Neue Songs, neue Sängerinnen
Erstsendung: 04.08.2011
Neue Songs, neue Sängerinnen
Das Reservoir scheint schier unerschöpflich. Immer wieder tauchen neue Namen junger Sängerinnen und Songschreiberinnen in der Popszene auf. Und das nicht nur im populären Mainstream-Bereich, sondern gerade auch an den Rändern und in den Nischen des massen-kompatiblen Pop. Dort, in den Seitenarmen der populären Musik, ist die Zahl der eigenwillig-kreativen weiblichen Newcomer deutlich größer als die Zahl der männlichen Kollegen – zumindest was die zugänglichen Veröffentlichungen angeht.
Manche der neuen Sängerinnen scheinen wie aus dem Nichts aufzutauchen und können doch eine geschulte und gereifte Qualität vorweisen; die meisten jedoch haben bereits eine längere musikalische Vorgeschichte hinter sich, ob mit jahrelanger Erfahrung im Knochenjob als tingelnde Club-Musikerin, oder als Sängerin in Diensten einer Band oder eines Solo-Künstlers.
Die junge Belgierin Selah Sue zum Beispiel, deren Debütalbum gerade veröffentlicht wurde, war hierzulande bislang völlig unbekannt, hatte sich aber als talentierte Sängerin und Songschreiberin in ihrer Heimat und in den Niederlanden einen Namen gemacht, trat sogar dort schon auf größeren Festivals auf und tourte als Vorprogramm ihres Landsmanns Milow. Ihre kraftvolle, reibungsvolle Soulstimme, ihre selbstverfassten Songs, die eine eigene Handschrift erkennen lassen und ihr Musikmix aus Soul, Raggamuffin, Funk und Pop, all diese Pluspunkte heben ihr Debütalbum, das so heißt wie sie, „Selah Sue“, weit über den Durchschnitt des Alltäglichen.
Auch die Norwegerin Unni Wilhelmsen ist hierzulande noch ein fast unbeschriebenes Blatt, obwohl sie in Skandinavien bereits sieben Alben veröffentlicht hat. Ihr letztes, folgerichtig „7“ betiteltes Album erschien nun auch in Deutschland. Es enthält neun durchweg hörenswerte Eigenkompositionen, die stilistisch im Folk und Singer/Songwriter-Idiom angesiedelt sind und durch einen Hauch von Jazz veredelt und mittels einer kräftigen Prise Electronica, Loops und Samples modernisiert werden. Nicht von ungefähr enthält das brillante Album als einzige Coverversion eine Interpretation des Joni Mitchell-Songklassikers „Both Sides Now“. Damit signalisiert Unni Wilhelmsen, an welchem hohen Qualitätsmaßstab sie sich orientiert.
Ebenfalls aus dem zur Zeit Trauer tragenden Land Norwegen stammt die 25-jährige Sängerin und Songschreiberin Susanne Sundfør, die in ihrer Heimat bereits drei Alben veröffentlicht hat, aber erst vor zwei Monaten ihr erstes internationales Album „The Brothel“ auf den Markt brachte. Ihre Musik ist spannungsreich und tiefgründig, Holzbläser, wechseln sich ab mit geräuschhaften Samples, Arabesken mit Kirchenchorälen. Chöre, mit ihrer sensiblen Stimme selbst aufgeschichtet, sind eines der hervorstechenden Merkmale ihrer ebenso fragilen wie intensiven Songs.
Anna Calvi ist ein weiterer neuer Name, den Eingeweihte mit Hochachtung und wissendem Kopfnicken aussprechen, wenn es um die Aufzählung von angesagten jungen Sängerinnen und Songschreiberinnen geht. Die Britin Anna Calvi spielt ihre elektrische Brettgitarre der geschichtsträchtigen Marke Fender Telecaster mal „wie ein Brett“ mit viel Hall, mal subtil mit Flamenco-Anschlag. Ihre Stimme aber ist die eigentliche Überraschung, denn ihr Ausdruck reicht von tranceartigen Schwebungen bis zu exaltierten Ausbrüchen mit fast opernähnlichem Vibrato und einer divenhaften Grandezza. Der Kritiker des valve-magazine lobt den Song „The Devil“ ihres Debütalbums in den höchsten Tönen: „Und wenn Calvi in „The Devil“ allem Soul in ihrer Stimme freien Lauf lässt und die Gitarren zu famosen Harmonien träumerische Arpeggien spucken, wünschte man, die zum Zerbersten aufgestaute Energie des Songs, die erst gegen Ende entfesselt wird, würde ewig weiter martern und foltern – famos.“
Die in Teheran geborene, in Indien und den USA aufgewachsene Sängerin Azam Ali, bekannt als Frontfrau der Weltmusik-Gruppe Niyaz, hat in ihrem Solo-Album „From Night To The Edge Of Day“ ein Programm von orientalischen Wiegenliedern zusammengetragen. Traditionelle persische, türkische, arabische und kurdische Wiegenlieder singt Azam Ali auf beeindruckende, geradezu magisch anrührende Weise. Ob es im Orient oder Okzident geschieht, in der islamischen oder christlichen, in der jüdischen, buddhistischen oder hinduistischen Welt, dieses zutiefst menschliche Ritual ist weltumspannend und birgt eine universelle Kraft: wenn eine Mutter ihr Kind in den Schlaf singt.
Zu hören sind in dieser Stunde außerdem die Sängerinnen Sabrina Ascacibar, Lea W. Frey, Alessi Laurent-Mark alias Alessi’s Ark, Carmen Brown, Kyla La Grange und zu guter Letzt die immer wieder für kreative Überraschungen sorgende Björk mit ihrem aktuellen Song „Cristalline“.
Der Kramladen präsentiert eine Stunde Frauen-Power mit neuen Songs auf künstlerisch zumeist hohem Niveau.
Playlist
Artist Track Album Label
1. Alessi’s Ark Kind Of Man Time Travel Bella Union
2. Carmen Brown & The Elements No Escape It’s All For You Zyx Music, o-Tone Music, BHM
3. Kyla La Grange Walk Through Walls Mojo presents Communion Communion Records, Mojo
4. Lea W. Frey Running Up That Hill We Can’t Rewind Traumton Records
5. L. Shankar Darlene (Kramladen-Themamusik) Touch Me There Zappa Records
6. Selah Sue This World Selah Sue Warner
7. Unni Wilhelmsen Space Opera 7 Edel Content
8. Unni Wilhelmsen Both Sides Now 7 Edel Content
9. Susanne Sundfør The Brothel The Brothel Grönland
10. Susanne Sundfør Lilith The Brothel Grönland
11. Susanne Sundfør Turkish Delight The Brothel Grönland
12. Anna Calvi Suzanne and I Live at the Maison de la Radio, Paris download
13. Anna Calvi The Devil Anna Calvi Domino Records
14. Azam Ali Shirin From Night To The Edga Of Day Exil, Indigo
15. Sabrina Ascacibar Lament Wo bist du? Bear Family Records
16. Björk Cristalline Biophilia
17. Man In The Moon Flying Upside Down (Hintergrundmusik) Cosmic Chill Lounge Vol. 5 Sine Music