Ni Hao Ma – Pop aus China.
Erstsendung 15.10.2009
Wenn schon Die Ärzte und Wir Sind Helden chinesisch singen, dann muss es doch vorangehen mit dem deutsch-chinesischen Kulturaustausch, oder? China ist Gastland bei der diesjährigen Frankfurter Buchmesse und sorgte schon im Vorfeld mit Betonkopp-Apparatschniks für den ersten Zensur-Eklat. Auf der Pop-Ebene scheint es besser zu laufen. Schon im letzten Herbst erschien ein liebevoll und aufwändig gemachtes Doppel-CD-Buch (mit 149 Seiten) unter dem Titel „Poptastic Conversation China“ (fly-fast-records.com). Und der Clou des originellen Projekts ist, dass deutschsprachige Bands chinesisch singen und chinesische Bands deutsch. So lustig und fremd die deutsche Sprache aus dem Mund chinesischer Sänger klingt, so seltsam wird wahrscheinlich auch die chinesische Aussprache der Sänger aus Deutschland, Österreich und der Schweiz für chinesische Ohren klingen. Aber mit Abstand verändert sich der Blick auf das Eigene, und wenn ein Fremder uns etwas über uns selbst mitteilt, verändert sich womöglich auch unsere eigene Wahrnehmung von uns selbst.
Zur Buchmesse erschien soeben eine Sammlung von Erzählungen zum Thema individuelle Selbstbehauptung und private Glückssuche in China. Die Autorin Susanne Messmer protokollierte für ihr Buch „China-Geschichten“, was zwölf alte Menschen aus Peking über ihr bewegtes Leben erzählten.
Parallel zur aktuellen Buchmesse veranstaltet das auf China spezialisierte Berliner Label Fly Fast Records vom 13. bis 17. Oktober ein bundesweites „China Rock Festival“ mit zwei Underground Bands aus Peking: Carsick Cars und Joyside. Beide gehören zu den wenigen Gruppen und Solisten, deren Platten in Deutschland veröffentlicht werden.
Ansonsten gilt nach wie vor, dass das Reich der Mitte einen nahezu weißen Fleck auf der Landkarte des Planeten Pop hinterlässt.
Über die chinesische Pop- und Rockmusik weiß man hierzulande noch immer sehr wenig. Was vor allem daran liegt, dass kaum Informationen und noch weniger CDs in den Westen gelangen. Man muss schon selbst hinfahren, um aktuelle Popalben aus China zu erwerben. „No selling of this product outside China“, steht aufgedruckt auf etlichen chinesischen Popalben, die heute im Kramladen zu hören sein werden.
Die chinesischen Topalben der letzten Monate sind fast allesamt dem Mainstream-Pop zuzuordnen, der auch in China tonangebend ist. Ausschließlich chinesische Popkünstler belegen die Spitzenplätze der Verkaufscharts. Musikalisch unterscheiden sich ihre Songs nur wenig vom westlichen Pop. Das auffälligste Unterscheidungsmerkmal ist, dass alle chinesischen Popstars – selbst die Rapper – auf kantonesisch oder mandarin-chinesisch singen, den beiden Hauptsprachen Chinas.
Wie im Westen sind die Topstars auch in China jung, gutaussehend und können oft auch eine TV-Karriere vorweisen. „Der Markt will nichts als Idole und hübsche Gesichter. Sie singen Liedtexte mit dem Tiefgang hirnloser Liebesgedichte junger Leute“, so spotten Kritiker aus den Reihen der chinesischen Alt-Rocker. In der Ära des studentischen Protestes standen sie für Texte mit sozialer Verantwortlichkeit und verschlüsselter Systemkritik.
Doch engagierte Rock-Stars wie der international bekannte Cui Jian erreichen die hedonistisch eingestellten, konsum-orientierten jungen Leute der chinesischen Metropolen kaum noch. Und selbst die neue Rock-Generation Chinas hat mit Politik und Dissidententum nicht viel am Hut. Ironisch heißt es in einem Song des neuen Rockstars Huang Zheng: „Unsere Körper sind stark, unsere Köpfe sind leer. Wir wollen einfach nur Spaß“.
Auch die berühmteste Bluesrock-Gruppe Chinas Shazi wird zu hören sein. In ihrem „Lied des Konsumenten“ wird die Geschichte eines jungen Mannes erzählt, der während der Niederschlagung der chinesischen Demokratiebewegung auf dem Platz des Himmlischen Friedens am 4. Juni 1989 seine Freundin verlor und nun an nichts mehr glaubt. Er wird zum abgestumpften Konsumenten.
Außerdem im Programm: das neue chinesische Stimmwunder Gong Linna, eine Sängerin mit einer verblüffenden Virtuosität und atemberaubender Vokaltechnik. Als „chinesische Björk“ und „erster möglicher Pop-Weltstar aus dem Reich der Mitte“ wird die Sängerin und Songschreiberin Sa Dingding bezeichnet.
Chinas aktuelle Pop/Rockszene hat – wie die Frankfurter Buchmesse mit dem Ehrengast China – eine Menge hochinteressanter Eindrücke zu bieten.
Im Vergleich zum Westen, der sich nur schwerlich von der Finanzkrise und Rezession erholt, boomt China schon wieder, expandiert weiter und drängt auf die westlichen Märkte – vielleicht auch bald mit China-Pop, der die westlichen Hitparaden erobert. Was da auf uns zukommt, ist heute im Kramladen zu hören.
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