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Event Series Event Series: Die Tragödie um Sinéad O’Connor

Die Tragödie um Sinéad O’Connor

09.08.2023 / 21:0022:00

Erstsendung: 10.08.2023

Text zum Inhalt der Sendung:
Wie ihre Familie mitteilte, soll Sinéad O’Connor, die am 26. Juli tot in ihrer Londoner Wohnung aufgefunden wurde, am Dienstag dem 8. August im irischen Küstenort Bray, südlich von Dublin, im Rahmen einer privaten Trauerfeier beerdigt werden. Die Fans können sich von Sinéad O’Connor verabschieden und ihr die letzte Ehre erweisen durch die Teilnahme an einem Trauerzug, der entlang der Strandpromenade führt, vorbei an ihrem früheren Wohnhaus, wo sie 15 Jahre lang gelebt hatte. Unter welchen Umständen die im Alter von 56 Jahren verstorbene populäre Sängerin, Songschreiberin und Aktivistin aus dem Leben schied, wurde nicht bekanntgegeben. Der Selbstmord ihres 17-jährigen Sohnes im Januar 2022 hatte sie schwer getroffen. Wer vermutet hatte, dass sie sich wieder gefangen habe, sah sich enttäuscht, als sie wenige Tage vor ihrem Tod in sozialen Medien geschrieben hatte: „Ich lebe seitdem als untote Kreatur der Nacht. Er war die Liebe meines Lebens, das Licht meiner Seele.“
Sie selbst war seelisch verletzt und konnte diese tiefe innere Verwundung offensichtlich nie so richtig überwinden. Als Kind sei sie von ihrer Mutter misshandelt und später in einem irischen Pensionat von einem katholischen Priester sexuell missbraucht worden. Ihre psychische Verstörung und Anspannung entlud sich verschiedentlich in Provokationen und Protest-Aktionen, die ihrer Karriere als Sängerin schadeten, was sie aber in Kauf nahm. Man werde sie in Erinnerung behalten als „eine begnadete Sängerin und mutige Aktivistin, die sich gegen jede Form von Unterdrückung und Ausbeutung“ gewandt habe, sagte eine ehemalige irische Parlamentsabgeordnete kurz nach ihrem Tod.
Ihr letzter Song erschien am 2. Oktober 2020 während des Lockdowns. Als Solidarität mit der Bewegung „Black Lives Matter“ bearbeitete sie den alten Gospelsong „Trouble Of The World“, den Mahalia Jackson 1959 bekannt gemacht hatte. Sinead O’Connor hatte interessanterweise den Text leicht, aber entscheidend geändert. Bei Mahalia Jackson hieß es: „Soon it will be done / Trouble of the world“. Sinead O‘Connor aber sang: „Soon I will be done / With the trouble of the world“. („Bald werde ich fertig sein mit den Sorgen der Welt.“)
Ihr erster selbst geschriebener Song, ihre Debüt-Single Troy“, die im August 1987 veröffentlicht wurde, behandelte im Text ihr schwieriges Verhältnis zu ihrer Mutter, die sie der Lüge bezichtigte und als Brandstifterin, die Feuer gelegt habe an die engsten familiären Bindungen. Der Songtitel „Troy“ bezieht sich auf die zerstörte Stadt Troja im antiken Griechenland und wurde als Metapher verstanden auf das im Songtext wütend beklagte Ende der familiären Liebe. Musikalisch ist „Troy“ ein erstes, höchst individuelles und originelles Statement der damals noch völlig unbekannten 20-jährigen irischen Sängerin und Songschreiberin.
Nach ihrem bemerkenswerten Albumdebüt „The Lion and the Cobra“ von 1987 folgten neun weitere, teils ausgezeichnete Alben. „I’m Not Bossy, I’m the Boss“ war das letzte, das 2014 erschien. Das populärste war „I Do Not Want What I Haven’t Got“ von 1990 mit dem Welthit „Nothing Compares 2 You“, den Prince ursprünglich geschrieben hatte für ein eigenes Album, das aber unterging. Die mehr als gelungene Coverversion von Sinéad O’Connor verkaufte – als Single veröffentlicht ¬– dank eines großartigen Videos, indem nur ihr ausdrucksstarkes Gesicht im Großformat zu sehen war, über 3.1/2 Millionen Exemplare. An diesen Erfolg konnte sie in kommerzieller Hinsicht danach nie wieder anknüpfen. Doch was ihre künstlerischen Fähigkeiten als Sängerin und Songschreiberin angeht, sollten noch viele herausragende Songs folgen, um nur sechs hier zu nennen: den ebenso punkig-rockenden wie hoch melodiösen Song „Madinka“ aus „The Lion and the Cobra“(1987), die wilde Bigband-Interpretation des Loretta Lynn-Country-Songs „Success“ von 1961, „Success Has Made a Failure of Our Home“ aus „Am I Not Your Girl“ (1992), die zarte Folkballade mit brisantem Text über die englische Unterdrückung Irlands „This Is A Rebel Song“ aus ihrer EP „Gospel Oak“ (1997), den spirituellen Track „The Healing Room“ aus „Faith And Courage“ (2000), die Sehnsuchtsballade im 12/8-Takt „Very Far From Home“ aus „How About I Be Me (And You Be You) (2012) und der groovende Midtempo-Popsong mit cleverem Text „8 Good Reasons“ aus „I’m Not Bossy, I’m the Boss“ (2014). Und nicht zu vergessen die Songs der Sendungs-Playlist (siehe unten).
Ihre Selbstverwirklichung, die Darstellung ihrer komplexen und komplizierten Persönlichkeit gelang Sinéad Marie Bernadette O’Connor mit ihrer gleichermaßen messerscharf-stahlharten wie fragil-sensiblen Wunderstimme und mit den vielfältigsten Ausdrucksmöglichkeiten, die ihr eigen waren – als Textschreiberin, Musikerfinderin und vor allem: als Sängerin.
„I Want To Be Loved By You“ hat sie wie Marilyn Monroe in „Manche mögen‘s heiß“ gesungen. In Peter Gabriels Beschwörung der Harmonie von Mann und Frau „Blood Of Eden“ lieferte sie den weiblichen Part. Sie sang zu einem Miles Davis-Sample „Fire On Babylon“, und fast 6 Minuten lang ganz alleine a cappella „I Do Not Want What I Haven’t Got“.
Als eine mögliche Erklärung für ihre Widerspenstigkeit, ihre kontroversen Auftritte (1991 lehnte sie vier Grammys ab, weigerte sich in New Jersey, ein Konzert zu geben, weil als Intro der Show die US-Nationalhymne eingespielt werden sollte, 1992 zerriss sie in einer US-Latenight-Show vor laufender Kamera das Foto des Papstes, usw.) und für ihr punkig-knabenhaft, burschikoses Aussehen mit kahlrasiertem Kopf, sagte sie 1998 in einem Interview: „Meine Mutter hasste mich dafür, dass ich ein Mädchen war. Deshalb versuchte ich viele Jahre lang wie ein Junge auszusehen und auch so zu handeln. Die Geburt meiner Tochter hat mir sehr viel Weiblichkeit und auch Weichheit gebracht.“
Sie engagierte sich gesellschaftspolitisch, etwa für das Recht auf Abtreibung, solidarisierte sich mit der „Ban Bossy“-Kampagne, der LSBTIQ*-Community und trat für die „Black Live Matters“-Bewegung ein. Sie gab irischen Mädchen Gesangsunterricht, unterstützte psychisch labile Kinder, die misshandelt wurden und nannte die VIPs Bono und Bob Geldof „Heuchler“, weil sie sich nach Veröffentlichung des „Murphy Reports“ über sexuellen Missbrauch in der katholischen Erzdiözese Dublin weigerten, mit ihr gemeinsam aufklärerische Aktionen in Irland zu starten.
„Sinéad war die wahre Verkörperung des Punk-Geistes. Sie ging keine Kompromisse ein, und das machte ihr Leben noch schwieriger. Wir hoffen, dass sie ihren Frieden gefunden hat” (Tim Burgess, The Charlatans).

Playlist zur Sendung „Die Tragödie um Sinéad O’Connor“

Artist / Track / Album / Label / Zeitplan

0. Sinéad O‘Connor / I Want To Be Loved By You (Akzent) / Am I Not Your Girl / ensign records /

1. L.Shankar / Darlene (Kramladen-Themamusik) / Touch Me There / Zappa Records /

2. Sinéad O‘Connor / I Had A Baby / How About I Be Me (And You Be You)? / One Little Indian Records

3. Sinéad O‘Connor / Troy / The Lion And The Cobra / Chrysalis

4. Sinéad O‘Connor / Take Me To Church / I’m Not Bossy, I’m the Boss / Nettwerk Music

5. Sinèad O’Connor / Nothing Compares 2 You / I Do Not Want What I Haven’t Got / Chrysalis Records • Ensign Records (EMI)

6. Sinéad O’Connor / 4 My Love / Gospel Oak / Chrysalis, EMI

7. Sinéad O’Connor / Daddy I’m Fine / Faith and Courage / Atlantic Records

8. Sinéad O’Connor / War / Throw Down Your Arms / Ministry of Sound, Edel

9. Sinéad O’Connor / Trouble of The World / Trouble of The World

10. Sinéad O’Connor / I Do Not Want What I Haven’t Got / I Do Not Want What I Haven’t Got / Chrysalis

 

 

Details

Datum:
09.08.2023
Zeit:
21:00 – 22:00
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