“Arabellion” – Die arabische Revolution – und die Sicht der Weltmusik-Pioniere Dissidenten
Erstsendung: 31.03.2011
„Ich habe mich entschieden, über das Unrecht zu sprechen / auch wenn mich viele gewarnt haben”, diese Zeilen stammen aus einem Rap des jungen tunesischen Musikers Hamada Ben-Amor, der sich „El Général” nennt, und dessen aufrührerischer HipHop „Rais Lebled”, zu deutsch „Chef meines Landes”, zu einer Art Hymne der jungen arabischen Rebellen aufstieg. Der Protest-Rap des tunesischen Studenten richtet sich direkt an den „Chef” seines Landes, den Despoten Ben Ali, der durch den tunesischen Volksaufstand, die „Jasmin”-Revolution, aus dem Amt gejagt wurde. Der aufbegehrende Rapper „El Général”, der die Ungerechtigkeiten und Missstände in Tunesien unter Ben Ali unmissverständlich anprangerte, traf den Nerv tausender junger Tunesier und – darüber hinaus – vieler junger Menschen in den arabischen Nachbarländern. Die arabische Revolution der letzten Wochen wird vor allem von der jungen Generation vorangetrieben. Die Mehrzahl der revoltierenden Araber ist unter 30 Jahre alt. Für ihre Widerstands-Bewegung gegen die Regime ihrer Länder sind Rapper wie „El Général” in besonderer Weise emotionalisierend und identitätsstiftend, weil ihr Unbehagen und ihr Protest eine gemeinsame Stimme erhält. Popmusik ist das eine Bindeglied in der aufbegehrenden arabischen Jugendbewegung, das andere sind die sozialen Netzwerke im Internet. Über Facebook und Twitter nehmen die jungen Leute untereinander Kontakt auf und verabreden sich zu Demonstrationen.
Was Mitte Januar in Tunesien begann, hat sich als Protestwelle längst auf einen Großteil der arabischen Welt ausgedehnt. Die Demokratiebewegung erfasste inzwischen, wenn auch in unterschiedlicher Intensität, viele Länder: Ägypten, Algerien, Marokko, Jordanien, Syrien, Jemen, Bahrain, Saudi-Arabien und – derzeit in blutiger Konsequenz – Libyen, wo der Machthaber Gaddafi mit brutaler Gewalt gegen sein eigenes Volk vorgeht. Im Netz wird Gaddafi derweil lächerlich gemacht. Auf YouTube kursieren parodistische Popversionen der abstrusen Fernsehauftritte und Kampfparolen des ebenso gefährlichen wie skrupellosen und scheinbar verrückten Noch-Diktators.
Der wachsende Widerstand gegen die autoritären Systeme in den arabischen Staaten hat fast überall die gleichen Ursachen: die Unterdrückung der Meinungsfreiheit und Einschränkung der bürgerlichen Rechte, die Willkür des Machtapparats, die Kluft zwischen dem Reichtum der Wenigen und der Armut der Vielen, die himmelschreiende Korruption und die Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit vor allem der jungen Generation.
Die Wichtigkeit der Popmusik für die Protestbewegung hat der marokkanische Musiker Majid Bekkas so formuliert: „Popmusik, und damit meine ich nicht nur Rap, hat sich heute als Protestkultur einen hohen politischen Stellenwert erarbeitet.” Und der in Norwegen lebende, aus Casablanca stammende Musiker Michy Mano ergänzt: „Die jungen Musiker erkämpfen ein Stück mehr Freiheit für alle Marokkaner.” (zitiert nach „Soundtracks einer Revolution”, aus taz v. 15.02.11)
Schon seit den Tagen der friedlichen Revolution in Ägypten hält sich die deutsche Worldbeat-Gruppe Dissidenten in Kairo auf. Neben ihrer Probenarbeit mit ägyptischen Musikern der Gruppe Jil Jilala haben die Dissidenten mit ihren Gastgebern natürlich auch intensiv über den Umsturz in Ägypten, den sie hautnah miterlebt haben und über die Demokratiebewegung in der arabischen Welt diskutiert. Uve Müllrich, Gründungsmitglied der Dissidenten, berichtet im Kramladen über die Eindrücke und Erlebnisse der Dissidenten in Kairo und entwirft Perspektiven für die künftige Entwicklung – politisch, wirtschaftlich und kulturell. Die Kernsätze seiner Analyse lauten:
„Durch diese Revolution weht ein Atem von Religion, der sich nicht mit dem Jenseits beschäftigt, sondern mit der Transformation des Hier und Jetzt. / Ein uralter Slogan der Islamisten lautet: „Islam ist die Lösung!”, die Demonstranten auf dem Tahrir-Platz in Kairo machten sich lustig darüber, indem sie riefen: ‚Tunesien ist die Lösung!’ / Was Osama Bin Laden und seine ägyptischen Franchise Holder angeht: Sie haben nichts mit den Entwicklungen der vergangenen Wochen zu tun. / Wenn diese arabische Revolution von 2011 ein Erfolg wird, wird sich ein verändertes ökonomisches Weltsystem herausbilden, das sich fundamental vom heutigen globalen, politischen und ökonomischen Status Quo unterscheidet” (Dissidenten / Uve Müllrich).
Natürlich wird in dieser Kramladenstunde auch viel aktuelle Musik – nicht nur von den Dissidenten – zu hören sein, Musik aus Ägypten, Marokko, Algerien, Tunesien.
Playlist zur Sendung “Arabellion” am 31.03.11
Artist / Track / Album / Label
Das komplette 15-minütige Statement der Dissidenten/Uve Müllrich, überspielt aus Kairo:
Audio: