The Lemon Twigs erinnern an Beatles, Byrds und Beach Boys
Mit Sounds und Stilen der aktuellen Popszene haben die Lemon Twigs nicht viel zu tun. Die beiden Brüder Brian und Michael D’Addario, Mittzwanziger aus Long Island, die sich The Lemon Twigs nennen, lieben offensichtlich die goldenen Jahre des Pop von 1964 bis ‘66 und verehren die Musik der drei großen B’s: Beatles, Byrds und Beach Boys. Und das ist in jedem der 12 Songs ihres aktuellen Albums „A Dream Is All We Know“ zu hören. Im Titelstück taucht - immer wieder eingestreut - der Sound eines Theremins auf, wie in „Good Vibrations“. Eine Gitarrenfigur ist zu hören als wäre sie von George Harrison gespielt. Und die Chorsätze erinnern an die drei großen B’s, auch an The Hollies und The Zombies. Im Songtext deutet sich eine Art von kritischer Selbstreflexion an: „Ein Traum, ist alles, was ich kenne. Das ist alles, was ich vorzuweisen habe … es gibt nichts, was mir wirklich gehört. Nur geliehene Zeit.“
Sie borgen sich musikalisch viel von ihren Vorbildern. Aber die Lemon Twigs imitieren nicht. Sie zelebrieren eine Hommage, gehen aber über eine nostalgische Verbeugung weit hinaus. Sie knüpfen an die musikalischen Errungenschaften der großen Sixties-Bands an und führen deren Klangästhetik und ideellen Ansatz weiter.
Doityourself-Künstler
Die beiden Brüder sind handwerklich kompetente Multiinstrumentalisten, dazu gute Sänger. Sie machen alles alleine, spielen alle Instrumente selbst, schichten viele Tonspuren übereinander, arrangieren und produzieren gemeinsam. Ihr außergewöhnliches spieltechnisches Können und ihre hoch entwickelten Fähigkeiten als Songschreiber, lassen ihre eigenen Songs nicht verblassen neben den Popkunstwerken ihrer Idole.
Ihre eigenen Songs machen hörbar, dass die Lemon Twings ihre vielen Sixties-Anspielungen und -Zitate aus der Perspektive von sachkundigen Bewunderern, nicht als unkritisch jubelnde Fans einsetzen. Und dass sie trotz ihrer Art des Nachahmens, die – statt kopistisch zu sein – künstlerisch kreative Züge trägt, tatsächlich eigenständige Songs kreieren und damit große Momente der Popgeschichte lebendig halten, beweist unter anderem der mitreißende Song „My Golden Years“, der als Single ausgekoppelt wurde.
„Mit einem Wimpernschlag werde ich diese goldenen Jahre vorbeifliegen sehen. Mit der Zeit hoffe ich, dass ich der ganzen Welt die Liebe in meinem Kopf zeigen kann. Ich weiß, wenn ich es nur versuche, werde ich diese goldenen Jahre zum Leuchten bringen.“
So heißt es im Text dieses Songs „My Golden Years“ von The Lemon Twigs, bei dem man unwillkürlich denkt, die goldenen Jahre der Beach Boys, Beatles und Byrds seien wieder auferstanden – so viele klanglichen und thematischen Bezüge finden sich in diesem Song – wie im ganzen Album „A Dream Is All We Know“, ein sprechender Titel, denn fast alle Songs des Albums klingen wie Tagträume, Rückbesinnungen auf die 60er Jahre. Was auch das humorvolle Video zum Song „My Golden Years“ bestätigt. Die beiden langhaarigen „D’Addario“-Brüder, die klassische Matten tragen, wie man sie in den späten 60er- und frühen 70er Jahren trug, die beiden werden im Video, wie auch bei ihren Liveauftritten von zwei Freunden an Bass und Schlagzeug unterstützt. Die Brüder spielen Rickenbacker-Gitarren, eine 6- und eine 12-saitige, wie die Beatles ab 1964. Der Bassist spielt Paul McCartneys ikonischen Höfner-Bass im Geigen-Design. Der Solo-Sänger Brian D’Addario steht breitbeinig da wie weiland John Lennon und die vielen witzigen Szenen im schnell geschnittenen Video enthalten viele Zitate und Verweise auf die berühmten Videoclips der Beatles: vom Rennen durch die Straßen über das Rumgehopse auf einer Wiese, bis zum Laufen der Bandmitglieder im Gänsemarsch hintereinander von links nach rechts wie auf dem Abbey-Road-Cover. Und über dem Eingang eines Clubs, in die man sie nicht reinlässt, steht „Tavern“ statt „Cavern“. Und plötzlich schreit der Sänger im Stile von Paul McCartneys „Oh Darling“ mit Power bis zum Anschlag, schlägt danach seine Gitarre mit Windmühlenbewegungen an wie weiland Pete Townshend von The Who und am Ende singen alle einen hymnisch sonnigen Westcoast-Chor á la Beach Boys.
Mersey Beach
Verschmitzt nennen sie ihren Stil „Mersey Beach“, eine Verbindung des Mersey Beat aus Liverpool mit dem Beach Boys-Sound aus Kalifornien. Aber das ist nicht reine Nostalgie, was die Lemon Twigs musikalisch produzieren. Und natürlich sind sie keine Retro- oder gar Tributeband. Sie haben ein Faible für die Bands und Sounds der 60er Jahre, speziell für Beatles, Beach Boys, Byrds & Co. Aber sie kopieren nicht deren Stil, sondern knüpfen an deren typische Musikmerkmale an und führen sie weiter, übersetzen deren Essenz in die Hier- und Jetztzeit. Weil sie hervorragende Musiker und Sänger sind und weil sie mit den Elementen der Sixties kompositorisch originell und arrangementtechnisch gekonnt umgehen, gelingen ihnen nahezu perfekte Popsongs, die den Spirit der Sixties weitertragen.
Vintage-Equipment
Sie arbeiten nicht mit Computern, sondern ganz klassisch analog mit alten Instrumenten und dem Original-Equipment aus den 60er Jahren. Und sie spielen ihre handgemachte Musik selbst auf den alten Standard-Instrumenten einer typischen Pop/Rockband. Neben Schlagzeug, Bass, Keyboards und diversen Gitarren spielen sie auch Mandoline, Trompete und Cello. Und all diese Instrumente und ihren Gesang nehmen die beiden hoch und vielseitig begabten Brüder in ihrem eigenen Studio playback auf, schichten Tonspuren übereinander und basteln und tüfteln gemeinsam an Sound- und Arrangement-Details so lange, bis sie zufrieden sind. Und dann kommen am Ende Popjuwelen heraus, wie man sie in dieser Häufigkeit nur selten auf einem einzelnen Album versammelt vorfindet.
Wer ist schuld?
Über die notorisch nostalgischen Sixties-Verehrer The Lemon Twigs schrieb ein Kritiker des Rolling Stone entnervt: „Schuld sind wahrscheinlich die Eltern. Man lässt ja schnell mal alte Platten unbeaufsichtigt im Wohnzimmer liegen.“
Die Schuldfrage muss ja immer gestellt und geklärt werden: Warum sind die Brüder Brian und Michael D’Addario so extrem auf die Musik der Sixties fixiert? Man hat den Schuldigen gefunden. Es ist ihr Vater Ronnie D’Addario, selbst ein eifriger Musiker, den aber kaum jemand kennt, der seit den 70er Jahren eigene Platten veröffentlicht hat, die ebenfalls so gut wie niemand kennt, der aber seine Vorliebe für die Musik der 60er Jahre an seine Söhne sozusagen vererbt hat.
Die Lemon Twigs live in Deutschland
Die Brüder Brian und Michael D’Addario, die schon in ihrer Kindheit in Musicals und Kindershows mitwirkten, haben mit „A Dream Is All We Know“ inzwischen schon ihr fünftes Album veröffentlicht, sind mit ihrer kompletten Band derzeit auf großer Europa-Tournee und gastieren auch in Deutschland – und zwar am 18. September in Hamburg beim Reeperbahn Festival, am 21. September in Köln und am 22.09. in Berlin.
Dann wird man live hören können, ob diese jungen Multiinstrumentalisten, die alles selbst spielen, schreiben, arrangieren und produzieren und dabei klingen wie wiedergeborene Beatles, Byrds und Beach Boys, ob sie Nerds oder Streber oder Genies sind. Parodisten oder Kopisten sind The Lemon Twigs keinesfalls. (VR)
Playlist zur Radiosendung
Artist / Track / Album / Label
1. L.Shankar / Darlene (Kramladen-Themamusik) / Touch Me There / Zappa Records
2. Todd Rundgren / I’m Leaving / Space Force / Cleopatra Records
3. The Lemon Twigs / My Golden Years / A Dream Is All We Know / Captured Tracks
4. The Lemon Twigs / They Don't Know How To Fall In Place / A Dream Is All We Know / Captured Tracks
5. Foxygen / Follow The Leader / Hang / Jagjaguwar
6. The Lemon Twigs / Church Bells / A Dream Is All We Know / Captured Tracks
7. The Lemon Twigs / Peppermint Roses / A Dream Is All We Know / Captured Tracks
8. The Lemon Twigs / A Dream Is All We Know / A Dream Is All We Know / Captured Tracks
9. Weyes Blood / Children Of The Empire / And In The Darkness, Hearts Aglow / Sub Pop
10. The Lemon Twigs / In The Eyes Of The Girl / A Dream Is All We Know / Captured Tracks
11. Ronnie D’Addario / Falling For Love / Falling For Love / You Are The Cosmos
12. The Lemon Twigs / If You And I Are Not Wise / A Dream Is All We Know / Captured Tracks
13. The Lemon Twigs / How Can I Love Her More / A Dream Is All We Know / Captured Tracks
Hier ist der Zusammenschnitt der Sendung als Podcast zu hören:
The Lemon Twigs auf dem Haldern Pop Festival 2018
Das Album "A Dream Is All We Know" von The Lemon Twigs kann hier bezogen werden