Die Debüt-LP der Rolling Stones erschien heute vor 60 Jahren

Der Beginn einer Ära, die noch immer andauert

Der Podcast/Blog zur Radiosendung

LP-Cover

 

Die „größte Rock’n’Roll-Band der Welt“ begann ihre bewegte Geschichte am 12. Juli 1962 mit ihrem ersten Auftritt im Londoner Club Marquee. Ihrem Image gemäß galten sie als die unangepassten „Bad Boys“ – in bewusstem Kontrast zu den braven Beatles. Doch ausgerechnet eine rotzige Rock-Komposition von Lennon/McCartney setzte die Rollenden Steine in Bewegung und zwar erstmalig in Richtung Hitparade.
Auch wenn es oft anders dargestellt wurde, schon vor 60 Jahren gab es freundschaftliche Kontakte zwischen den Beatles und Stones. Sie waren niemals Todfeinde, wie das in der Presse damals hochgekocht wurde. Aber natürlich gab es da eine gesunde Konkurrenz. Vor 60 Jahren waren die Beatles den Stones noch haushoch überlegen. Denn Lennon/McCartney waren bereits gefeierte Songschreiber, während die Stones noch keinen einzigen Song selbst geschrieben hatten, was sich aber bald ändern sollte. Auslöser war der Lennon/McCartney-Song „I Wanna Be Your Man“.

 

Single-Cover

 

Durchbuch with a little help der Beatles

Die Stones hatten im Juni 1963 mit ihrer ersten Single „Come On“, einer alten Chuck Berry-Nummer, einen Achtungserfolg erzielt und standen nun unter Druck, rasch etwas Neues nachliefern zu müssen, aber sie hatten nichts. Der damalige Stones-Manager Andrew Oldham, der zuvor auch schon kurz für die Beatles gearbeitet hatte und deshalb wusste, dass Lennon/McCartney auch Songs für andere Künstler schrieben, fragte die Beatles, ob sie einen geeigneten Song für die nächste Single der Stones liefern könnten. Sie konnten. Paul hatte die Skizze eines neuen Rock’n’Roll-Titels im Kopf, der eine Portion Bluesfeeling hatte und an die Rock-Kracher der 50er Jahre erinnerte.¬ Die beiden Ober-Beatles boten diese Song-Idee den Stones an, besuchten sie im Studio und spielten ihnen den Refrain vor, der schon fertig war. Die Stones waren beeindruckt und sagten, ja, den Song wollten sie haben. Daraufhin zogen sich John und Paul in einen Nebenraum zurück und 10 Minuten später präsentierten sie den verblüfften Stones den komplett fertigen Song. Dies war die Geburtsstunde des neuen Songschreiber-Duos Mick Jagger und Keith Richards. Denn die beiden dachten sich, wenn John und Paul mit dieser Leichtigkeit und Geschwindigkeit einen Song einfach so raushauen können, dann müssten wir das doch auch hinkriegen. So kam es auch. Ihr erster selbstverfasster Song „Tell Me (You’re Coming Back)“, die flehentliche Bitte eines Schwerenöters, der gerade den Laufpass bekommen hatte, an seine Abtrünnige, sie möge doch sagen, dass sie zu ihm zurückkommt, erschien am 16. April 1964 auf ihrem Debüt-Album, dessen Cover kühner Weise weder den Band-Namen noch den Albumtitel zeigte, sondern nur ein Bandfoto. Der Songinhalt der Debüt-LP war nicht minder ausgefallen: allesamt blues-getränkte Titel, selbstbewusst und mit eigener Note gespielt.

 

Rolling Stones 1964 at Amsterdam Airport (Quelle-gahetNA-wikimedia-commons)

 

Die Stones waren damals eine Cover-Band – und doch mehr als das

Neben der balladesken, pop-orientierten Eigenkomposition „Tell Me“ enthält das Album zwei weitere Kompositionen von Jagger/Richards, die aber unter dem Pseudonym Nanker/Phelge veröffentlicht wurden. Der Grund für das Versteckspiel hinter einem Pseudonym speziell bei Eigengewächsen, die musikalisch am Rhythm’n’Blues orientiert waren, könnte sein, so wurde spekuliert, dass Jagger/Richards in diesen Fällen neben den US-amerikanischen Originalen keine gute Figur machen würden. So klingt der R’n’B-Remake „Little By Little“ von Jagger/Richards unter der Credits-Angabe Nanker/Phelge wie ein passabler Versuch, einen britischen Rhythm’n’Blues im Stile eines Muddy Waters abzuliefern. Unter den Klarnamen Jagger/Richards hätte die Nummer womöglich wie ein peinliches Plagiat gewirkt. Der zweite Titel mit der Komponistenangabe Phelge „Now I’ve Got a Witness (Like Uncle Phil and Uncle Gene)“ hätte mit der Deklaration einer Autorenschaft Jagger/Richards womöglich zu Urheberrechtsproblemen führen können. Schließlich handelte es sich hier um den Mitschnitt einer Jamsession, die unmittelbar nach der Studioarbeit am Soultitel „Can I Get A Witness“ und basierend auf dieser Komposition von Holland/Dozier/Holland eingespielt worden war. Die seltsam anmutende Angabe in Klammern bezog sich auf die Studio-Anwesenheit des „Wall Of Sound“-Produzenten Phil Spector und des US-Sängers und Songschreibers Gene Pitney während der Aufnahme.
Die übrigen neun Titel des Debüt-Albums sind allesamt Coverversionen rockender Rhythm’n’Blues-Klasssiker. Dazu gehört die Biker-Hymne „(Get Your Kicks On) Route 66“ von Bobby Troup, Bo Diddleys Referenztitel „Mona“ im patentierten Synkopen-Beat, Chuck Berrys schwarzgefärbter Proto-Rock’n‘Roll „Carol“, das Riff-Monster „Walking The Dog“ des R’n’B-Sängers Rufus Thomas oder die unmissverständlich anzügliche Blues-Nummer von Willie Dixon „I Just Want to Make Love to You“, mit der die Stones klarmachten, dass sie von ihrem Mädel etwas ganz anderes wollten als die biederen Beatles mit ihrem kreuzbraven „I Wanna Hold Your Hand“. Allerdings waren es die Beatles, die den Stones mit der absolut nicht biederen Song-Leihgabe „I Wanna Be Your Man“, der zweiten Stones-Single, zum Durchbruch in England verhalfen. Am 1. November 1963 veröffentlicht, erreichte die Lennon/McCartney-Komposition in der Stones-Version „I Wanna Be Your Man“ immerhin Platz 12 der britischen Charts und machte die Stones endgültig populär in England. John Lennon meinte später, was die Beatles betreffe, sei der Song nur Ausschussware, die sie den Stones gerne überlassen hätten. Und spöttisch fügte er hinzu: „Wir wollten denen doch nichts Großartiges geben, oder?“

 

US-LP (Cover)

Die Debüt-LP, schlicht „The Rolling Stones“ genannt, erreichte in England Platz 1 der Hitparade, in den USA Platz 11, dort erst am 30. Mai veröffentlicht unter dem reißerischen Aufmacher „England’s Newest Hit Makers“ – was damals noch frommer Wunsch, aber auch Prophezeiung war. Überraschenderweise platzierte sich die rotzig-rau und kantig klingende Debüt-LP der Stones in Deutschland auf Platz 2, was damals mehr als außergewöhnlich für die deutsche Musikszene war, in der Anno 1964 Schlagerstars wie Freddy, Bernd Spier oder Siw Malmkvist („Liebeskummer lohnt sich nicht“) eindeutig den Ton angaben.

Mick Jagger und Keith Richards sind beide inzwischen 80 Jahre alt – aber ans Aufhören denken sie offenbar noch lange nicht

Heute sind die Rolling Stones die dienstälteste Band der Szene und somit ohne Beispiel, eine Institution, unangefochten im Rock-Business. Sie haben seit 60 Jahren als Band überlebt – auch wenn der Tod von Charlie Watts die Endlichkeit der Stones allen schmerzlich bewusst machte.
Mit ihrem Debütalbum begann am 16. April 1964 eine Geschichte, die noch immer andauert. Vom 28. April bis 17. Juli 2024 geben die alten Herrn 19 Konzerte in USA und Kanada. Eine Europa-Tournee sei in Planung, konnte man lesen – eventuell erst für 2025.
Man nennt die Stones schon „die Letzten ihrer Art“. Auf jeden Fall verkörpern sie seit sechs Jahrzehnten die Essenz der Rockmusik wie keine andere Band. Und ihre Debüt-LP gab stilistisch und klanglich vor, was zum Sound-Inbegriff der Stones werden sollte und sich bis zum bislang letzten Album „Hackney Diamonds“ fortsetzte. (Volker Rebell)

 

Hackney Diamonds (Cover)

 

Die Playlist zur Sendung „Vor 60 Jahren erschien die Debüt-LP der Rolling Stones“

Artist / Track / Album / Label / Zeitplan

1. L.Shankar / Darlene (Kramladen-Themamusik) / Touch Me There / Zappa Records /

2. The Rolling Stones / Driving Me Too Hard / Hackney Diamonds / Polydor, Geffen

3. The Rolling Stones / Route 66 / The Rolling Stones / Decca

4. Willie Dixon / I Just Want To Make Love To You / All Blues / Lucas Records

5. The Rolling Stones / I Just Want To Make Love To You / The Rolling Stones / Decca

6. The Rolling Stones / Just Like I Treat You (Willie Dixon) / Blue and Lonesome / Rolling Stones Records, Polydor

7. Jimmy Reed / Honest I Do / Signals Of Love / Vee Jay Records

8. The Rolling Stones / Honest I Do / The Rolling Stones / Decca

9. The Rolling Stones / Little Rain / Blue and Lonesome / Rolling Stones Records, Polydor

10. Bo Diddley / Mona / Hey Bo Diddley / Checker

11. The Rolling Stones / Mona / The Rolling Stones / Decca

 

Marvin Gaye "Can I Get A Witness" (Single-Cover)

12. Marvin Gaye / Can I Get A Witness / Can I Get A Witness / Tamla Motown

13. The Rolling Stones / Can I Get A Witness / The Rolling Stones / Decca

14. The Rolling Stones / Now I’ve Got a Witness (Like Uncle Phil and Uncle Gene) / The Rolling Stones / Decca

15. The Rolling Stones / Tell Me (You’re Coming Back) / The Rolling Stones / Decca

16. The Rolling Stones / Little By Little / The Rolling Stones / Decca

17. The Rolling Stones / Walking the Dog / The Rolling Stones / Decca

 

Rolling Stones 1965

 

Die Sendung „Vor 60 Jahren erschien die Debüt-LP der Rolling Stones“ wird von Antenne Mainz über DAB+ und Ukw am 18.04.2024 um 23 Uhr ausgestrahlt und läuft in Radio-Rebell am 19. und 20.04.2024, jeweils um 22 Uhr.

 

Hier ist der Zusammenschnitt der Sendung als Podcast zuhören:

 

 

Rolling Stones op Schiphol, Bestanddeelnr 916-7423