„unbeschreiblich weiblich“ – neue CDs von Frauen
Erstsendung: 10.11.2011
“unbeschreiblich weiblich” oder: It’s a woman’s world
In Wirtschaft und Politik wird heftig um die Frauenquote gestritten. Die Popszene ist da schon lange weiter. Es hat den Anschein, als würden die Frauen im aktuellen Pop eindeutig dominieren. Jedenfalls überrascht die seit Jahren schon anhaltende große Zahl hörenswerter Neuerscheinungen von hochqualifizierten Sängerinnen und Musikerinnen – während im Vergleich dazu die Zahl der Plattenneuveröffentlichungen der männlichen Kollegen mit ähnlichem Niveau eher stagniert. Ist der Planet Pop auf dem Weg in eine „Woman’s World“? Auf jeden Fall werden die Pop-Frauen in qualitativer Hinsicht immer wichtiger und nehmen zahlenmäßig kontinuierlich zu.
Der Kramladen ist deshalb diesmal „unbeschreiblich weiblich“ und präsentiert eine kleine Auswahl von bemerkenswerten Neuerscheinungen aus den letzten Wochen. Die kanadische Singer/Songwriterin Leslie Feist ist längst in der Pop-Szene etabliert, hat erfolgreiche Alben veröffentlicht und Grammy-Nominierungen erhalten. Mit ihrem neuen Album „Metals“ über eine gescheiterte Liebesbeziehung weiß die sensible und gescheite Musikerin erneut zu überzeugen. Das Album „entfaltet einen erstaunlichen Reichtum an musikalischen Farben und eine dynamische Bandbreite, die von gezupfter Akustik zu forschen Bläsern und wehenden Streichern bis schließlich zu unerwartet hart bratzenden Gitarren reicht,“ (Markus Schneider im Musikexpress).
Eine Entdeckung für Liebhaber mädchenhaft-romantisch-skurriler Popsongs ist das Debut-Album „God Is My Bike“ der Ex-„Your Kid Sister“-Sängerin Maia Vidal. Als Tochter eines Franzosen und einer US-Amerikanerin singt die 23-jährige Multiinstrumentalistin in englischer und französischer Sprache verspielte Lieder mit Anklängen an Musette-Walzer, Zirkusmusik, Chanson und Indiepop. Nicht nur vom Aussehen der Sängerin her – mit dem Gesichtsausdruck einer Kindfrau, mit Bubikopf und Rüschenkleidchen – auch was Ausstrahlung und Anmutung ihrer Lieder angeht, erinnert „God Is My Bike“ an den Kinofilm „Die fabelhafte Welt der Amélie“. Ihre Songs, die nach dem ersten Eindruck als naive „Mädchen-Musik“ eingeordnet werden könnten, sind jedoch alles andere als niedlich versponnen. So singt sie z.B. zu lieblichem Xylophon-Klingklang im Song „Poetry“ explizite Zeilen wie: „we drank until the dawn and fucked into the dark.“ Das Motto des Albums prangt in Großbuchstaben auf der Innenseite des Albumcovers: „Ich fuhr immer mit meinem Fahrrad, um Gott näher zu sein. Nun weine ich nachts, seit ich weiß, dass Gott tot ist.“
Tori Amos sagte in einem Interview im Zusammenhang mit ihrem aktuellen, klassisch inspirierten Album „Night of Hunters“, auf dem Konservatorium, wo sie Klavier studiert hatte, hätte man ihr prophezeit, die Wahrscheinlichkeit als Komponistin in der E-Musik Erfolg zu haben, liege bei „eins zu einer Million“. Als Pop-Songschreiberin habe sie da sicher bessere Chancen – was sie mit ihrem neuen Album auch ausdrücklich unter Beweis stellte. Die Pointe dabei ist, dass Tori Amos bei ihrem neuen Song-Zyklus ganz bewusst kompositorisch Anleihen bei Klassikern wie Bach, Schumann, Schubert und Chopin machte.
Desweiteren im Musik-Angebot dieser Stunde, das neue Album „When You Grow Up“ der kalifornischen Folk-Sängerin Priscilla Ahn und die leichtfüßige Melancholie der Schweizerin Lina Button, deren Debütalbum „Homesick“ eine hausgemachte Melange aus Blues, Country, Folk und Pop beinhaltet.
Neben der deutsch-brasilianischen Sängerin Betina Ignacio („Azul“), dem kanadischen Sängerinnen-Duo Madison Violet, dem „sehnsuchtsvollen Opulenz-Pop“ der Londonerin Florence (Welch) and the Machine und der finnischen Frauen-Vokalgruppe Ketsurat wird auch die wiederentdeckte deutsche Jazzsängerin der ersten Stunde Inge Brandenburg zu hören sein und schließlich auch ein Song aus dem neuen Album „VolksBeat“ der unverwüstlichen Nina Hagen. Auch mit ihrem neu aufpolierten Volksbeat-Punkrock und mit tiefergelegter Kratzbürsten-Stimme bleibt Nina Hagen – wie diese Kramladenstunde – „unbeschreiblich weiblich“.
Playlist
Artist Track Album Label Zeitplan
1. L. Shankar Darlene (Kramladen-Themamusik) Touch Me There Zappa Records 00:41
2. Florence & the Machine All this And Heaven Too Ceremonials Universal 03:13
3. Leslie Feist The Bad In Each Other Metals Universal 10:26
4. Lina Button Something Missing Homesick Jazzhaus Records 17:22
5. Inge Brandenburg Basin Street Blues Sing! Inge, Sing! Silver Spot Records 23:31
6. Inge Brandenburg The Man I Love Sing! Inge, Sing! Silver Spot Records 31:09
7. Madison Violet The Good In Goodbye The Good In Goodbye High Romance Music 35:09
8. Maia Vidal God Is My Bike God Is My Bike Crammed Discs 39:59
9. Tori Amos Carry Night Of Hunters Deutsche Grammophon 47:43
10. Nina Hagen Bitten der Kinder VolksBeat Koch, Universal Music 53:37
11. Nina Hagen Ermutigung VolksBeat Koch, Universal Music 54:25
12. Nina Hagen Keiner von uns ist frei VolksBeat Koch, Universal Music 55:00
13. Priscilla Ahn I Will Get Over You When You Grow Up Blue Note 58:05
14. Jennifer Adams Road To California (Hintergrundmusik) Water Herman’s, Skalde Musik Unter jeder Mod
Weitere aktuelle CD-Empfehlungen: Nneka („Soul Is Heavy“), Frida Annevik („Synlige Hjerteslag”), Cäthe („Ich Muss Gar Nichts“), Ane Brun („It All Starts With One“), Lana del Rey („Video Games”, Single), Florence & the Machine („Ceremonials”), Laura Marling („A Creature I Don’t Know“), Lizzy Loeb („The One“), The Pierces („You And I“), Suden Aika („Ilokivi”)