch mit dem allerdings deutlich erweiterten Manuskript meiner Radiosendung in ByteFM vom 11.06.2020)

„ob gelb, schwarz oder weiß, jeder Mensch ist in seinem Innern gleich, es braucht alle Arten von Menschen, damit die Welt sich dreht“, das sang Robert Palmer schon 1978. In diesen Tagen ist es wieder hoch aktuell, sich daran zu erinnern

Black Lives Matter, schwarze Leben zählen, steht auf unzähligen Plakaten, die man in diesen Tagen weltweit auf Demonstrationen sehen kann. In diesem Zusammenhang ist auch die folgende Überschrift nicht unwichtig: Playing For Change. Musizieren für die Veränderung. dieser Blog beschäftigt sich mit der Vorstellung von globalen Musikprojekten, die sich der Zusammenarbeit von Musikern aus aller Welt verschrieben haben mit dem Ziel des kulturellen Austauschs von Musikern unterschiedlichster Herkunft, Hautfarbe und Religion. Wer miteinander kreativ kooperiert, hat voreinander Respekt, bringt gegenseitige Wertschätzung zum Ausdruck und freut sich am gemeinsamen Erleben. Diese Musikprojekte sind die gelebte Utopie eines geglückten Miteinanders, sie machen hörbar, was in der Musik geradezu selbstverständlich möglich ist und womit die Gesellschaft sich noch immer so schwer tut. Die Pionierarbeit leistete Peter Gabriels Weltmusik-Label Real World, 1990 folgte das weltumspannende Projekt One World One Voice, dem sich dann 2001 das ähnlich global denkende Multimediale Projekt 1 Giant Leap anschloss, Einzelheiten dazu später - und seit 2004 bis heute ist die Organisation Playing For Change aktiv mit zum Teil eindrucksvollen Videos und ebensolchen Musikaufnahmen, die meist nach dem Prinzip „ein Song für alle“ gestaltet sind: viele höchst unterschiedliche Musiker aus aller Welt interpretieren auf höchst unterschiedliche Weise alle den gleichen Song, der in der Popgeschichte eine besondere emanzipatorische Bedeutung hat – und ein cleveres Produzententeam formt aus den vielen divergierenden Interpretationen und Einzelaufnahmen eine schillernde, klangfarbenreiche, kulturenübergreifende Musikmontage. Eines der aktuellsten Musikmontage-Beispiele von Playing for Change ist das folgende. Ganz am Anfang stellt ein weltbekannter Schlagzeuger die Frage an den Komponisten, in welcher Tonart der Song stünde.

"The Weight", der berühmte Song von The Band aus deren nicht minder berühmtem Album „Music from Big Pink“ von 1968 handelt vom Reisen und dem Besuchen verschiedener Freunde und war deshalb wie geschaffen für das Projekt Playing For Change, das mit mobilem Aufnahmestudio auf Reisen geht und überall auf der Welt Musiker trifft, die Freunde werden und an den Aufnahmen mitwirken. Die prominentesten Mitwirkenden bei dieser weltumspannenden Aufnahme von „The Weight“ waren Robbie Robertson, Sänger und Gitarrist von The Band, der den Song „The Weight“ überwiegend geschrieben hat, und am Schlagzeug saß ein gewisser Ringo Starr. Neben den beiden Stars waren beteiligt - in der Reihenfolge ihres Auftretens: ein Sänger aus South Carolina, ein Bottleneck-Gitarrist aus Italien, das Duo Larkin Poe aus Kalifornien, ein Gitarrist aus Japan, ein Sänger aus Kinshasa im Kongo, ein Gitarrist aus dem Königreich Bahrrain, eine Perkussionistin und Sängerin aus Spanien, eine Pianistin aus Japan, eine Ukulele-Spielerin aus Hawaii, ein Sänger und ein Bass-Spieler ebenfalls aus Hawaii, dann Chango Spasiuk, der Akkordeonist aus Argentinien, danach ein Sänger/Gitarrist aus Seattle, ein Lautenspieler aus Bahrain, ein Sitarspieler aus Nepal, ein Sänger-Gitarrist aus Texas, ein Tabla-Spieler aus Kathmandu und ein Gesangsduo aus Trenchtown Jamaika; sie alle haben mitgewirkt bei der Aufnahme dieses Songs „The Weight“ und sie alle sind auch im gleichnamigen Video zu sehen, das mittlerweile fast 10 Millionen mal auf Youtube angeklickt wurde.
Das Multimedia-Musikprojekt Playing For Change produziert schon seit 2004 kontinuierlich Audio- und Filmaufnahmen mit dem Ziel, Musiker aus der ganzen Welt in kreativen Austausch miteinander zu bringen und zum Frieden in der Welt beizutragen durch gemeinsames Musizieren von möglichst vielen Musikern überall auf dem Globus. Die Gründer von Playing for Change, der kalifornische Produzent und Filmemacher Mark Johnson und der argentinische Musiker, Tontechniker und Kameramann Enzo Buono bereisten die Welt mit Filmkameras und einem mobilen Tonstudio, um in 45 Ländern von Irland bis Nepal, von Südafrika bis Indien, vom australischen Outback bis zur Schmelztiegel-Szene von New Orleans möglichst viele unterschiedliche Musiker aufzunehmen. Ob Profis oder Straßenmusiker, alle sollten ihre persönliche Interpretation zu einem vorgegebenen Songklassiker beitragen. Die Auswahl der von allen zu interpretierenden Songs umfasst Bürgerrechtshymnen, humanistische Freiheitssongs, international bekannte Protestlieder, aber auch Popstandards mit weltweiter Bedeutung. Die Ton- und Filmaufnahmen wurden dann von den Produzenten originell zusammengemischt, wobei zum Teil spektakuläre Videos entstanden, die auf YouTube teilweise große Zugriffszahlen verbuchen können, wie z.B auch der nächste Song, dessen Video inzwischen über 12 Millionen mal angeschaut wurde. .
Inspiration zu ihrem Projekt erhielten die Macher von Playing The Change unter anderem durch den Songklassiker „A Change Is Gonna Come“, „It’s Been A Long Time Coming, But I Know A Change Is Gonna Come“ sang Sam Cooke im Februar 1964. Er schrieb den Song über Diskriminierung und Rassismus und über die Gewissheit, dass sich etwas ändern wird, nachdem er im Oktober 1963 von einem „Whites-Only“-Motel in Louisiana wegen seiner Hautfarbe abgewiesen worden war. Die Playing For Change-Band nahm den Sam Cooke-Song 2015 während eines Konzertes in Brasilien neu auf, veröffentlicht im Album „Playing For Change Band - Live in Brazil“

Er singt nicht über „Pocketchange“, über Kleingeld oder Wechselgeld, er singt über Veränderung in der Gesellschaft. Aus dem Album "Playing For Change Band Live in Brazil" von 2015 war dies die Interpretation des Songklassikers „A Change Is Gonna Come“ von Sam Cooke, im Original aus dem Jahre 1964. Das Projekt Playing For Change produzierte also nicht nur Videos und Songs mit aufwändiger Studiomontagetechnik, sondern gründete auch eine eigene Live-Band und unternahm mehrere Welttourneen.
Zu den Künstlern, die sich am Musik/Filmprojekt Playing For Change bislang beteiligt haben, zählen Keith Richards, Ringo Starr, Bono, Sting, The Doobie Brothers, Robert Plant, David Crosby, Ziggy Marley, Yo-Yo Ma, Buddy Guy, Ben Harper, Robbie Robertson, Dr. John, Jack Johnson, Jackson Browne, Los Lobos, Taj Mahal, Manu Chao, Keb’ Mo’, Tinawiren, Baaba Maal und viele weitere, weniger bekannte Musiker aus aller Welt.
Inzwischen liegen mehrere CDs und DVDs von Playing For Change vor, meist mit dem Untertitel „Song around the World“ Volume One bis Volume Three, Alben, die von der Kritik überwiegend positiv bewertet wurden. Vor allem die Songvideos haben ihren ganz besonderen Reiz, weil die beteiligten Musiker an Originalschauplätzen in ihren Heimatländern aufgenommen wurden. Im Video zum folgenden Doppel-Song „Words of Wonder/Get Up Stand Up“ sind viele attraktive Filmeinstellungen zu bewundern. Beim beginnenden Song „Words of Wonder“, geschrieben von Keith Richards, aus seinem dritten Soloalbum „Main Offender“ von 1992, ist er selbst als Gitarrist und Co-Sänger beteiligt. Man hat viel zu schauen und zu hören bei den Aufnahmen, die ständig von einem Land ins nächste wechseln und damit von einer Landschaft in eine völlig andere, denn alle Musiker wurden im Freien aufgenommen, mal sieht man eine Straßenszene, mal einen Park, einen Strand, eine Bar, etc . Um es kurz aufzuzählen:
Am Anfang ist eine Indio-Perkussionsgruppe aus Mexico zu sehen und zu hören, danach ein Schlagzeuger aus Jamaika, ein Keyboarder aus Brownstown Jamaika, dann zwei Perkussionisten aus Portugal, Keith Richards erscheint nun im Bild, singt und spielt Gitarre, ein Chor-Trio aus Jamaika begleitet ihn, plötzlich sind wir im Kongo und sehen und hören einen Bassisten, danach sieht und hört man drei Sombrero behütete Trompeter einer Mariachi-Band aus Mexico, eine Sängerin aus Südafrika erscheint im Bild und singt die nächste Strophe, ein Waschbrettspieler aus New Orleans wird eingeblendet, nach ihm ein Gitarrist aus Zimbabwe, gefolgt vom Bassisten aus dem Kongo und der Sängerin aus Südafrika, und so geht es immer weiter, ein lautmalerischer Perkussionist in seltsam hockender Haltung aus Brasilien fällt danach noch auf, außer ihm ein Fasstrommler aus Uruguay.

Nach 4 Minuten verwandelt sich der Keith Richards-Song fast unmerklich in den Bob Marley-Klassiker "Get Up Stand Up (Stand Up For Your Rights)". Zu den schon bekannten Musikern gesellen sich neue hinzu, etwa Sänger/Gitarrist und Bluesman Keb’ Mo’ aus Los Angeles, dann ein Didgeridoo-Spieler aus Sidney, zwei Gitarristen aus Brasilien, eine Sängerin mit Dreadlock-Zöpfen aus Melbourne und ein Sänger aus dem Kongo,
Das alles ist musikalisch wie filmisch facettenreich und klangfarbig ausgeführt, und es macht Freude das Anzuschauen und Anzuhören. Das Video zum folgenden Doppelsong ist schon über 6 Millionen mal auf YouTube angeklickt worden.

Mit „Get Up, Stand Up“, Bob Marleys Bürgerrechts-Reggae-Hymne, die auffordert, für seine Rechte aufzustehen und zu kämpfen, endet dieser Doppelsong „Words Of Wonder/Get Up Stand Up“ in der Fassung des globalen Musiker-Projekts Playing For Change, als Video auf YouTube zu bewundern, als Audio erschienen im Album "Playing The Change: Song Around The World Vol. 3" von 2014.

Der Leitgedanke hinter dem globalen Projekt Playing For Change findet sich auf deren WebSeite so formuliert: alle Menschen sollten sich (musikalisch) umarmen und sollten feststellen, dass die Unterschiede und Eigenheiten ein Beitrag zur Schönheit des Ganzen seien. Wie ein Puzzle würden alle Teile sich perfekt zusammenfügen zu einem großen Meisterwerk. Zusammen könne man den Wandel herbeiführen, den die Welt so dringend brauche, denn wir seien doch alle Brüder und Schwester der einen Menschheit.
Dass der Wandel besonderer Dringlichkeit bedarf, macht die neueste Veröffentlichung von Playing The Change deutlich. Statt vieler unterschiedlicher musikalischer Kurzbeiträge, die wie sonst üblich zu einem großen Musikpuzzle zusammenmontiert werden, ist hier nur ein einziger Sänger/Gitarrist in Bild und Ton dokumentiert: der Soul und Blues-Musiker Chris Pierce.
Diese aktuellste Musikproduktion von Playing For Change ist eine Widmung für George Floyd, der von einem US-Polizisten brutal und qualvoll erstickt wurde. „Es ist dein Fuß auf meinem Hals“, so heißt es im Text des Songs „It’s Burnig For A While“ von Chris Pierce, der zu seinem Song schrieb: „Dieser Song wurde geschrieben in Erinnerung an George Floyd und alle anderen, die ihr Leben lassen mussten durch Einsatz von brutaler inhumaner Gewalt. Dieser Song wurde geschrieben mit der niemals endenden Hoffnung auf Veränderung“

Ein aufrüttelnder Song für George Floyd, der durch rassistisch motivierte, brutale Polizeigewalt ums Leben kam „It’s Burning For A While“, von Chris Pierce, dem afroamerikanischen Soulsänger aus Kalifornien, live eingespielt für den YouTube-Kanal von Playing For Change.
In einem Kommentar zur musikalischen Philosophie und zur Arbeitsweise des globalen Multimedia-Projektes Playing For Change schrieb eine Bloggerin auf der Plattform CD-Bewertungen.de, Zitat:
„Musik ist rund um den Globus Bestandteil aller Kulturen. Ob Weiß, ob Schwarz, ob arm oder reich – der musikalische Ausdruck von Emotionen, Wünschen und Sehnsüchten findet von Afrika bis Australien von Europa bis Südamerika seit Jahrhunderten statt. Eine Gruppe von Dokumentarfilmern um Mark Johnson wollte festhalten, wie Musik in den Straßen der Welt verwurzelt ist und ist während ihrer Reise dies- und jenseits des Äquators mit Menschen aller Länder in Berührung gekommen. Sie erfuhren Wärme, Offenheit und Großzügigkeit. Selbst in den ärmsten Regionen dieser Erde. Daraus entstand die Stiftung „Playing For Change“. Und diese vertritt die Meinung, dass Frieden und positive Veränderung mit der unmissverständlichen Sprache der Musik erreicht werden können.“ Zitatende.
Über 35 Millionen Aufrufe verzeichnet das Video von Playing For Change zum Song „War. No More Trouble", feat Bono, im Original von Bob Marley and The Wailers. Zu ihrer Aufnahme mit vielen Musikern aus aller Welt schreibt Playing For Change in den Linernotes: „Auf unserer Reise rund um die Welt haben wir Liebe und Hass erfahren, Reichtum und Armut angetroffen, schwarze und weiße Menschen und viele verschiedene Religionen und Weltanschauungen. Es wurde uns klar, dass wir als eine Menschheit eine Transformation von der Dunkelheit ins Licht herbeiführen müssen. und die Musik ist unsere Waffe für eine bessere Zukunft. Dieser Song 'War. No More Trouble' vereint Musiker aus aller Welt, die Konflikte gesehen und überwunden haben, die auf Hass mit Liebe und Ausdauer geantwortet haben. Wir brauchen keine Kriege und kein Elend. Was wir brauchen ist Liebe: der Geist von Bob Marley wird weiterleben.“

Dieser Antikriegs-Song „War. No More Trouble“ von Bob Marley, der sich auch gegen jede Form von Unterdrückung wendet, erschien in dieser Neufassung 2009 sowohl als Video als auch als Audio im Album "Playing For Change - Songs Around The World“.
Ein ähnlich spannendes, weltumspannendes multimediales Vorläuferprojekt, das ebenfalls mit Film und Ton gleichermaßen arbeitete und auf DVD und CD veröffentlichte, war 2001 das britische Crossover-Projekt 1 Giant Leap, das 2009 noch eine zweite Produktion veröffentlichte, danach aber leider von der Bildfläche verschwand, anders als das Projekt Playing For Change, das nach wie vor von sich reden macht. Ein ähnliches collagiertes Montage-Prinzip wie Playing For Change verfolgte auch das Projekt 1 Giant Leap, allerdings gingen die Macher von 1 Giant Leap über die Musik noch hinaus und integrierten auch O-Töne von Wissenschaftlern, Literaten und Philosophen. So konnte man bei 1 Giant Leap Botschaften hören, wie z.B. diese:
„Musik ist für mich der Beweis für die Existenz Gottes“. - „Nur Stille bleibt. Ich muss auf die Stille hören“. - „Wir leben im Geist unserer Leidenschaften“. – Drei Männerstimmen unterschiedlichster Herkunft tauchen in diesem Puzzle aus Klängen, Songs und O-Tönen kurz auf und verschwinden wieder, gefolgt - nur als Beispiel - von einem Kinderchor, einem Dancegroove, einer Soundmalerei, einer Rapeinlage, einem hymnischen Ethnogesang. Dieses Prinzip der Wundertüte kannte man zwar schon vorher, doch es fasziniert doch immer wieder aufs Neue, vor allem wenn der ausgekippte musikalische Zettelkasten ein so kunterbunt-originelles und doch stimmiges Mosaik entstehen lässt, wie im Falle von 1 Giant Leap, dem multimedialen Projekt von Jamie Catto, dem Gründungsmitglied und künstlerischen Leiter der Gruppe Faithless. Ein halbes Jahr lang reiste er gemeinsam mit seinem Partner, dem Multi-Instrumentalisten und Produzenten Duncan Bridgemann rund um den Globus und zeichnete mit Musikaufnahmegerät und Kamera alles auf, was ihnen spontan begegnete und erst recht, was sie akribisch geplant hatten. Sie besuchten Stars wie Michael Stipe (von R.E.M.), Baaba Maal, Neneh Cherry, Robbie Williams und Dennis Hopper und nahmen deren Beiträge genauso auf, wie Musik von australischen Aboriginees, neuseeländischen Maori, indischen Tabla-Spielern oder südafrikanischen Zulu-Chören. Diese spannende Reise quer durch Ambientsounds, Dancefloor, Worldmusic und Hightech-Pop zählt zu den herausragenden Veröffentlichungen zu Beginn des letzten Jahrzehnts.

„I Love the way you dream“ singt Michael Stipe im folgenden Song mit seinem typischen tiefgründenden, melancholischen Unterton in der Stimme. Er singt diesen von ihm selbst verfassten Text in einem der melodisch schönsten Stücke des Albums. Den Gesangspart teilt er sich mit der indischen Sängerin Asha Bhosle, der „Queen of Bollywood“ und dem neuseeländischen Maori Whiri Mako Black. Die afrikanische Harfe Kora spielt der Südafrikaner Pops Mohamed. Und so viele andere, kleine Musikteile werden von ungenannten Musikern aus aller Welt beigesteuert. Dieses wundersame, ruhig fließende Stück wird von einem globalen perkussiven Puls getragen und von einem weiten, beseelten Atem durchströmt. Und am Anfang steht der Hinweis eines indischen Weisen auf die Stille, die zu erfahren und auf die zu hören sei.

„The Way You dream“, großartige Musik, an der auch Michael Stipe von R.E.M. seinen Anteil hat. Die beiden Initiatoren dieses Projektes 1 Giant Leap hatten das Zustandekommen ihrer musikalischen Weltreise auf ihrer attraktiv gestalteten Webseite dargestellt, die aber leider nicht mehr im Netz zu finden ist. In einer Art Reisetagebuch berichteten die beiden von den einzelnen Stationen und Erlebnissen ihrer Weltumrundung. In Dakar, der Hauptstadt des Senegal begann ihre Reise, dann folgten auf dem afrikanischen Kontinent noch Ghana, Südafrika und Uganda. Nach Uganda wollten sie nur, weil sie gehört hatten, dass es dort ein überdimensionales Instrument aus Bambusstämmen geben soll, eine Art Marimba oder Xylophon, das so groß sei, dass es von 8 Musikern gespielt werden müsse. Anschließend Weiterreise auf den indischen Subkontinent mit Stationen in Bangalore, Neu Delhi, Kalkutta und Rajasthan. Dann folgten Kathmandu und Nepal. Weiterflug nach Thailand, danach Australien, Neuseeland und schließlich USA mit Stationen in Los Angeles, San Francisco, Athens Georgia, Atlanta und New York. Überall bauten sie ihr Mini-Mischpult, die Mikrophone und den Laptop auf, um aufzunehmen, was ihnen die aufgesuchten Musiker, Schauspieler, Künstler, Denker und Geschichtenerzähler anvertrauten. Alle ihre Wunschkandidaten vors Mikrophon zu bekommen, war Sisyphus-Arbeit mit Telefon- und E-Mail-Kontakten zum Teil erst vor Ort. Manches, was geplant war, kam nicht zustande, dafür ergaben sich überraschende, spontane Aufnahmen: die gerade gehörte indische Sängerin Asha Bhosle traf Jamie Catto zufällig in einem Dschungel-Hotel und konnte sie überreden und begeistern für ein virtuelles Gesangsduett mit Michael Stipe.
Den kalifornischen Poeten Michael Franti wollte Jamie Catto unbedingt aufnehmen, aber er telefonierte sich die Finger wund, ohne einen Aufnahmetermin vereinbaren zu können. Erst als er frustriert abgereist war, ergab sich die Gelegenheit einer Zusammenarbeit, was im digitalen Zeitalter dann zu einer Aufnahme ohne persönlichen Kontakt führte.

Das von Michael Franti gesprochene Gedicht ist eingebettet im Titel „Passion“ zwischen den Klängen eines Bambus-Xylophons aus Uganda, Trommeln aus Ghana, Sängern aus Südamerika, einem Scratcher aus New York und vielen kleinen Musikdetails mehr. Im rezitierten Gedicht heißt es: „Gestern Nacht schlief ich ein als Kind und wachte auf am Morgen als Mann. In meinen Händen entdeckte ich die Werkzeuge und den Zorn meines Vaters, in meinem Herzen fand ich die Liebe und die Ängste meiner Mutter, die Konfrontation zwischen der Nacht und dem Tag, dem Land und dem Meer, dem Feuer und der Luft, dem Heiligen und dem Profanen, der Kugel und dem Fleisch, der Vernunft und dem Geist, dem Klang und dem Ohr, dem Druck und dem Widerstand, dem Bruder und der Schwester. Wir gehen nicht in der Begleitung der Geister von Toten. Wir sind am Leben im Geist unserer Leidenschaft.“ Mit ekstatischen Dancegrooves und Chorgesängen endet dieser leidenschaftliche Titel „Passion“ und beginnt mit Vogelgezwitscher und spielenden Kindern

„Passion“, so heißt dieser leidenschaftliche Mix aus afrikanischen Chorgesängen, ethnischer Perkussion und elektronischen Dance-Grooves und der Rezitation eines philosophierenden Gedichts des kalifornischen Poeten Michael Franti, der auch als Musiker in seiner Band Sparhead in Erscheinung trat.

Die beiden Macher von 1 Giant Leap lernten sich in der Wohnung eines gemeinsamen Freundes in Brixton kennen und waren überrascht, dass sie beide die gleiche Begeisterung für zwei bahnbrechende Musikproduktionen teilten. Das war zum einen das Ambient-Ethno-Album „My Life In The Bush Of Ghosts“ von Brian Eno und David Byrne von 1981

Zum anderen begeisterten sie sich gleichermaßrn für das Soundtrackalbum des Martin Scorsese-Films „The Last Temtation of Christ“ von Peter Gabriel. Und tatsächlich weist ihre musikalische Zusammenarbeit im gemeinsamen Projekt 1 Giant Leap einige Parallelen zu beiden Alben auf, vor allem zum Soundtrackalbum „Passion“ von Peter Gabriel. Sicher heißt das zuvor von 1 Giant Leap gehörte Stück nicht von ungefähr ausgerechnet „Passion“. Die Inspirationsquelle „Passion“ von Peter Gabriel aus dem Jahre 1989 soll hier als klanglicher Beleg in Erinnerung gerufen werden.

Der senegalesische Sänger Youssou N’Dour sang hier gemeinsam mit Peter Gabriel die intensiven Melodiebögen dieses Titels „A Different Drum“ aus Peter Gabriels Soundtrackalbum „Passion“ von 1989. So, wie diese Musik für sich alleine steht, aber im Zusammenhang mit dem Film als Untermalung der Filmszenen von Martin Scorseses „The Last Temptation Of Christ“ eine neue Dimension durch eine veränderte Wahrnehmung erhält, ganz ähnlich verhält sich das auch bei dem multimedialen DVD- und CD-Projekt 1 Giant Leap.
Der Film, formal eine Mischung aus Dokumentation und Pop-Videoclip kann für sich alleine stehen, wie auch die Musik der CD. Doch in der Kombination von beiden werden Inhalt und Aussage des Gesamtprojektes am besten hör- und sichtbar. CD und DVD-Film sind in 12 Teile gegliedert, jeweils mit unterschiedlichem thematischem Schwerpunkt. Grundthemen sind z.B. Inspiration, Zeit, Gott, Tod, Freude, Geld, Sex.
In der Musik wie in den Filmen von 1 Giant Leap gibt es viele kontrastreiche Gegenüberstellungen, die sich letztlich aber homogen miteinander verbinden. Im Titel „Daphne“ fügen sich Musikelemente, Sänger und Instrumentalisten aus Südafrika, England, Indien, Ghana, Türkei, und Kenia zu einem gelungenen Klangbild zusammen. Und wieder werden weise Worte vorangeschickt. Der 2007 verstorbene US-amerikanische Schriftsteller Kurt Vonnegut ist (auf der CD) zu hören mit seiner Einstellung zur Musik. Er sagt: „Musik ist für mich der Beweis für die Existenz Gottes. Sie hat eine außergewöhnliche Magie. Wenn ich in schwierigen Zeiten meines Lebens Musik hörte, dann hat das viel verändert.“
Im vorangestellten Titel „Time“ ist der Rastaphilosoph Zebulon Dread zu hören: “Das Zeitalter von heute ist das Zeitalter von Kali, die Ära des Eisens, des Streits, die Ära der Scheinheiligkeit. Auf diese Art sagt man, dass wir in einer verqueren Zeit leben.“ Der schottische Stand-Up-Comedian Jerry Sadowitz meint: „ Ich kann nichts benennen, was die Zeit darstellt. Ich finde es komisch, auf die Uhr zu schauen und zu sagen, es ist 25 nach 3. Ich habe absolut keine Vorstellung, was das heißen soll, oder ‚Heute ist Donnerstag’, was zum Teufel bedeutet das?“
Und Kurt Vonnegut sagt: „Wir sind zu überladen mit Informationen. Und wir setzen alles in den Sand, wenn wir noch mehr Informationen bekommen oder wenn uns noch ein Gehirnlappen wächst. Das ist, wie wenn ein Elefant beschließt, ‚na das Leben ist echt hart, wenn ich noch ein paar Hundert Pfund zunehme, dann wird alles besser’. Oder eine Giraffe sagt: ‚wenn mein Hals nur noch länger wäre ...’“

Mir einem Statement von Dennis Hopper und mit der Stimme der indischen Sängerin Revetti Sakalkar endet diese eindrucksvolle und ereignisreiche Klangreise durch Asien, Afrika und Europa mit dem Titel „Daphne“.
So viel zum multimedialen, globalen Projekt 1 Giant Leap aus dem Jahre 2001. Damals erschien eine hervorrragende CD und eine beeindruckende DVD. Doch die Macher von 1 Giant Leap waren nicht die ersten, die eine Reise um die Welt mit Filmkamera und Recorder im Gepäck unternahmen. Der Pionier war Ex-10cc-Mitglied Kevin Godley . Ende der 80er Jahre reiste er mit einem Aufnahmegerät um die Welt und vereinte die mehr oder minder geplanten und zufälligen Aufnahmen von 292 Musikern aus allen Erdteilen im großartigen Albumprojekt „One World One Voice“. Kevin Godley hatte ein Vision im Kopf. Er wollte mit einer Art von musikalischem Kettenbrief die ganze Welt verbinden. Sting hatte ihm einen Basslauf und ein harmonisches Grundgerüst geliefert als Basis für alle weiteren Entwicklungen. Mit diesem Anfangsimpuls sollten sich nun alle Arten von Musikstilen frei entfalten. Mit dieser musikalischen Grundlage im Koffer ging Kevin Godley auf eine sechswöchige Weltreise und nahm überall Musikbeiträge für dieses Projekt auf. Und wo er selbst nicht hinreisen konnte, da schickte er seinen musikalischen Kettenbrief per Mehrspur-Tonband hin und sammelte so umfangreiches Tonmaterial für seine globale Weltmusik „One World One Voice“.

Neben vielen wenig bekannten Musikern beteiligten sich auch einige Stars der Popularmusik, wie Lou Reed, Laurie Anderson, Little Steven, Suzanne Vega, Terence Trent D’Arby, Chrissie Hynde, David Gilmour, Peter Gabriel, Afrika Bambaataa, Nusrat Fateh Ali Khan, Geoffrey Oryemo, Salif Keita, das Leningrad Symphony Orchestra und viele mehr. Sie alle haben mitgewirkt, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung, haben musikalische Grenzen überwunden und Kulturkreise miteinander verbunden, um ihre persönliche Betroffenheit über den Zustand unseres Planeten zu zeigen. Ihre Botschaft lautet, dass nur gemeinsam Probleme wie Umweltzerstörung, die Ausbeutung der Erde sowie Unterschiede zwischen arm und reich, erster und dritter Welt überwunden werden könne.
Produziert wurde dieses herausragende Album von Rupert Hine, dem renommierten Produzenten und Musiker, der am 4. Juni 2020 gestorben ist.
Das Album „One World One Voice“ enthält 53 Minuten weltumspannender Musik, als Exzerpt aus einem zweistündigen TV-Film, der am 26. Mai 1990 von der BBC einem Millionenpublikum via Fernsehen vorgestellt wurde

Das erste weltumspannende Großprojekt „One World One Voice“ von 1990 wird auf ähnliche Weise seit 2004 von dem Multimedia-Musikprojekt Playing For Change kontinuierlich fortgesetzt, mit dem Unterschied allerdings, dass nicht neue, originäre Musik von allen Beteiligten gemeinsam kreiert wird wie bei "One World One Voice" und bei 1 Giant Leap, sondern, dass alle beteiligten Musiker einen vorgegebenen, bereits bekannten Song von Weltgeltung gemeinsam bearbeiten und interpretieren.
Mittlerweile ist parallel zur Musik/Film-Produktion auch die Non-Profit Organisation Playing For Change Foundation gegründet worden, die weltweit Musikschulen für Kinder unterstützt.
2018 erschien das Album „Playing For Change - Listen To The Music“, das in 25 Ländern live aufgenommen wurde unter Beteiligung von 210 Musikern. Zu den beeindruckendsten Songs des Albums zählt die schwarze Bürgerrechtshymne „Skin Deep“ von Bluesman Buddy Guy, erstveröffentlicht 2008 im Buddy Guy-Album „Skin Deep“. „Unter unserer Haut sind wir alle gleich“ ist die Grundbotschaft dieses Songs. In der zweiten Strophe heißt es: „Ein Mann in Lousiana nannte mich nie bei meinem Namen, er sagte nur immer: ‚Junge mach dies, Junge mach das.’ Ich habe mich nie darüber beschwert, denn ich wusste, der Mann hat eigentlich ein gutes Herz. Doch er hat nie verstanden, dass ich behandelt werden wollte wie jeder andere Mensch auch.“ An der Neufassung des Songs „Skin Deep“ für Playing For Change wirkten 50 Musiker aus aller Welt mit.

Zum Abschluss noch ein großer Song von Bob Marley in der Neufassung von Playing For Change. Bob Marley hatte den „Redemption Song“ über die erlösende, befreiende Kraft der Musik Ende 1979 geschrieben, als er wusste, dass er wegen seiner Krebserkrankung nicht mehr lange zu leben hatte. Eindringlich mahnt er im Text: Befreit euch von mentaler Sklaverei. Niemand, außer wir selbst, kann unseren Geist befreien.
Der Kritiker Ian McCann schrieb über Bob Marleys letzte große Hymne: „Der 'Redemption Song' vereint seine Gefühle über den eigenen, schon so nah bevorstehenden Tod mit Gedanken über die Sklaverei, besonders deren Auswirkung auf die mentale Grundeinstellung der nachfolgenden Generationen, über Religion und das Schicksal („We’ve got to fulfil the book“) – und er ist ganz direkt an die Fans gerichtet: ‚Habt keine Angst’, lautet die Kernaussage. ‚Dein Leben wird nicht von den Mächten dieser Welt bestimmt, nicht von der ganzen Zerstörung, dem Bösen. Deine Bestimmung liegt nicht in den Händen der Mächtigen, sondern allein in denen des Allmächtigen. Kann sein, dass deine Helden und Heldinnen verlieren und sterben, dass du unterdrückt wirst, das Gefühl hast, nichts dagegen tun zu können, dass immerzu Schlechtes geschieht, aber das Universum ist sehr viel größer als das. Schließe dich einfach diesem Song an: Es liegt in deiner Macht, deinen Geist und die eigene Seele zu befreien. Du kannst erlöst werden.“