Vorgestellt in einem ausführlichen Interview – hier in kompletter Länge zu hören
Ali Neander, einer der edelsten Gitarrenvirtuosen der deutschen Szene hat ein neues fulminantes, geradezu überbordendes Album mit vielen herausragenden Mitmusikern aufgenommen: „Boomer Bends“. Die Charakterisierung der 13 neuen Tracks als „Contemporary Jazz Rock“ und „Progressive Fusion“ wird der stilistischen Vielseitigkeit der grenzüberschreitenden Musik nur annähernd gerecht. Schließlich finden sich im siebten Album (seit 2011) unter eigenem Namen auch tänzelnd meditative Momente („Mandhari“), filmmusikähnliche Stimmungsbilder („Black Creek Lovers“), Neutöner-Impressionen („Splinterlude“) und groovende Soundscapes zwischen Neo-Loungejazz und sophisticated Chill-Out („Wild Dog Meadow“).
Mit den großartigen, eigenen Kompositionen des neuen Albums und den variationsreichen virtuosen Soli hat Ali Neander in der weltweiten Gitarristen-Szene ein weiteres Ausrufezeichen gesetzt und seine Ausnahmestellung in Deutschland bestätigt. 17 renommierte Musiker und Musikerinnen haben mit ihrer Individualität und handwerklichen Klasse zum musikalischen Reichtum des Albums beigetragen. Ali Neander, der bei der Arrangement-Entwicklung der einzelnen Tracks sozusagen Regie führte, lud alte und neue Freunde ein, in die von ihm vorproduzierten Basisaufnahmen eigene Soli und gestalterischen Ideen einzubringen. Dabei versuchte Ali Neander schon bei der Ausarbeitung seiner Kompositionen die spezifischen Eigenheiten und individuellen Fähigkeiten seiner eingeladenen Mitmusiker mitzudenken. Entsprechend integrierten sich die höchst unterschiedlichen musikalischen Gastbeiträge organisch ins Gesamtgefüge.
So baute Ali Neander z.B. für die mit vertrackten Taktarten vertraute Super-Schlagzeugerin Anika Nilles in der Endphase des Titelstücks „Boomer Bends“ trickreiche Breaks ein, über die Anika Nilles ein kurzes aber souveränes Schlagzeugsolo legte.
Für den Bassisten Philipp Rehm schrieb Ali eine schlaue Basslinie als Angebot. Philipp Rehm nahm die Offerte als Herausforderung an und fügte noch eigene Ideen zum „tricky bass riff“ hinzu, angeschlagen mit seinem behänden Daumen, weshalb das Stück den Titel „Rule Of Thumb“ erhielt. Seinen eindrucksvollen Titel „The Backward Tapes“ nannte der Komponist selbst einen „weiteren Versuch, einen Kontrapunkt für eine Jazz-Rock-Band zu schreiben“. Eine besondere soundtechnische Art des Kontrapunkts stellen gegenläufige Gitarrenlinien im Rückwärtsgang dar. Was die Beatles 1966 u.a. mit dem Song „I’m Only Sleeping“ in die Popmusik einführten, rückwärtslaufende Gitarrensoli, das greift Ali Neander 56 Jahre später wieder auf, freilich nur als atmosphärischer Background. Zu den Klangereignissen im Vordergrund gehört ein wieselflinkes, expressives Pianosolo des Kraan-Keyboarders Martin Kasper.
Für den einzigen Song des Albums „And The Sun Goes Down“ schrieb Ali einen Text, mit dem sich die Sängerin Caro Trischler identifizieren konnte. Entsprechend intonierte sie ebenso zauberhaft wie authentisch. Im gleichen wundersam melodisch mäandernden Song erhielt Bassist Kai Eckhardt Raum für ein gleichermaßen gespürvoll melodiebewusstes wie spieltechnisch anspruchsvolles Solo. Daran anschließend bekam auch Pianist Ulf Kleiner seinen Auftritt für ein brillantes Fender-Rhodes-Solo, mit dem der fabelhafte Song (nach 6.1/2 Minuten) viel zu früh endet.
Ali Neanders Frau Sabine Fischmann, eine klassisch ausgebildete Pianistin, ist endlich mal auf einem Soloalbum ihres Mannes zu hören. Für sie schrieb er eine elegische Melodica-Melodie im Walzertakt, eine stimmungsvolle Ruheinsel im ansonsten mit Drive und Dringlichkeit losstürmenden Titel „Voluntary Detour“ im schrägen 13/8-Takt.
Mitten im arrangementtechnischen Wunderwerk „Welcome To Scoville“, einem furiosen Jazzrock-Hymnus, der Ali Neanders gitarristische Finger-Akrobatik mit aberwitzig hetzenden Geschwindigkeitsläufen auf E- und Akustikgitarre geradezu auf die Spitze treibt, öffnet sich plötzlich eine Tür für ein jazzig verspieltes, meisterhaftes Solo der Pianistin Hilde Müller, Schwester des Power-Drummers Moritz Müller, der seine Schwester wie das ganze vielgestaltige Stück mit seinem „muscular drumming“ (liner notes) grundiert und stabil trägt. Die musikalische Schärfe dieses Titels korrespondiert mit dem Scoville-Wert, der „Maßeinheit zur Angabe der Schärfe von Chilischoten und scharfen Soßen“.
Zeitgenossen mit der Hyperaktivitätsstörung ADHS könnten sich verstanden fühlen, wenn sie ihrem mentalen Bewegungsdrang zum Titel „Dancery A.D.H.D.“ in ihrer imaginären Disco freien Lauf lassen. Über ein akkordisches Pattern im Stil eines undrögen, clever aufgepimpten Disco-Funk kann sich der Jazz-Trompeter Menzel Mutzke, der u.a. in der Band seines Bruders Max Mutzke spielte, genüsslich austoben. Und so weiter. Kein Wunder, dass die Gastmusiker wegen dieser persönlich zugeschnittenen Angebote Ali Neanders Einladungen gerne annahmen und mit ihren solistischen Beiträgen erheblich zum Gelingen der Produktion beitrugen.
Die Album-Produktion ist allerdings alles andere als eine Jamsession, in der jeder/jede mal solistisch brillieren darf. Alle Gast-Soli sind trotz aller kreativer Ausdrucksfreiheit klug kontrolliert und organisch in das sorgsam gestaltete Arrangement-Gewebe eingefügt. Der rote Faden, der alle divergierenden Elemente verbindet, ist Ali Neanders gitarristische Regieführung, einerseits bestimmt durch seine nie gänzlich dominierende, aber immer präsente, ausdruckstarke Lead-Gitarre, andererseits durch seine programmierten Basistexturen, durch das Gewebe aus grundierenden Soundstrukturen und rhythmisierten Patterns, die er mit seiner Hände Arbeit an Gitarre, Gitarrensynthesizer und Keyboardprogrammen erstellt hat.
Der Schlusstitel „Triple Treat Boogie“ veranschaulicht nochmals abschließend, dass der Super-Gitarrero Ali Neander mit „Boomer Bends“ auf keinem Solotrip unterwegs ist, sondern als Teamplayer – wenn auch als primus inter pares – das kreativ befruchtende Gemeinschaftserlebnis sucht. Drei Solisten, die sich im Zusammenspiel gegenseitig anstacheln, sind im Finale eine auf Lust und Spielfreude eingeschworene Gemeinschaft. Die Gitarristen Ali Neander und Thomas Blug und der Cellist Christopher Herrmann liefern sich einen grandiosen Schlagabtausch der schöpferischen, musikalisch-solidarischen Sorte.
Der Albumtitel „Boomer Bends“ steht mit leicht ironischem Tonfall für eine typische Art des Gitarre Spielens der Baby-Boomer-Generation, speziell für das ausgiebige Ziehen der Gitarrensaiten bei jedem Solo, das trendy sein wollte. Dieses Jaulen, Schreien, Weinen und Klagen des „Bending“ hat natürlich auch der Supertechniker Ali Neander in allen Variationen drauf. Und er setzt die ganze Palette auch bei seinen gefühlten 498 Soli und Umspielungen auf dem neuen Album „Boomer Bends“ ein – natürlich immer mit großer, echter Leidenschaft, aber auch mal mit einem Augenzwinkern.
Fazit: „Boomer Bends“ zeigt Ali Neander auf der Höhe der Zeit als Gitarrist und Komponist im weiten Feld zwischen Pop und Jazzrock. Die Qualität seiner 13 neuen Kompositionen ist mehr als nur außergewöhnlich. Hier ist noch eine weitere erstaunliche Steigerung im Vergleich zu seinen früheren Jazzrock-Alben erkennbar. Seine Klasse als Gitarrist ist seit langem schon überragend. Doch auch hier ist Zuwachs hörbar. Neben seiner offenbar noch immer fortschreitenden stupenden Spieltechnik und Virtuosität, hat auch die Intensität des Ausdrucks und das Maß an Intuition noch hinzugewonnen. Und seine Gabe, ein generös einladender Gastgeber für Musiker-Koryphäen zu sein und deren Fähigkeiten gleichberechtigt zu integrieren, erweitert und bereichert sein Konzept siebzehnfach – nämlich um die künstlerischen Beiträge seiner 17 Mitmusiker und Mitmusikerinnen.
„Boomer Bends“ ist ein audiophiles Fest für entdeckungsfreudige Musik-Enthusiasten. (VR)
Hier ist das komplette Interview als Podcast zu hören:
Ali Neander „Boomer Bends“
Label: ESC RECORDS / INDIGO
Bestellnummer: 11938960
Erscheinungstermin: 27.9.2024
Das Album ist ab dem 27.09. hier zu beziehen.